Angriff auf das Hauptquartier II: Anarchie

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I

Vor einer großflächigen, meterdicken Tür aus Titanstahl gab es einen kleinen Vorraum. An der Wand dieses Foyers standen einige Bänke und auf einer davon saß ein weinendes kleines Mädchen.

Sie war kein gewöhnliches Kind und war weit davon entfernt die Erscheinung eines gewöhnlichen Kindes zu haben. Sie hatte vollkommen weiße Haut und stechend grüne Augen, ihre einst braunen Haare waren von Blut durchsetzt, das auch an ihrem Gesicht Spuren hinterließ. Selbst ihre Tränen hatten einen leichten Rot-Ton, auch wenn sie kein Blut weinte. Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen um ihr Schluchzen zu ersticken.

„Es ist gefährlich, so alleine hier draußen zu sitzen!“ sagte eine Stimme, die auf sie zukam. Das Mädchen sah nicht einmal auf sondern ließ ihre Tränen weiterfließen. Der Besitzer der Stimme setzte sich neben sie. „Du bist Sally, nicht wahr? Was hast du denn?“ Seine Stimme klang weich und war voller Mitleid. Sally spürte in seiner Gegenwart ein leichtes Gefühl von Sicherheit. „Angst…ich hab so furchtbare Angst!“ Sallys Stimme zitterte und wurde fast durch ihr Schluchzen übertönt.

Sally fühlte, dass jemand nahe an sie heranrückte und sie in die Arme nahm. Sie drückte ihr Gesicht in seine Brust, dankbar für seine Zuwendung. Sie hatte das Gefühl, als wäre er ihr Beschützer. „Wovor fürchtest du dich? Vor ‚ihm‘?“ fragte dieser und Sally nickte schwach, ohne die Lage ihres Gesichts zu verändern. „Du willst nicht, dass all die anderen dich weinen sehen, was?“ Ein weiteres kurzes Nicken. „Dabei ist das vollkommen in Ordnung! Alle haben Angst, weißt du? Auch wenn du ein Übermensch bist, wie die meisten im Bunker hinter der Tür, bist du trotzdem ein Kind und Kinder sollte man trösten, wenn sie Angst haben!“ Sally beruhigte sich langsam. Sie begann damit ihrem Beschützer zu vertrauen. Mit ihrem Gesicht in seiner Brust fühlte sie sich sicherer denn je in diesem verfluchten SCP-Hauptquartier.

„Aber…“ begann sie schluchzend, „sie haben gesagt, er hat den Slenderman getötet und dass niemand stärker ist als der Slenderman. Sie haben gesagt, er wäre hier und würde uns alle töten!“ „Tja…“ die Stimme ihres Beschützers war sanft aber ernst. „Es stimmt, dass sich bisher niemand mit dem Slenderman messen konnte, ‚er‘ muss sehr stark sein. Aber jetzt ist alles anders! Alle kämpfen gemeinsam. Einer solchen Kraft musste sich bisher niemand stellen.“

Sally war noch immer nicht ganz zufrieden. „Warum…Warum tut er das?“ wimmerte sie. Ihr Beschützer drückte sie fester an sich und flüsterte ihr ins Ohr: „Es gibt viele Motive zu töten. Hier bei all diesen Kreaturen wirst du die unterschiedlichsten finden. Manche töten aus Rache, wie du Sally, manche tun es aus Spaß, wie Jeff, für solche gibt es nichts Schöneres als anderen beim Verenden zuzusehen. Manche tun es aus Instinkt, wie der Rake es tat, Raubtiere für die alles eine Jagd ist. Manche töten schließlich aus unbegreiflichen Gründen, wie der Slenderman. Wir alle haben getötet, ‚er‘ unterscheidet sich lediglich durch sein Ziel von uns. Er ist etwas Anderes, etwas Schlimmeres und alle anderen Wesen sind sein Ziel. Und deshalb gibt es dieses Bündnis“

Diese Ansprache bestärkte Sally nur wenig. „Was wenn das Kämpfen nichts bringt? Was...“ sie machte eine Pause um zu schluchzen, „Was wenn er stark genug ist um uns alle zu töten?“ „Jeder muss irgendwann sterben“ flüsterte ihr Beschützer, „auch wenn es für manche dieser Kreaturen das zweite Leben ist, muss es doch ein Ende geben. Aber weißt du was? Wenn ‚er‘ wirklich so mächtig ist, wie du fürchtest, werde ich dich bis zum Schluss im Arm halten. Bis es vorbei ist!“

„Versprochen?“ fragte sie, „Versprochen!“ war die Antwort und als  Bekräftigung drückte ihr Beschützer sie noch etwas fester. Und noch fester. Und noch fester. Sally spürte, wie ihr Körper nachgab, sie begann sich zu wehren, doch die Arme, von denen sie dachte, sie würden sie vor Schaden bewahren, umschlangen sie unerbittlich enger und enger.

Something WorseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt