Kapitel 1

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Wenn mir die Frage gestellt werden würde, an welchem Ort in unserem Reich am wenigsten Frieden herrsche, dann würde ich mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, im Friedenspalast. Doch ehe mir eine solche Frage gestellt werden wird und ich endlich meine Meinung frei vertreten darf, muss dieser seinem Namen gerecht werden. Und das wird noch lange dauern.

Der Raum, in dem wir uns gegenüber sitzen, mit gefälschten Lächeln und immer dazu bereit, Lüge und Verrat zu vertreten, ist der Prunksaal unseres Palastes. Die vergoldeten Säulen spiegeln das Licht und hüllen den Raum in einen trügerischen Glanz ein, die Gemälde zeigen angeblich historische Ereignisse, die so niemals stattgefunden haben. Alles hier in diesem Raum ist unecht und verlogen. Eingeschlossen uns, den zwölf Prinzessinnen, von denen eine die Ehre haben wird, den Prinzen zu bekommen.

Doch bei solch einem Preis bleibe ich lieber ehrenlos. Das sind wir doch eh alle schon. Denn Anstand hat hier keine Bedeutung mehr. Wichtig ist die Fähigkeit, seine wahren Gedanken möglichst gut hinter einem heiligen Lächeln zu verstecken. Und darin bin ich Profi.

Die anderen Mädchen, welche an dem kreisrunden Tisch sitzen und sich gegenseitig anlächeln und sich noch nicht Mal mit ihren Blicken ihre Abneigung verraten, sind aber genauso gut darin, nein, viel besser sogar. Ich bin von Geburt an impulsiv, emotional und vor allem sehr misstrauisch. Hinter jeden Rücken vermute ich einen Dolch, hinter jedem Lächeln eine Lüge, hinter jedem Kuss einen Verrat. Aber das ist nicht meine Schuld, denn wie sagten es die großen Humanisten? Die Gesellschaft formt den Menschen. Und wenn ich nun Mal in einer Gesellschaft lebe, die absolut nicht vertrauenswürdig ist, dann ist das nicht meine Schuld, wenn ich nicht zu einem naiven Engelchen heranwachse. Die anderen sind ja auch nicht besser.

Ich schaue rüber zu Auria, unserer jüngsten Prinzessin, mit großen, blonden Locken und unschuldigen, blauen Augen. So sieht Scheinheiligkeit in der höchsten Perfektion aus. Sie hätte vor aller Augen eine von uns Rivalinnen umbringen können und niemand würde sie verdächtigen, nein, sie würden sie noch fragen, ob es ihr gut gehe und ob sie irgendwelchen Schaden davongetragen hatte. Direkt neben ihr sitzt Regina, welche eine ganz andere Strategie verfolgt. Ihre flammend roten Haare hatte sie hochgesteckt und ihre grünen Augen blitzen auf, wenn sie lächelte. Sie hatte eine scharfe Zunge und schaffte es immer alles in Lächerliche zu ziehen - sie würde einfach die Wahrheit sagen und danach lachen - die Leute würden ihr glauben, dass es ein Witz wäre. Und das sind nur zwei Beispiele von zwölf, jedes Mädchen hatte ihre Strategie und ihre Eigenarten, und ich kannte sie alle. Mein Vorteil dabei war, dass sie mich nicht kannten, ja, noch nie gesehen haben. Und eigentlich habe ich sie auch noch nie kennengelernt. Theoretisch. Wäre ich nicht in dieser bescheuerten – ach, der Prinz betritt das Zimmer.

Prinz Roland III. , der Kronprinz unseres Reiches, ein wunderschöner junger Mann, gut gebaut und intelligent, wie man es von einem Prinzen erwarten konnte. Natürlich auch verlogen – aber das ist Nebensache. Schließlich bringt er drei unwiderstehliche Eigenschaften mit: Er sieht gut aus, hat viel Geld und ist mächtig. Was will man mehr?

Er setzt sich rechts neben den Thron seines Vaters, dem König, der nun auch den Raum betritt. Wir erheben uns ehrfürchtig und ich summe leise bei der spielenden Nationalhymne mit. Ich hatte immer schon eine Vorliebe für Musik, doch hatte ich nie die Möglichkeit, sie ausüben zu können. Und jetzt kommt die Ansprache des Königs: „Sehr geehrte Prinzessinnen, es ist mir eine Freude, euch nun persönlich gegenüber zu stehen, vor allem, wo ich nun weiß, dass eine von euch meinen geliebten Sohn heiraten wird. Ich hoffe für uns alle, dass es eine schöne Zeit wird und das jede einzelne von euch, ob Siegerin oder nicht, etwas dazu lernen wird. Denn ihr seid keine Rivalinnen, keine Konkurrenten, sondern Freunde, welche durch das Schicksal verbündet wurden. Ihr wurdet auserwählt, als die Edelsten der Edelsten, als die schönsten Adeligen unseres Landes, in dem schönsten Wettbewerb miteinander – nicht gegeneinander – anzutreten. So wie der große Held damals unser Reich erbaute und voller Wahrheit und Freude war, so hoffe ich, dass auch ihr seinen Geist in euch tragt."

Der König fängt an, die gesamte Geschichte unseres Landes zu erzählen, aber ich kenne sie schließlich schon in und auswendig, deswegen verbringe ich die Zeit damit, mir Gedanken zu machen, wie ich meine Rivalinnen – denn das waren sie – los zu werden. Wie auf ein Stichwort fühle ich das kalte Eisen meines schwarzen Schwertes, welches ich immer unter meinen weiten Kleidern bei mir trage. Natürlich, das wäre meine bevorzugte Variante – doch sie war schwer um zusetzten. Zuerst wäre es noch möglich, die Schuld jemand anderes in die High-Heels zu schieben, aber schon bald wäre nur noch ich über.

Ach ja – ich trage aus Prinzip keine High-Heels. Meiner Meinung nach sind sie unbequem, vor allem, wenn man in ihnen etwas verstecken will. Deswegen bevorzuge ich hohe Stiefel und generell geschlossene Schuhe, in die ich einen kleinen Dolch stecken kann.

Der König hat seine Rede beendet und nun müssen wir alle aufstehen und einen Eid schwören, auf dessen Bruch die Todesstrafe gilt: „Wir, als die Auserwählten schwören bei unseren Leben, den Wettkampf miteinander, nicht gegeneinander, in Freundschaft, nicht in Rivalität, aus guten Werten und wahrer Liebe, nicht aus Machteslust zu bestreiten. Wir schwören ehrlich und tapfer zu sein, ohne Gewalt vorzugehen und unsere Seelen nicht zu beflecken. Wir schwören unserem König und dem Prinzen treu zu bleiben bis zum Schluss unserer Tage, welches Ende der Wettkampf auch nehme. Bei unserem Leben schwören wir dies!"

Wir müssten alle schon längst tot sein. 

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⏰ Ultimo aggiornamento: Jul 20, 2021 ⏰

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Die Prinzessin - Verrat, Betrug und LügeDove le storie prendono vita. Scoprilo ora