Von Geschäftsessen und Déjà-vus

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Ein unsicheres Lächeln blickt mir entgegen, als ich nun schon das vierte Kleid vor mich halte und mich mein Spiegelbild genauso unsicher mustert, wie ich mich seit einer halben Stunde fühle.
Ich wollte meine unfreiwillige Mittagspause eigentlich nutzen, um mich um Unterlagen zu kümmern, die sich schon seit Wochen in meinem Fach „irgendwann demnächst erledigen" stapeln, aber irgendwie wollte die Konzentration nicht so ganz kommen. Und da meine Gedanken sowieso ständig zu dem Essen heute Abend schweifen, wollte ich mich gleich darum kümmern, vielleicht verfliegt dann auch diese nervige Nervosität. Also dieses Kleid wird es auch nicht. Ich werfe es zu den anderen Kleidungsstücken, die ich schon auf meinem Bett verteilt habe und hole Nummer fünf aus meinem Kleiderschrank. So bin ich doch eigentlich gar nicht. Wahrscheinlich liegt es daran, dass viel von diesem Gespräch abhängt. Frau Fährmann ist zwar für meinen Auftrag zuständig, aber wie ich so von Mona gehört habe, scheinen sie und Herr Wagner sich auch privat ganz gut zu verstehen... vielleicht kann er sie ja wirklich überzeugen. Und durch so einen großen Auftrag wäre ich dann auch einige andere Probleme los.
Ich drehe mich nach rechts und halte das moosgrüne Kleid enger an meine Taille. 'Ich habe die schönste Frau in ganz Deutschland, ach was sage ich, der ganzen Welt!', wie ein Blitz durchfährt mich die Erinnerung an Saschas 12. Geburtstag und ich sehe Andreas vor mir wie er mit seinem Lächeln auf mich zukommt und mir eine Strähne hinters Ohr streicht. Mein Sohn wollte abends alleine mit seinen Freunden feiern und Andreas hatte mich zum Trost in ein traumhaftes Sterne-Restaurant entführt. Als er mich in diesem Kleid gesehen hatte, dachte ich noch er meint das alles ernst. Tja... so kann man sich täuschen. Ich will das Kleid gerade mit einem Ruck zu den bereits aussortierten Sachen verfrachten als ich es mir noch einmal anders überlege. Ich streiche sanft über die verschiedenen Stoffe der bunten Kleider, die vor mir liegen und mir fallen sofort unzählige Momente ein, in denen mein Ex-Mann mich so berührt hat. Jedes Kleidungsstück erzählt eine andere Geschichte. Den hier, ich halte einen langen schwarzen Rock zwischen den Fingern, hatte ich bei unserem letzten gemeinsamen Familienurlaub an und das, ich streiche über den Kragen einer bunt gemusterten Bluse, bei einem wunderschönen Spaziergang am See. Ich habe zwar alle Geschenke, die von Andreas kamen, entsorgt, aber die Erinnerungen kann man nicht so einfach wegwerfen. Die trägt man immer mit sich herum, egal wie schwer sie auch sind. Und niemand kann dir beim Tragen helfen.
Seufzend betrachte ich mich wieder im Spiegel. „Ich lass mir von dir nicht mehr mein Leben bestimmen." entschlossen hänge ich das moosgrüne Kleid an einen Stuhl. Nachdem ich den Rest wieder sorgfältig verstaut habe, blicke ich nochmal in den Spiegel. Die Unsicherheit ist nun nicht mehr so deutlich zu erkennen wie noch vor ein paar Minuten. Ich nicke mir aufmunternd zu, ziehe mir dann meine Jacke über und verschwinde in meinen Laden.

Der restliche Tag vergeht relativ schnell. Einige neue Kunden haben meinen Laden entdeckt, wenn auch nur wenige so kauf freudig waren, wie ich das gerne hätte. Auch Mona hat zwischendurch in ihrer Werkstatt, die nur durch eine Türe von meinem Showroom getrennt wird, an ihren Entwürfen für unsere neue Kollektion gearbeitet und als ich ihr von meinem Geschäftsessen mit Herrn Wagner erzählt habe, hat sie mir nur mit einem schwer zu deutendem Blick ein „Aha..." zugeworfen.
Jetzt stehe ich unschlüssig an der Bar im Carlas und schaue auf die Uhr. Als ich sehe, dass ich ein paar Minuten zu früh bin, setze ich mich auf einen der Hocker und als die Barkeeperin mich nach meiner Bestellung fragt, ordere ich mir nach kurzem Zögern einen Orangensaft. Das enganliegende Kleid ist mir beim Setzen ein wenig nach oben gerutscht und so verbringe ich die Wartezeit damit, es wieder in Position zu bringen. Gerade als ich aufsehe, da die Bedienung meinen Saft vor mich hinstellt, sehe ich Herrn Wagner, der am Eingang steht und sich suchend umblickt. Wie auf Kommando treffen sich unsere Blicke und er kommt lächelnd auf mich zu. „Schön Sie zu sehen.", er streckt mir die Hand entgegen. „Ebenfalls", antworte ich, nachdem ich mich von dem Barhocker erhoben habe. Ich nehme seine Hand und die Erinnerung an heute Mittag strömt durch meine Adern. Er hat wirklich einen besonderen Händedruck. „Sie sehen umwerfend aus.", unsere Hände lösen sich voneinander und er macht eine ausladende Bewegung, um mein Kleid zu bewundern. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht, doch der Gedanke an die vielen Komplimente, die Andreas mir schon in diesem Kleid gemacht hat, lässt das gute Gefühl in meinem Bauch wieder verschwinden. „Danke.", verlegen schaue ich mich um. „Wollen wir uns setzen?" Der braunhaarige Hoteldirektor nickt mir zu und nachdem ich meinen Orangensaft geschnappt habe, führt er mich zu unserem Tisch an der Fensterseite des Carlas. Er schiebt mir meinen Stuhl beiseite, setzt sich dann auf seinen Platz und öffnet den Knopf seines blauen Jacketts.
„Hat Frau Fährmann denn schon etwas zu meinen Entwürfen gesagt?", starte ich das Gespräch. Mein Gegenüber schüttelt den Kopf. „Ich habe sie den ganzen Tag heute nicht mehr gesehen. Aber spätestens morgen nimmt sie sich sicher dafür Zeit." Sein Wort in Gottes Ohr. Ich mustere ihn. Er hat überhaupt nichts von dieser abgehobenen „reiche Leute Art", im Gegensatz zu seiner Partnerin. Ob es stimmt, das die beiden nicht nur beruflich viel mit einander zu tun haben? Ich kann es mir kaum vorstellen, aber es gibt ja die kuriosesten Geschichten. Das Vibrieren meines Handys holt mich aus meinen Gedanken zurück. Entschuldigend hole ich es aus meiner Tasche und sehe Saschas Gesicht aufleuchten. „Oh mein Sohn! Würden Sie mich für einen Moment entschuldigen?", fragend blicke ich ihn Herrn Wagners braune Augen. „Klar, ich bestelle schon mal. Haben Sie einen Wunsch?" Ich deute mit dem Finger auf das Tagesmenü der geöffneten Speisekarte und verschwinde dann dankend vor der Tür des Restaurants.

Have you ever really loved a woman?Where stories live. Discover now