Die Zeit bis zum Samstag zieht sich wie Honig in die Länge, doch als es dann so weit ist, fühlt es sich für Jaemin wie ein Wimpernschlag an, seit sie sich verabredet haben. Er ist doch überhaupt nicht darauf vorbereitet, und sein Zimmer ist ein einziges Chaos!
Ist es nicht, immerhin hat er es schon zwei Mal diese Woche aufgeräumt, obwohl er es generell eher ordentlich hält, doch er findet immer wieder irgendetwas, das ihm nicht gefällt, macht sein Bett drei Mal neu, bis er sich selbst auf den Geist geht und stattdessen im Wohnzimmer auf das Klingeln wartet.
Als es erklingt, springt er sofort auf und holt einmal, zweimal tief Luft, bevor er zur Tür geht und sie nach der Haustür öffnet. Ein hastiger Blick in den Spiegel, ein innerliches Seufzen über sich selbst, und Jeno steht auf dem Flur. Jaemin könnte ausflippen.
"Hi."
Er ist ganz froh, dass Jeno auch einigermaßen nervös wirkt. "Hi."
Wortlos lässt Jaemin ihn hinein, zeigt ihm, wohin er seine Jacke hängen soll und gibt ihm einen kurzen Überblick über die Türen, bevor sie ins Badezimmer gehen.
"Hast du dich entschieden, ob du gleich beides heute willst?" Jeno nimmt Jaemin die Blondierung ab, als dieser sie ihm hinhält, und packt sie aus. Der Jüngere nickt und stellt die zweite Schachtel auf das Fensterbrett.
"Okay." Jeno schraubt die Flasche auf und drückt den zweiten Bestandteil hinein. "Ganz wichtig ist, dass es brennt, besonders beim ersten Mal. Es kann auch wehtun. Aber wenn es zu schlimm wird – und glaub mir, das merkst du –, bist du allergisch und wir müssen das sofort auswaschen. Ich glaube aber nicht, dass das tatsächlich passiert." Er schenkt Jaemin ein aufmunterndes Lächeln, das dessen mulmiges Gefühl ein wenig lindert.
"Ab wann ist es denn zu schlimm?", fragt er leise und sieht Jeno dabei zu, wie er die Flasche zuschraubt und schüttelt.
"Ich kann's dir nicht genau sagen. Wenn deine Toleranzgrenze überschritten ist, denke ich mal. Aber wie gesagt, es ist normal, dass es brennt, also musst du nicht sofort in Panik verfallen."
Jaemin senkt den Blick auf seinen Schoß. "Okay."
"Habt ihr ein altes Handtuch? Damit auf deine Kleidung nichts kommt."
Wortlos steht er vom Badewannenrand auf und holt aus einem der Schränke sein gelbes Kinderhandtuch, das Jeno mit einem Lächeln betrachtet.
"Um die Schultern, und dann kannst du dich wieder hinsetzen."
Während Jaemin das tut, schraubt Jeno die Flasche auf, stellt sie auf der Anleitung ab und streift sich die Handschuhe über, bevor er das Fenster öffnet und danach an Jaemin herantritt, die Blondierung in der Hand.
"Okay?", fragt er mit einem sanften Ausdruck, und erst als Jaemin nickt, verteilt er das Gemisch auf seinem Kopf.
Ohne das unangenehme Brennen wäre das Ganze vielleicht sogar angenehm, abgesehen davon, dass Jeno ihm so nah ist und er seinen Geruch wahrnehmen kann und allein davon schon fast verrückt wird. Aber seine Finger streichen mit sanftem Druck über Jaemins Kopfhaut, und das macht den Schmerz deutlich erträglicher.
Irgendwann erzählt Jeno vom Haarefärben seiner Schwester, nur kurz, und danach fällt Jaemin auf, dass die Stille überhaupt nicht peinlich ist. Viel eher sind sie beide ruhig, und brauchen überhaupt kein Gesprächsthema, um ihre Gesellschaft als angenehm zu empfinden.
"Halbe Stunde Einwirkzeit", wird Jaemin auf einmal von Jeno in die Realität zurückgerissen, "stellst du einen Wecker?"
Jaemin folgt der Aufforderung wortlos, während Jeno die Handschuhe abspült und im Waschbecken liegen lässt. Mit etwas Klopapier wischt er Jaemins Stirn und Ohren sauber und setzt sich schlussendlich vor ihm auf den Fußboden.
