Ein Lichtblick

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Gegenteile sind ein Teil unseres Universums. Hell und Dunkel. Gut und Böse. Manche glauben, dass man wirklich alles in diese gegenteiligen Kategorien einteilen kann. Aber können wir das wirklich? Ist nicht das Lügen eine Sünde? Damit wären alle Menschen böse. Aber wo bleibt dann das Helle, Gute? In dieser verdorbenen, verrotteten Welt scheint es das nicht zu geben. So empfand jedenfalls der Mann, der in seinen zerlumpten Klamotten in einer engen Seitengasse saß. Zu viel Schlechtes hatte er schon erlebt. Ob er selbst ein guter Mensch war? Nein. Gestohlen, betrogen und gelogen hatte er; und noch vieles mehr, das er sicher nicht hätte tun sollen. Er hatte seine Frau verloren, war in den Alkohol abgetaucht und hatte dann Wohnung und Arbeit verloren, weil keiner einen Säufer wollte. Er war auf der Straße gelandet und hatte dort um sein Überleben als Bettler und Dieb gekämpft. Doch inzwischen war er es leid. Er hatte begriffen, dass er nicht mehr ohne den Tod aus diesem Leben hinauskam. Das Kämpfen aufgegeben. Nun saß er hier und wartete, dass der Hungertod ihn holte. Viele Passanten hatten seinen Zustand im Vorrübergehen gesehen doch sofort den Blick abgewandt. So hatte er das letzte Bisschen Hoffnung in die Menschheit und auf Rettung aufgegeben. So starrte er in die dunkle Leere der Nacht bis zu seiner Erlösung durch den Sensenmann. Doch stand sein Tod im Buch des Schicksals nicht geschrieben. Denn sobald er am nächsten Morgen die Augen öffnete stand vor ihm eine junge Frau und hielt ihm einen Laib Brot und einen Apfel hin. Sie trug einfache Jeans und eine weiße Bluse, beides mit verschiedensten Farbspritzern gesprenkelt. In ihren Händen hielt sie mehrere volle Einkaufstüten. „Hier, nehmen sie das. Ich glaub‘ ich hab‘ eh wieder mit dem Einkaufen übertrieben“, sagte sie und drückte ihm die Lebensmittel in die Hand, „Sie sehen ja schrecklich abgemagert aus. Haben sie etwa auf der Straße geschlafen? Es ist Spätherbst! Sie werden sich erkälten! Kommen sie doch für einen Augenblick zu mir, wenn sie wollen. Dann können sie sich etwas aufwärmen.“ Überrascht von der Freundlichkeit nahm der Mann die Einladung an. Vielleicht wird es doch noch einen Lichtblick für ihn geben?
 
Und mal wieder ein neuer Teil😊 Ich freue mich wie immer über Rückmeldung:)
Anirah

Eine kleine KurzgeschichtensammlungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt