Es wurde ein bisschen viel

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Vor etwa einem halben Jahr

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Vor etwa einem halben Jahr

Ein Klopfen an der Tür lässt Harry hochschrecken. Die Saiten seiner Gitarre klingen noch einen Moment nach, während er inne hält, den Blick in Richtung Tür als könnte er durch die Wände bis hinter das Holz auf seinen unerwarteten Gast sehen. Mühsam verlässt Harry die verdrehte Position, in der er sich mit der Gitarre auf dem Schoss quer über seinen Sessel ausgebreitet hat. Die Gitarre legt er über die beiden Armlehnen seines Sessels. Durch seine Küche geht er auf die Tür zu, beschäftigt mit der Frage wer zur Hölle um zehn Uhr Abend an einem Sonntag vor seiner Tür steht.

Nachdem er sie mit einem quietschen im alten Metallschloss aufgeschlossen hat, gibt die weiße Tür langsam die Sicht auf seinen Gast frei.

„Louis?" fragt er verwundert, als er ihn erkennt. Die langen Wimpern noch leicht feucht, fleckigen Wangen und mit etwas abwesenden Blick steht er vor seiner Tür.

„Kann ich reinkommen?" fragt Louis leise. Seit sie sich vor drei Wochen vor der Praxis getroffen haben, hat Louis Harry auf dem Rückweg immer bis zu seiner Tür gebracht, weil sich rausgestellt hat, dass er nur ein paar Häuser weiter wohnt. Von innen hat er die Wohnung noch nicht gesehen.

„Natürlich." meint Harry und tritt langsam aus der Tür, verwirrt, neugierig und vielleicht etwas besorgt über das plötzliche Auftreten des älteren. Dankbar tritt Louis ein und lässt seinen Blick durch Harry's Flur gleiten. Die weißen Wände seiner Wohnung sind gesäumt von Postkarten und Bildern, Zetteln mit Erinnerungen und einfachen Kritzeleien.

Harry schließt leise die Tür und Louis dreht sich ihm zu. Still gucken sie sich an, Harry verwirrt und Louis unsicher. Ungewöhnlich unsicher. Eigentlich hatte Harry ihn als eher sarkastisch und laut in Erinnerung und nicht so still und verloren wie er jetzt in seinem Flur steht.

„Möchtest du was trinken." zögerlich durchbricht Harry die Stille. Louis nickt still und bemüht sich ein lächeln auf seine Lippen zu schaffen. Harry nickt ebenfalls kurz, ehe er aus dem Flur raus in seine Küche tritt.

„Sorry, dass ich so spät einfach so reinplatze." presst Louis raus, der Harry offenbar in die Küche gefolgt ist. Harry sieht ihn kurz an, ob noch eine Erklärung dafür folgen wird, Louis bleibt aber still.

„Kein Problem." antwortet Harry mit einem sanften lächeln und macht sich wieder an sein eigentliches Vorhaben.

„Tee, Kaffe, Wasser, Saft, was willst du?"

„Tee." Louis geht ein paar schritte rückwärts während er spricht, bis er sich bequem rückwärts an Harrys Esstisch lehnen kann. Es scheint ein schon ein wenig der Stille von ihm abgefallen zu sein. Die Küche ist klein, besteht lediglich aus einer Kochzeile an der einen Wand, einem Tisch für drei Personen neben der Tür zum Flur und einem Kühlschrank neben einem offenen Durchgang zu einem Raum, der wie ein Wohnzimmer aussieht. Dazwischen ist gerade so viel Platz, dass Harry und Louis an einander vorbeilaufen könnten, aber sie ist sehr schön eingerichtet. Wie der Flur ist auch Harrys Kühlschrank voll mit Bildern und Zeichnungen, manchmal nur ein paar Stichworten oder etwas, dass aussieht wie Noten. Der Tisch an dem Louis lehnt ist aus Holz und sieht durch die ungeraden Kanten selbstgemacht aus. Über ihm ausgebreitet sind Bücher, größtenteils Bücher über Musiktheorie, die gerade genug Platz für einen Teller lassen, unordentlich zu Seite geschoben als hätte Harry sich nicht die Mühe gemacht, sie zum essen wegzuräumen. An der Wand über dem Tisch ist so etwas wie Tafelfolie, unter der schwarzen Schicht sind kleine Luftblasen eingeschlossen. Louis verspürt das alberne Bedürfnis auf sie zu drücken um das Knistern der Folie bei der Bewegung zu hören. Auf der Tafel steht ein Rezept, augenscheinlich etwas mit Hühnchen, Schinken und Kartoffeln. Man kann an den immer schiefer und länger geschriebenen Buchstaben erkennen, ab wann Harry sich quer über den Tisch lehnen musste, um zu schreiben.

Perfect StrangersWhere stories live. Discover now