Die Harlekin-Puppe

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Das Feuer im Kamin knisterte, vor dem Fenster tanzten die Schneeflocken. In der Stadt, in der ich wohnte, hat es schon seit Jahren keinen Schnee mehr gegeben. Ich saß gerade auf meinem Sofa, eingekuschelt in eine warme Decke mit einer Tasse Kakao und las ein Buch, als es plötzlich an meine Tür klopfte. Ich war so in das Buch vertieft, dass ich aufschreckte. "Ich komme!", rief ich, während ich die Decke zur Seite schob und mein Buch aus der Hand legte. Ich nahm schnell noch einen Schluck von meinem Kakao und stellte die Tasse auf den Tisch direkt vor mir. Dann ging ich zur Tür, strich mir meine langen Haare hinters Ohr und öffnete. Doch als ich einen Blick in die schneeverwehte Landschaft warf, konnte ich niemanden draußen erkennen. "Mal wieder ein Streich von den Nachbarskindern...", murmelte ich genervt, bis mein Blick plötzlich auf ein kleines Päckchen fiel, das direkt vor der Tür auf der winzigen Fußabtreter Matte mit Herzchen Muster lag. Verwundert bückte ich mich und hob das Päckchen auf. Ich warf nochmal einen letzten Blick in alle Richtungen, ob dort auch wirklich niemand war, doch ich war völlig allein. Mit zuckenden Schultern ging ich wieder ins Haus und schloss die Tür hinter mir zu.

Angelehnt an meine Haustür stand ich nun im Flur und riss das Paket auf. Ich war neugierig wie ein kleines Kind. Als ich einen ersten Blick hineinwerfen konnte, sah ich zuerst nur alte Zeitungen, doch dann merkte ich, dass damit nur etwas anderes umwickelt worden war. Ich nahm den Inhalt heraus und warf den Karton vor mich auf den Boden. Als ich nun die Zeitungen von dem Gegenstand abwickelte, kam darunter ein kleines Gesicht aus Porzellan zum Vorschein. Ich zog die ganze Puppe heraus. Es war eine nur etwa dreißig Zentimeter große Harlekin-Puppe! Sie hatte ein völlig weißes Gesicht und zwei rote Punkte auf beiden Wangenknochen. Der Mund war zu einem roten Kussmund geformt, und auf dem Kopf trug sie eine lustige, bunte Zipfelmütze mit einer schwarzen Bommel am Ende. Der Harlekin war mit einem langen, fast komplett weißen Kleid aus samtartigem Stoff bekleidet. Es ging eine niedliche, aber auch eine unbehagliche Aura von der Puppe aus, die ich gar nicht beschreiben konnte. Ich durchsuchte den ganzen Karton, ob vielleicht einen Brief dazugelegt wurde, denn mit der Puppe allein wusste ich nicht viel anzufangen. Es war aber kein Zettel beigelegt, und auch sonst war kein Absender zu erkennen. "Vielleicht ja ein Geschenk von einem heimlichen Verehrer..." dachte ich schmunzelnd. Trotz meines recht guten Aussehens und den langen dunkelblonden Haaren lief mein Liebesleben nie besonders gut, die meiste Zeit bin ich Single gewesen. Mittlerweile war ich Ende zwanzig, lebte alleine in einer Wohnung und hatte nie das Gefühl, den Richtigen getroffen zu haben, aber das störte mich nicht wirklich. Ich ging mit der Puppe zurück ins warme Wohnzimmer und legte sie auf den kleinen Tisch vor dem Sofa. Dann setzte ich mich wieder, deckte mich zu und griff zu meinem Buch. Als ich nach einer Weile aufsah, um nach meinem Kakao zu greifen, hatte ich ein merkwürdiges Gefühl, als ich die Puppe erblickte. Ich hatte sie doch auf die andere Seite gelegt? Sie lag jetzt so, dass sie mich direkt mit ihrem Kopf anstarrte. "Wahrscheinlich hatte ich sie schon so hingelegt...", dachte ich und las unbeirrt mein Buch weiter.

Aber in dieser Nacht konnte ich nicht schlafen, ich musste immerzu an dieses merkwürdige Geschenk denken. Wer würde so eine Puppe verschenken? Während ich so da lag, in meinem dunklen Schlafzimmer, hörte ich plötzlich ein leises Seufzen. Es kam irgendwie aus dem Flur, doch es war so leise, dass ich dachte, ich hätte es mir nur eingebildet. Nach einigen Minuten hörte ich plötzlich ein leises Wimmern, als ob ein Baby oder ein Kleinkind jammern würde. Zwar immer noch extrem leise, aber immerhin so laut, dass ich merkte, dass ich mir das nicht einbilden konnte. Mir lief ein unheimlicher Schauer über den Rücken, also knipste ich schnell mein Nachtlicht an, das das Schlafzimmer nun in ein dämmriges Licht hüllte. In diesem Augenblick verstummte das Jammern. Die Zimmertür stand einen Spalt weit offen. Ich griff mir eine Schere von meinem Schreibtisch in der Ecke, um mich im Notfall verteidigen zu können. Leise schob ich die Tür ein Stück weiter auf, um mich hindurchzuzwängen. Nun stand ich im dunklen Flur und lauschte. Plötzlich hörte ich wieder ein Seufzen, diesmal noch etwas lauter, und ich konnte sogar hören, woher das Geräusch kam: aus dem Wohnzimmer!

Mein Herz klopfte mir bis zum Hals, und egal, wie sehr ich versuchte, ruhig zu bleiben, konnte ich meine Aufregung spüren. Ich öffnete die Tür zum Wohnzimmer ein Stückchen weiter, und dann schaltete ich mit ein wenig Überwindung das Licht ein. Dann schaute ich mich hektisch um. Alles in dem Zimmer schien auf den ersten Blick normal zu sein- doch dann fiel mein Blick auf die Harlekin-Puppe, die sich immer noch auf dem kleinen Tisch befand. Ich hatte sie am Nachmittag definitiv hingelegt, doch nun saß sie aufrecht auf dem Tisch und starrte mich mit ihren kleinen, schwarzen Knopfaugen an. Einen Moment war ich wie erstarrt, doch dann lief ich zu der Puppe hin und ich schlug sie mit meiner Hand vom Tisch. Sie schlitterte über den Tisch, fiel über den Rand und schlug auf dem Boden auf. Es gab ein lautes Klirren, und tausende Porzellanscherben flogen über den Fußboden. Als ich mich wieder etwas beruhigt hatte, suchte ich mein ganzes Haus ab, ob nicht vielleicht jemand bei mir eingebrochen war und mir einen gemeinen Streich spielte, doch ich konnte niemanden finden. Ich kontrollierte auch alle Türen und Fenster, doch alles war sicher verschlossen. Nach diesem Ereignis legte ich mich ins Bett, konnte jedoch nicht wirklich schlafen. Andererseits könnte es ja immer noch sein, dass ich die Puppe unbewusst aufgesetzt und ich mir die Geräusche nur eingebildet hatte. Ich hatte trotzdem so einen Schock, dass ich eine Ewigkeit wach lag. Irgendwann gelang es mir aber doch noch, einzuschlafen.

Als am nächsten Morgen mein Wecker klingelte und ich mich verschlafen aufsetzte, stieß ich einen schrillen Schrei aus. Ich war nicht verrückt, aber das, was ich nun erblickte, konnte ich einfach nicht fassen: direkt gegenüber von meinem Bett, auf einem Stuhl, saß die Harlekin-Puppe und starrte mich mit ihren kleinen, schwarzen Knopfaugen an.

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