1.3 Rob

33 10 10
                                    

Tierische Körperteile zu sezieren ist so ziemlich das Widerlichste was es gibt. Es ist würdelos. Kann man das nicht auch am Rechner oder mit irgendeiner App auf dem Handy trainieren? Zwei aus dem Kurs mussten mitten im Unterricht kotzen. Eva hat es bis aufs Klo geschafft, Hannes nicht. Beermann hat die Übung vorzeitig beendet, nicht ohne zu bemerken was für Jammerlappen wir seien. Schon komisch. Während Beermann das Scheuertuch auf das Erbrochene warf und ungelenk darauf herumwischte, fiel mir der Jahrestag wieder ein. Genau heute vor vier Jahren haben sich Nora und Falk zum ersten Mal geküsst. Es fiel mir deshalb wieder ein, weil wir an jenem Tag am Lerchensee gefeiert und eine Menge Alkohol intus hatten. Ich war der erste, der sich gegen Mitternacht ins Gebüsch erbrach, mit Blick auf die Ruine des Hammerstein-Sanatoriums auf der anderen Seite des Sees, in dem sich gespenstisch der Mond spiegelte.

Oh Gott, es scheint eine Ewigkeit her zu sein. Waren wir damals wirklich erst in der achten Klasse? Haben wir mit 14 Jahren wirklich nachts am See abgehangen und Wodka-Cola in uns reingeschüttet? Ich kann es kaum glauben. Nora, Falk, Rob und Isa. Beste Kumpels. Damals wie heute, auch wenn sich die Verhältnisse etwas verschoben haben. Falk ist nicht mehr da. Isi liebt mich und ich liebe sie. Nora ist verschlossener als früher, was ich irgendwie verstehe. So geht es einem wohl, wenn der geliebte Freund plötzlich verschwindet, ohne Abschiedsbrief, ohne Erklärung. Einfach so. Offiziell gilt Falk noch immer als vermisst. Wenn ich ehrlich sein soll, ich glaube nicht daran, dass er noch lebt. Nach allem was bei ihm zu Hause abgegangen ist. Und dann Falks Gefasel von anderen Welten und so. Hat sich für mich immer sehr nach Jenseits angehört. Was Nora denkt, weiß ich nicht. An ihrer Stelle wäre ich längst verrückt geworden. Die beiden haben sich wirklich sehr gern gehabt. Isi ist auch nicht besser im Bilde, was mich wundert. Schließlich sind Nora und sie beste Freundinnen.

Isi und ich wollten uns in der Pause in der Cafeteria treffen, doch als ich dort ankam, war sie nicht da. Ich entdeckte sie nach einigem Suchen auf dem Schulhof, wollte sie aber nicht stören, weil sie sich so intensiv mit Nora unterhielt. Ich freute mich, dass Nora sich wieder ein bisschen zu öffnen schien. Es fühlte sich fast so an wie damals vor einem Jahr, als alles noch in Ordnung, Falk noch bei uns war.
Nach dem Unterricht habe ich Isi dann doch noch getroffen. Wir wollen heute Abend zum See, Grillen und ein paar Bierchen kippen. Das Wetter soll sich halten. Laut Vorhersage soll es erst morgen Früh schlechter werden. Es ist Gewitter vorausgesagt. Ich habe Luc gefragt, ob er mitkommt. Er war nicht abgeneigt. Ich finde, dass er und Nora wunderbar zusammenpassen könnten. Wir werden sehen.

Ich schiebe mein Rad die Einfahrt hinauf und stutze. Papas schwarzer Wagen steht vor der Garage. Ist was passiert? Ich sehe aufs Handy. Kurz nach drei. So früh kommt er nie nach Hause. Sein Leitspruch: bei Abriss-Abendheim wird nicht geschlafen! Wenn die Abrisskugel schwingt, Bargeld winkt! Diesen Satz hat er sich von meiner Mutter sticken lassen und gerahmt hinter seinen Schreibtisch gehängt. Die Abendheim KG, ein Familienbetrieb voller Tradition und Geschichte bis es staubt, und das seit 1946!

Meine Eltern sitzen auf der Terrasse hinterm Haus. Als ich zu ihnen gehe, springen sie auf und umarmen mich überschwänglich. Was geht denn hier ab. Mama hat getrunken. Ihre Wangen glühen. Papas Hemd steht offen. Die Krawatte fehlt. Auf dem Tisch steht eine halbleere Champagnerflasche. Eine teure Marke.
»Sohnemann, wir haben den Zuschlag!«
Ich glotze meine Eltern blöde an. Welchen Zuschlag? Ich weiß von nichts, weiß nur, dass meinen Vater schon seit längerem arge Geldprobleme quälen. Er ist der Meinung, dass zu viel gebaut und zu wenig abgerissen wird. Ob er im Blick hat, dass das eine mit dem anderen zusammenhängt? Bestimmt. Trotzdem ist er ständig am Nörgeln. Kein Abend, an dem er nicht schimpfend und Türen knallend durchs Haus tobt. Ich freue mich, ihn so glücklich zu sehen.
»Glückwunsch!«
Ich greife nach dem dargereichten Champagnerglas. Mein Vater greift mir kumpelhaft an die Schulter.
»Ein Riesenbrocken wird das! Ein Riesenbrocken. Muss wahrscheinlich Extrageräte anmieten und ein paar Leute einstellen!«
Das Gesicht meiner Mutter besteht aus einem einzigen Grinsen. Sie trägt einen neuen Lippenstift. Ich sehe meinen Vater fragend an.
»Das alte Sanatorium sichert uns mindestens vier Wochen Arbeit!«
Ich spüre wie mir die Farbe aus dem Gesicht weicht.

Onion Skins (Staffel 1)Where stories live. Discover now