Kapitel 7 - Len

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Als ich heute Morgen erwachte, galt mein erster Gedanke Jeffrey und der Weichheit seiner süßen Lippen. Ohne jede Hast erkundete die Kuppe meines Daumen jeden Zentimeter und fühlte das Prickeln als wäre er direkt über mir und würde unsere Lippen vereinen. Ich schloß meine Augen und wie eine Fotografie betrachtete ich die Erinnerung in meinen Gedanken. Nachtschwarze Haare, helle Haut und sturmgetränkte blaue Augen. Ich habe nie einen schöneren Mann gesehen und konnte mich schwer von der Macht meiner Träume lösen. Ich ließ zu, dass meine Triebe die Oberhand gewannen und ich etwas tat, was in den Augen der meisten meiner Landsleute nicht normal war.

Ich wuchs in einem konservativen Elternhaus auf und habe mehr als einmal die Proteste vor Veranstaltungen der LGBTQ+ Bewegung in Jakarta gesehen. Auch wenn es per Gesetz nicht verboten ist als Mann einen Mann zu lieben, so ist die Angst vor Diskriminierung und Bestrafung doch sehr präsent. Nach jedem Telefonat mit meinen Eltern verfalle ich in Selbstmitleid und Scham. Sie wünschen sich eine liebevolle Frau an meiner Seite und das Drängen auf eine Ehe mit der Patentochter meines Onkels wird immer lauter. Wie oft habe ich mir vorgenommen ihnen die Wahrheit zu sagen, sammelte all meinen Mut und Kraft zusammen. Um dann doch zu schweigen. So auch am gestrigen Abend. Ich wollte ihnen von Jeffrey erzählen und meine Freude teilen. Aber ich habe es einfach nicht geschafft.

Zu hören, dass Jeffrey diesen Abend nicht möchte, schmerzt ungemein. Ich höre mir an was er zu sagen hat und entscheide dann meinen nächsten Schritt.
"Ich bin Arzt. Spezialisiert auf Notfallmedizin. Den ganzen Tag lief ich mit einem breiten Grinsen im Gesicht durch die Notaufnahme und dankte Gott dafür, dass meine Schicht verhältnismäßig ruhig verlief. Ich konnte unsere Verabredung kaum erwarten und die letzten zwei Stunden krochen quälend langsam dahin. Kurz vor dem Ende meiner Schicht, änderte sich das. Wir bekamen einen Notfall herein. Autounfall. Eine junge Frau, schwanger mit Zwillingen und ein Kind... ein Mädchen kaum älter als meine Patentochter, klammerte sich verzweifelt an ihre Mutter. Ich erspare dir die Details.."

"Du musst das nicht machen. Es ist okay. Tut mir leid", sage ich entschuldigend. Ich hatte keine Ahnung. Wie auch? Bisher haben wir nicht viel miteinander geredet. Ich fühle mich schlecht das ich glaubte, Jeffrey hätte sich eine billige Ausrede zurecht gelegt. Dabei hatte er einen mehr als triftigen Grund sich zu verspäten.
"Lass mich bitte ausreden. Lass es mich erklären. Ich habe einen der Assistenzärzte in den Aufenthaltsraum geschickt um mein Handy zu holen. Er hat es nicht gefunden und ich bin fast durchgedreht weil ich wusste, das du auf mich warten würdest. Gleichzeitig versuchte ich das Leben der Mutter und den Zwillingen zu retten. Das Leben ist nicht immer fair. Und schon gar nicht leicht. Mir ging es nicht gut. Ich brauchte einen Moment für mich und ein Gebet. Dabei dachte ich die ganze Zeit an dich. Um nichts in der Welt hätte ich zugelassen, dich heute Abend nicht mehr zu sehen. Ich habe gehofft, dass du auf mich wartest", sagt er eindringlich und ich schlucke trocken. Fuck er ist Arzt und hat sein Bestes gegeben um unschuldiges Leben zu retten. Leidenschaft und Schmerz liegen in seiner Stimme, die Mutter hat es nicht geschafft. Er muss es nicht sagen, ich kann es spüren.

"Jeffrey."
"Ich habe das Handy in der Innentasche meines Mantels gefunden. Da wo es immer ist. Ich hätte es beinahe an die Wand geworfen als ich sah das der Akku leer ist. Möchtest du noch immer nach Hause?", fragt er. Ich schüttele meinen Kopf und vertreibe die ängstliche Stimme die flüsternd versucht mich aufzuhalten.
"Nein. Ich möchte nicht mehr nach Hause. Aber mir ist noch immer kalt. Auch wenn deine Hände meine etwas aufgewärmt haben", antworte ich und schenke ihm ein aufmunterndes Lächeln. Ich hoffe, der Abend wendet sich noch zum Guten. Bisher ist er alles andere als das. Natürlich freue ich mich, dass er trotz allem noch gekommen ist. Aber ich hätte es auch verstanden, wenn er lieber hätte alleine sein wollen. Langsam zieht er unsere Hände aus den Taschen meines Mantels. Sein Daumen streichelt zärtlich über meine Haut. Eine liebevolle Geste voll Zuneigung und der stummen Bitte von vorne anzufangen.

Winter talesWhere stories live. Discover now