Kapitel 5

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Nervös schenkt Samu uns beiden einen Wein ein. Seine Hände zittern leicht, als er mir das Glas hinhält, welches ich leicht lächelnd nehme. Wir prosten uns kurz zu, bevor ich einen Schluck der roten Flüssigkeit trinke. Der Wein ist fruchtig, wobei er für mich etwas nach dunklen Beeren und Kirsche schmeckt.
Mein Blick fällt zur Weinflasche, welche auf dem Nachttisch steht. Kein Wunder, dass er für mich so schmeckt. – Merlots schmecken immer so.

Vorsichtig stelle ich das Glas auf die Seite und setze mich auf mein Bett, wobei ich die Beine zu mir ziehe. Stumm sehe ich meinem Vater an, der ganz fasziniert sein Glas beobachtet, als würde dies ihm Mut zusprechen. Ein kleines Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht. Gerade wirkt er richtig verpeilt, als wüsste er einfach nicht, wie er mir die Geschichte erzählen soll. Überlegt er, wie er anfangen soll?
„Isä?", flüstere ich leise, weswegen er leicht zusammenzuckt und mich endlich ansieht.

Sanft lächle ich ihn an und nicke kurz, um ihn zu zeigen, dass ich bereit wäre, wenn er es ebenfalls ist. Samu seufzt leise aus, atmet nochmal tief ein.
„Es war der zweite November, als ich Emily und dich besuchen wollte", beginnt er leise, wobei er sofort mit mir Finnisch redet.
Lächelnd streiche ich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, da ich es einfach schön finde, dass er mit mir Finnisch redet. Schließlich kennt er mich so gut wie gar nicht und das bisschen, was wir in unserer Landessprache gesprochen haben, hätte ich mir auch selbst -  nur für den Zweck des Auftrittes - beibringen können. Es gefällt mir, dass er mich so einschätzt, dass ich die finnische Sprache fließend beherrsche. – Denn ich hätte meiner Mutter auch zugetraut, dass sie mich nie in einen finnischen Sprachkurs gelassen hätte. Zu meinem Glück war ich damals ziemlich nervig, bis sie schließlich aufgab und mich dort hinschickte.

„Wir waren zwar schon Eltern und verlobt, dennoch wohnten wir noch nicht zusammen, sondern noch im Elternhaus. Wir hatten damals noch nicht so viel Geld für Wohnung und Kind. Wir waren uns von Anfang an einig, dass du meinen Nachnamen seit der Geburt tragen sollst, da deine Mutter meinen bei der Hochzeit angenommen hätte. Aber so weit kam es ja nicht."
Mein Vater stoppt und sieht zu seinem Glas Wein, bevor er einen tiefen Schluck davon trinkt. Ich merke, wie er damit kämpft, nicht in Tränen auszubrechen. Gerade tut er mir einfach nur leid. Meinetwegen muss er die schreckliche Geschichte nochmal erleben. Ob er diese überhaupt verarbeitet hatte?

Im Moment ist einfach nichts vom lustigen, fröhlichen Finnen zu sehen, den die ganze Welt kennt und liebt. Er wirkt gebrochen, verletzt.
Und alleine deswegen glaube ich ihm schon die ganze Geschichte, ohne sie zu kennen. Denn diese Gefühle sind echt, kein bisschen ist gespielt. – Im Gegensatz zu meiner Mutter. Diese war immer viel zu gefasst, wenn sie mir ihre Sicht der Dinge erzählte. Sie vergoss keine einzige Träne, wirkte teilweise sogar fröhlich, nicht gebrochen.
Ich öffne gerade meinen Mund, um Samu zu sagen, dass er nicht weitererzählen muss, da ich merke, wie sehr es ihm schmerzt, doch er redet auf einmal weiter, als hätte er wieder Mut gefunden. Wahrscheinlich ist dies auch so.

