Everything I wanted

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Ich sitze auf dem Beifahrersitz eines Autos, jedoch fehlt der Fahrer. Insgesamt bin ich vollkommen alleine, einsam, verlassen. Unendlich viele Wörter fallen mir ein, mein Dasein zu beschreiben, und doch ist mein Kopf wie leer gefegt. Hinter den Scheiben liegt Dunkelheit, das tiefste Schwarz, das ich je gesehen habe. Trotzdem habe ich keine Angst vor ihr, die Finsternis fasziniert mich eher.

Leise Gitarrenmusik perlt durch die Luft, ich kann nicht sagen, woher sie kommt. Das Auto ist völlig leer, bis auf eine kleine, hellbraune Stoffmaus auf dem Armaturenbrett, die mir irgendwie bekannt vorkommt.

Die Gitarre vermischt sich mit einer sehnsüchtig wirkenden Frauenstimme. Sie klingt wie ein Engel, hell und klar, vielleicht kann ich mir die Traurigkeit in ihrer Stimme deshalb nicht erklären. Ich weiß nicht, wer sie ist, und doch kommt ihre Stimme mir seltsam vertraut vor. Es ist wie der Schatten einer Erinnerung, die ich irgendwann verloren habe, auf der unendlichen Straße des Lebens.

Selbst das leise Klopfen der Regentropfen an den dunklen Scheiben des Autos, die sich anhören wie tausende Finger, geht in ihrem Gesang unter.

Plötzlich verstummt die Musik. Selbst der Regen ist nicht mehr zu hören, egal wie angestrengt ich lausche.

Mir fällt auf, dass ich insgesamt nichts mehr höre. Nicht einmal mein eigener Atem dringt durch die Stille zu meinem Ohr.

Die Finsternis vor mir scheint noch dunkler zu werden und ich spüre, wie Kälte mich durchdringt. An den Scheiben des Autos bilden sich Eisblumen und meine Finger scheinen an dem Ledersitz fest zu frieren. Mein Atem macht sich nur noch durch sanfte Wolken bemerkbar, die durch die eiskalte Luft schweben und dann langsam auseinandertreiben.

Dann spüre ich das Wasser.

Ich habe es wegen meinen Schuhen erst nicht bemerkt, jedoch sehe ich, dass das Auto sich langsam mit Wasser füllt. In den Fluten kann ich einzelne Wörter erkennen, die die Oberflache bedecken, blass und unscheinbar. Es sind Worte aus meinem Leben, Erinnerungen, Gedankensplitter. Manche springen mir sofort ins Auge, manche übersehe ich und habe Schwierigkeiten, sie überhaupt wahrzunehmen.

Ich sehe mich selbst, Momente, die ich längt vergessen habe und unendlich viele Wörter, die sofort Sehnsucht in mir aufsteigen lassen. Am liebsten würde ich all diese Momente noch einmal erleben, um zu wissen, was ich verloren habe. So versuche ich nur angestrengt, mich an jede einzelne Situation zu erinnern.

Erst als mir das Wasser bereits bis zur Hüfte geht, bemerke ich, dass es überhaupt steigt. Auch fühlt es sich nicht an wie normales Wasser, eher wie flüssiges Eis, heiß und kalt zugleich. Ich habe keine Worte, es zu beschreiben, wie es gegen meine Beine drückt. Es wirkt gleichzeitig tot und wie ein riesiges Lebewesen, gleichzeitig gefährlich und sanft. Es ist weder hart noch weich, weder hell noch dunkel. Auch die Farbe lässt sich unmöglich beschreiben, wenn es überhaupt eine Farbe hat. Selbst wenn, mir fehlen schlichtweg die Worte, es zu beschreiben. Ich versuche meine Hand auszustrecken, um die Oberfläche zu berühren, kann meine Arme jedoch keinen Millimeter weit bewegen.

Jetzt geht mir das Wasser bereits bis zur Brust. Die Kälte schwappt in meinen Körper und erdrückt mich innerlich. Ich kann mich nicht einmal mehr gegen die Fluten wehren, bin unfähig mich zu bewegen und dazu gezwungen, tatenlos zuzuschauen.

Vielleicht wäre jetzt der richtige Augenblick, mir Sorgen zu machen, trotzdem habe ich keine Angst. Insgesamt spüre ich überhaupt nichts außer dem Wasser und der unendlichen Kälte.

Dann erfüllt es das gesamte Auto. Ich kann nun weder Atmen noch etwas außer Kälte und Leere spüren, nur Denken, obwohl ich liebend gerne darauf verzichten würde. Würde ich? Ja. Nein. Vielleicht. Die Unentschlossenheit überlagert kurzzeitig jedes andere Gefühl, bis die Kälte sie wegwischt und zu einem unbedeutenden Schatten verblassen lässt.

Doch ohne Gedanken wäre ich ein Nichts, ohne Gedanken würde ich nicht einmal mehr existieren.

Dann geht mir die Luft zum Atmen aus. Meine Brust zieht sich schmerzhaft zusammen und ich spüre, wie ich ersticke. An meinem eigenen Gedanken.

Jetzt wäre es mir doch lieber, gedankenlos in diesem Auto zu verweilen.

Ich spüre, wie die Kälte langsam durch meinen Körper kriecht und ich erdrückt, mehr noch als die Flut der Gedanken.

Dann sehe ich den Riss in der Fensterscheibe, silbergrau und durch das Wasser, das das Auto vollkommen ausfüllt, verschwommen und blass. Außerdem kann ich jetzt erstmals sehen, was sich in der Schwärze verbirgt. Knochenblasse Hände tauchen aus der Dunkelheit auf und greifen nach dem Auto, berühren die Scheibe mit ihren verwesten Fingern, die aussehen wie lange, blasse und abgemagerte Fühler. Doch der Druck muss riesig sein, zumindest vermute ich das, da sich um die Finger leichte Sprünge im Glas bilden.

Dann bricht die Scheibe in einen Regen aus Scherben auseinander und Alles versinkt in erstickender Schwärze.

Everything I WantedWhere stories live. Discover now