Kapitel 58

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Amara
10:35 Uhr

Ich schmiere mir gerade in der Küche ein Brot, als ich Miguels schwere Schritte wahrnehme. Unbeirrt mache ich weiter.

Wenn er was von mir will, soll er mich ansprechen.

"Hast du deine Sachen gepackt?", fragt er mich monoton und kippt sich Whiskey in ein Glas.

"Es ist halb zehn und du trinkst schon?", runzle ich verständnislos die Stirn und lehne mich mit dem Rücken gegen die Küchentheke um ihn mir genauer anzusehen.

Er hat die oberen Knöpfe vom Hemd geöffnet und trägt eine pechschwarze Anzughose, dazu schwarz-glänzende Lackschuhe.

Seine Augen sind etwas rot, sein drei-Tage Bart untermalt sein kantiges Gesicht.

"Ob du deine Sachen gepackt hast.", wiederholt er sich genauso monoton.

"Ob du jetzt schon trinkst.", provoziere ich ihn zurück.

Er trinkt das komplette Glas aus und knallt es auf die Küchentheke, dann starrt er mir in die Augen.

"Wonach sieht es denn aus?", zischt er unfreundlich.

"Schon gut.", wende ich mich letztendlich von ihm ab und schmiere mein Brot weiter. Ich habe keine Lust mit ihm zu streiten. Außerdem ist er angetrunken, das würde so oder so zu nichts führen.

"Was ist? Kommst du nicht damit klar, dass ich dich wie jeden anderen hier behandle?", provoziert er mich, anstatt einfach zu gehen.

Ich schließe die Butter und lege das Messer in die Spülmaschine. Dann richte ich mich auf und schaue ihn direkt an.

"Nein. Du kommst nicht damit klar, dass ich das beendet habe. Das kratzt an deinem Ego und das kannst du nicht haben, Jimenez.", flüstere ich und greife nebenbei nach dem Teller mit dem Brot.

Dann wende ich mich ab und gehe nach draußen.

Er sucht immer die Probleme bei anderen, anstatt sie zuerst bei sich selber zu suchen.

Mein Bruder sitzt auf einem Liegestuhl vor dem Pool und starrt aufs blaue, klare Wasser.

"Hast du schon was gegessen?", mache ich auf mich aufmerksam und setze mich langsam neben ihn auf den Boden. Meine Füße lasse ich ins kalte Wasser hängen.

Jasper schaut mich kurz an, dann starrt er wieder schräg nach unten aufs Wasser.

"Kein Hunger.", brummt er und knetet seine Hände.
Ich seufze erschöpft.
Langsam kriege ich das Gefühl, dass Männer viel anstrengender sind als Frauen.

"Ich fliege heute Mittag nach Los Angeles.", informiere ich ihn, weil Miguel ihm mit Sicherheit nicht Bescheid gegeben hat.

"Schön.", lacht er spöttisch und schaut in die Ferne.
Ohne auf seine Zickerei einzugehen, beiße ich von meinem Brot ab und beobachte das Wasser. Wenn er nicht vernünftig mit mir reden kann, dann soll er es einfach gleich sein lassen.

Anzumeckern braucht er mich jeden Falls nicht. Immerhin ist er wegen mir hier. Er hat wegen mir ein Dach über dem Kopf und trägt wegen mir frische Sachen. Sein Hunger und Durst wurde nur wegen mir gestillt, also soll er mich nicht so behandeln.

"Du wirst nie hier raus kommen.", beginnt er wieder, als ich ihm nicht antworte.

"Ich hätte dich erschießen sollen, dann wärst du jetzt befreit.", spricht er weiter, ohne auf eine Antwort meinerseits zu warten.

"Danke.", spreche ich monoton.

Er schüttelt unglaubwürdig den Kopf.
„Du verstehst nicht, dass das hier bei ihm kein guter Ort ist, oder? Du denkst wirklich, das hier sei das Beste für dich.", lacht er höhnisch und zeigt umher.

Ich glaube nicht, dass das hier für immer das Beste ist, aber im Moment ist es das. Im Moment habe ich nichts anderes. Erst, wenn ich mein Staatsexamen habe und bei einer Kanzlei angestellt bin, habe ich die Chance etwas besseres aufzubauen.

Aber im Moment ist mein Platz bei Miguel.

"Ich packe meine Sachen weiter. Wir sehen uns in einer Woche.", verabschiede ich mich von ihm und gehe absichtlich nicht auf seine Provokation ein. Er weiß, dass ich nicht dumm bin, daher muss ich ihm das nicht nochmal erklären.

"Bestimmt lässt du dich wieder von ihm vögeln.", ruft er mir spottend hinterher.

Ich stocke.

"Wie bitte?", frage ich atemlos.
Habe ich mich gerade verhört?

"Das hast du schon verstanden.", erwidert er arrogant und starrt an mir vorbei.

Dann hole ich aus und schlage ihm mit der flachen Hand auf die Wange.

"Rede noch einmal so mit deiner älteren Schwester und du kannst wieder unter dem Felsen schlafen.", fauche ich und kneife die Augen zusammen.

Nur weil er mein Bruder ist, kann er sich nicht alles erlauben. Er hat die gesamten zwei Tage respektlos mit mir gesprochen, das habe ich mir jetzt lange genug angeschaut. Ich werfe einen letzen Blick auf seine rote Wange, dann drehe ich mich um und gehe ins Haus.

Miguel lehnt in der Terrassentür und hat sich das ganze anscheinend beguckt, doch das ignoriere ich.
Ich habe keine Lust auch noch mit ihm zu diskutieren.

"Ganz schön aggressiv.", stellt er schadenfroh fest und folgt mir.

"Halt die Klappe!", fauche ich und stelle meinen Teller mit einem lauten Knall in die Spüle.
Ich blende Miguels überraschten Blick aus und gehe aus der Küche. Ich weiß, dass er solche Wörter aus meinem Mund nicht gewohnt ist, aber da muss er jetzt durch. Er ist heute auch nicht gerade freundlich mit mir umgegangen.

Ich laufe die Treppen hoch und schaue währenddessen auf mein Handy.

Irgendeiner wird mir schon Bescheid geben, wenn wir zum Flughafen müssen.

Mi amorWhere stories live. Discover now