"Nach der halben Stunde schauen wir, ob wir das noch ein bisschen verändern, dann kommt das Auswaschen, Conditioner und den auswaschen, und dann können wir uns der Farbe widmen." Es erscheint ein vorfreudiges Lächeln auf Jenos Gesicht, das sofort auch Jaemin ansteckt.
"Brennt die auch so?"
"Nicht so schlimm. Blondierung macht ja deine Pigmente quasi kaputt, und ist halt sozusagen aggressiver und deshalb schlimmer. Die Farbe kann auch jucken, aber das sollte weniger sein."
"Okay." Jaemin betrachtet die pinke Schachtel für eine Weile. "Sehe ich gerade eigentlich so bescheuert aus, wie ich mich fühle?"
Jeno legt mit einem Schmunzeln den Kopf schief. "Nein. Und selbst wenn bin ich ja daran gewöhnt, weil meine Schwester ständig so rumläuft."
"Hab ich wohl Glück mit dir."
"Hast du doch sowieso", grinst er, und weil Jaemin genau das empfindet, senkt er mit roten Ohren den Blick auf seine Hände.
π
"Es steht dir."
Jaemin versteckt sich unter dem Handtuch. "Du hast es doch noch überhaupt nicht vernünftig gesehen."
"Hab ich wohl. Außerdem reicht das schon." Jenos Lächeln ist nicht zu überhören, und Jaemin braucht extra lange, um sein Handtuch wegzuhängen.
Erst jetzt sieht er selbst in den Spiegel, und ist positiv davon überrascht. Es ist zwar nicht ganz so, wie er es sich vorgestellt hat, aber trotzdem gefällt es ihm richtig gut.
"Deine Haare fühlen sich nachher anders an wegen des Conditioners, und du brauchst auch Spülung, wenn du nicht schon welche hast."
"Okay." Kurz zögert er. "Danke. Für's Färben und die Tipps und so. Echt."
"Gerne doch", lächelt Jeno. "Ich hab endlich mal eine Chance genutzt." Damit wendet er sich ab und Jaemin ist froh darüber, da er nicht darauf hätte reagieren können.
"Das Zeug muss bald entsorgt werden", bemerkt Jeno, und der Jüngere sieht zu ihm, "am besten schmeißt du das alles in eine Tüte."
"Ich hole eine", und schon ist Jaemin aus dem Raum, um gleich darauf mit einem Müllbeutel zurückzukommen. Er hält ihn nur auf, während Jeno die Sachen hineinschmeißt und die Pappschachteln platt macht, knotet ihn zu und stellt ihn neben dem Mülleimer ab.
"Ich muss Eomma nachher fragen", sagt er nur dazu, schnappt sich die Schachteln aus Jenos Hand und huscht damit in die Küche. Der Ältere folgt ihm langsamer, und als Jaemin sich ihm zuwendet, hält er ihm sein Handy hin.
"Danke", sagt der leise und steckt es ein.
"Dann habe ich meinen Job jetzt erfüllt", lächelt Jeno, und Jaemins Herz schlägt höher. Heißt das, er geht? Jetzt schon?
"Willst... du noch bleiben? Nur wenn du wirklich willst und Zeit hast, natürlich", setzt er sofort hinterher.
"Ich will nicht stören." Bildet Jaemin sich das ein oder klingt Jeno gerade... schüchtern?
"Tust du nicht!", beeilt er sich deshalb zu sagen. "Ich bin ja eh allein, und, Gesellschaft ist schön und ich– Ich meine, ich mag dich, also..." Aufhören, schreit die eine Hälfte seiner Gehirnzellen, sag's ihm, die andere, und er steht überfordert dazwischen und hofft, dass Jeno das nicht mitkriegt.
"Okay." Jeno sieht auf und Jaemins Herz schlägt Purzelbäume. "Dann... bleibe ich gerne."
27.04.2021
DU LIEST GERADE
math boy ππ nomin ✓
FanfictionJaemin ist ein durchschnittlicher Schüler, wenn auch eher ruhig, in sich gekehrt. Sein Zwillingsbruder ist das Gegenteil davon; immer unter den Klassen-, gar Jahrgangsbesten, gutaussehend, beliebt. Eineiige Zwillinge sind sie, und wo sie sich eigent...