„Ich war also auf dem Weg zu euch, als mich jemand auf der Straße aufhielt. Er sagte etwas auf Deutsch, was ich damals noch nicht verstand, lachte und war so schnell wieder weg, wie er gekommen war. Ich war zwar schon lange mit Emily zusammen, aber in dieser Zeit hat sie mir nie ein einziges Wort Deutsch beigebracht, was ich damals auch nicht schlimm fand. Sie zog nach Finnland, um Deutschland zu vergessen. Und damit sie dies auch schafft, versuchte ich alles, um sie nicht an ihr Heimatland zu erinnern. Ich habe nie herausgefunden, was in ihrem Leben passierte, warum sie so unbedingt Deutschland vergessen wollte."
Aufmerksam höre ich zu und nippe gedankenverloren an meinem Wein. Schon jetzt unterscheidet sich die Geschichte von der meiner Mutter. Laut ihr war er von einem Tag zum anderen weg. – Kein Besuch. Aber bei Samus Version existiert einer...

„Ich ging weiter, nachdem mich dieser komische Typ aufgehalten hatte. Meine Laute konnte er nicht vermiesen, da ich ja meine zwei Frauen wiedergesehen hätte. Doch als ich am Haus ankam..."
Samu bricht ab, beginnt zu zittern. Hastig stelle ich mein Weinglas wieder auf die Seite und nehme ihm auch seins aus der Hand.
„Hey", murmle ich, nehme seine Hände und sehe ihm in meeresblauen Augen, welche ich von ihm geerbt habe.
Ich drücke seine Hand leicht und lächle ihm ermutigend zu. Dies scheint zu wirken, da er tief durchatmet und seinen Rücken durchstreckt, da er etwas zusammensackte.

„Ihre Eltern sagten mir, dass sie weg wäre. Mit dir. Zuerst dachte ich, Emily wäre mit dir einkaufen oder zu einer Freundin gegangen, doch ihre Eltern drückten mir einen Brief in die Hand und schmissen vor meiner Nase die Tür zu. Ich war von dieser Reaktion so perplex, weswegen ich eine Weile dastand und die geschlossene Tür angestarrt hatte. Ich wusste, ihre Eltern würden mir nicht mehr öffnen, wenn ich klingeln würde. Stattdessen las ich mir den Brief durch, indem stand, dass sie mich nie richtig geliebt hätte und ich dich nie wieder sehen würde, dafür würde sie sorgen. Sie meinte auch, ich hätte ihr Leben zerstört, weil sie mit 18 schwanger wurde. Im Briefumschlag lag auch der Verlobungsring. Sie hatte mich von einem Tag auf den anderen verlassen und ich wusste nicht einmal den wirklich richtigen Grund."

Die Stimme meines Vaters bricht etwas, während in mir Wut brodelt. Es ist also wahr. Sie hat mich immer angelogen. Mein ganzes Leben lang. Ob sie jemals irgendwann die Wahrheit gesagt hatte?
Immer hat sie Samu als Schuldigen dastehen lassen, obwohl sie es ganz alleine war.
Sie hatte ihn einfach verlassen, nicht er.
Sie ist einfach verschwunden, nicht er.
„Se valehteleva narttu!", fluche ich wütend und springe auf, weswegen Samu mich sofort erschrocken ansieht, was ich irgendwie verstehen kann. – Nicht jeder beschimpft die eigene Mutter mit ‚Diese lügende Schlampe'.

„Älä puhu äidistänne niin", rügt mich der blonde Finne sofort, weswegen ich leicht aufschnaube. Ich soll nicht so über sie reden? Aber das entspricht doch der verdammten Wahrheit!
In meinen Augen brodelt die Wut über eine einzige Person. Meine Mutter, Emily Walsh. Doch auch wenn ich gerade nur Wut empfinde, schleicht sich etwas Stolz in meine Emotionen. Schließlich war ich mir all die Jahre sicher, dass Samu unschuldig ist.
Ich fluche weiter herum, als mich etwas stocken lässt. Es ist eine Erinnerung, welche auf einmal wie ein Schlag in die Magengrube einschlägt. – Und das wird Samu das Herz erneut brechen.

 – Und das wird Samu das Herz erneut brechen

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