[30] Angst wird gefolgt von Hass

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PoV. Levi

„Der war mal ein Mensch?"
„Ja", antwortete (L/N) leise, als würde es ihr noch immer schwerfallen es sich selbst einzugestehen.
Sie saß auf einem Stuhl, eher gesagt auf einem Hocker mit Lehne, der etwas zu hoch für sie war, weshalb ihre Fußspitzen nur leicht den Bodem streiften und die trocknete Erde dort aufwirbeln ließen. Ihren Blick hatte sie fest an den Titanen vor uns gerichtet, der trotz der niedrigen Gefahrenstuffe mit dicken Seilen locker am Boden festgebunden war.
Ich sah sie flüchtig an, was sie aber nicht mitbekam. So tief in ihren Gedanken war sie versunken.

Sie war schon hier, als ich mich schlicht neben sie gestellt hatte.
Noch immer stellte ich mir die Frage, was sie genau empfand, wenn sie in das Gesicht ihres damaligen Freundes blickte, welcher nur noch ein seelenloser Riese war. War es Zuneigung oder eher Mitleid, welches sich in ihren Augen widerspiegelte?
„Es ist komisch, nicht?"
Sie streckte dabei ihren Arm aus und spannte ihre Hand an. Sie lächelte vertrauensvoll, als Kai seinen Finger vorsichtig gegen ihre Handfläche drückte, als hätte er Angst sie dabei zu verletzen.

Kurz danach verschwand ihr Lächeln wieder und sie ließ schwer ihren Arm sinken.
„Eine Raupe wird zum Schmetterling und ein Blattlauslöwe zum Marienkäfer, so ist es vorgesehen."
Nun schaute sie mich an, mit einem Schmerz in ihrem Blick, den ich nur zu gut nachempfinden konnte.
„Aber es war nicht vorgesehen, dass er, wie viele andere Menschen, plötzlich zum Titanen wird. Ganz sicher nicht."
Ich antwortete nicht, denn jedes weitere Wort wäre zu viel gewesen. Auch eine gescheite Antwort konnte ich mir beim besten Willen nicht zusammenreimen.
Aber auf eine Antwort schien sie auch gar nicht zu hoffen.
Sie hatte nämlich selbst noch keine gefunden.

„Es tut mir leid, Levi", sagte (L/N) und ohne dass ich sie anzuschauen brauchte, wusste ich, dass sie es ernst meinte.
„Was tut dir leid?"
„Alles", meinte sie bitter, was mir schon mitteilte, dass es nichts bringen würde weiter darauf einzugehen. Schließlich wusste sie selbst, was sie mit "alles" meinte, und das ist meines Erachtens das wichtigste bei einer ernstgemeinten Entschuldigung. Aber eigentlich konnte ich mir auch denken, was sie damit sagen wollte. Trotzdem ließ ich es dabei bleiben, fürs Erste zumindest.
„Angenommen", erwiderte ich, was sie dankbar lächeln ließ.
Danach folgte Stille, nicht unbedingt eine unangenehme. Sie verhalf uns beiden etwas unsere Gedanken zu ordnen und richtig durchzuatmen.

Schließlich wandte ich mich zu ihr, worauf sie mir ebenfalls einen kurzen verstohlenen Blick zuwarf.
„Warum hast du mir nichts gesagt?"
Zwar hatte ich versucht nicht zu gekränkt dabei zu klingen, aber ich glaube, dass sie es trotzdem rausgehört hatte. Es wäre nämlich gelogen, wenn ich sagen würde, dass es mich nicht gestört hätte, dass sie mir nichts gesagt hatte. Ich war mir nämlich sicher, dass wir schon genug Zeit miteinander verbracht hatten, damit sie mir so etwas anvertrauen konnte. Aber vielleicht war ich auch ganz alleine mit dieser Ansicht.

Sie schaute überrascht auf, sah aber wieder weg. Kurz öffnete sie ihren Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn aber gleich wieder.
Ich verzog vor Unverständnis mein Gesicht. War es so schwer für sie auf so eine simple Frage zu antworten?
Sie seufzte.
„Ich...Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, warum ich dir nichts gesagt habe."
„Wenn du es nicht weißt, wer soll es dann wissen?"
„Ich glaube ich hatte einfach Angst es dir zu sagen", sagte sie, als realisierte sie erst jetzt, was der eigentliche Grund gewesen war.

Erneut überkam mich das Unverständnis, und dieses Mal in doppelter Ladung. Sie hatte Angst gehabt? Vor mir? Und noch wichtiger, hatte sie diese Angst immer noch?
Ein Gefühl des Unwohlseins überkam mich und gleich danach ein stechender Schmerz in der Brust.
Ist es das, was man empfindet, wenn einem das Unerwartete direkt ins Gesicht geworfen wird?
Zugegeben, ich bin sicher nicht die Person, die jedem zuhört, aber für sie hätte ich mir die nötige Zeit genommen. Ich hätte sie sicher nicht für irgendetwas verurteilt, woran sie keine Schuld trug.
Und ich dachte wirklich, dass sie das wüsste. Aber vielleicht hatte ich es nur insgeheim gehofft, es mir geradezu eingeredet.

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⏰ Letzte Aktualisierung: May 05, 2022 ⏰

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Aɴ ᴡᴇɴ ᴇʀɪɴɴᴇʀsᴛ ᴅᴜ ᴍɪᴄʜ?||Lᴇᴠɪ×RᴇᴀᴅᴇʀWo Geschichten leben. Entdecke jetzt