{58} Allegretto primaverile, pt. 3

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»Geht's wieder?«

Kasimir spürte, wie sich Cecilies Arme sanft um seine Schultern legten. Seine Augen brannten und auf seiner Brust lag ein schwerer Druck, der ihm jegliche Antwort versagte.

Aufgrund der Umstände hatte die Jury eine Pause von fünfzehn Minuten anberaumt, in denen sich alle Anwesenden sammeln konnten. Er hatte nicht geglaubt, dass sein musikalischer Gefühlsausbruch derart hohe Wellen schlagen würde, und die Scham darüber verfestigte sich allmählich in seinem Verstand.

»Na ja, wenn das jedes Mal so abgeht, kann ich schon verstehen, warum Menschen Geld dafür zahlen«, sagte Thomas, der sich nicht sattsehen konnte an den triefenden Gesichtern. »Du bist ja richtig aus dir rausgegangen, Kleiner. Hätte nicht gedacht, dass man trotz Flennerei noch die Tasten trifft.«

»Tommy, lass es. Merkst du nicht, dass das überhaupt nicht komisch ist?«

»Also ich find's ziemlich unterhaltsam.«

Kasimir hatte keine Kraft, sich über Thomas' Ansichten aufzuregen. Er wusste nicht einmal, wie er Francescas Auftritt überstehen sollte, ohne gleich wieder in Melancholie zu verfallen. Zwar war er überzeugt davon, zumindest einen emotionalen Auftritt abgeliefert zu haben, aber das nutzte nichts, wenn sie sein Lied ausreichend gut interpretierte. Leonhard hatte ihm tags zuvor erzählt, dass sie die ganze Woche daran gefeilt hatte und es fehlerfrei spielen konnte ...

»Huch, wo kommst du denn plötzlich her?«

Cecilies Stimme durchschnitt seine Gedanken und er blickte auf. Sein Herz zog sich zusammen.

Dort stand er.

Zwei Meter von ihnen entfernt, fröhlich zur Begrüßung winkend. Wann war er aufgetaucht? Wie lange war er schon hier?

»Sorry für die Verspätung. Mir ist was dazwischen gekommen.«

Leonhards Lächeln raubte Kasimir die Fassung. Sein Entsetzen musste sich in seinem Blick spiegeln, anders ließ sich kaum erklären, wieso es von Sekunde zu Sekunde deutlicher von Leonhards Lippen abfiel. Irgendwann ließ er den Arm sinken und setzte sich neben Kasimir, stützte die Hände auf seine Knie und blickte ihm in die Augen.

»Tut mir leid. Ich weiß, ich bin ein Mistkerl.«

Kasimir konnte nicht verhindern, dass ihm erneut die Tränen in die Augen stiegen. Was war nur los? Wieso konnte er nicht darüber hinwegsehen, mit den Schultern zucken und es als Nichtigkeit abtun? Er hatte eine gute Leistung abgeliefert, auch ohne Leonhard an seiner Seite. Er sollte stolz auf sich sein. Stattdessen ließ er wieder zu, wie sich seine Würde aus dem Staub machte, senkte seinen Blick und wisperte irgendetwas wie »Schon okay« in Dankbarkeit, sich in diesem Moment nicht im Spiegel sehen zu können. Es war erbärmlich, wie sehr er an diesem Jungen hing.

»Was ist denn passiert?«, wollte Cecilie wissen. »Kasi hat einen Wahnsinnsauftritt hingelegt, die Jury muss sich erstmal erholen.«

»Schon gehört, Franna war auch total aufgelöst. Ich glaube, sie weiß, dass sie es ganz schwer haben wird ...«

Kasimir biss die Zähne zusammen. Er war also zuerst zu ihr gegangen.

»Am Ende zählen die nackten Zahlen. Wenn Kasi dieselbe Punktzahl hat wie sie, ist er raus.«

»Mach dir nicht ins Hemd«, beschwichtigte Thomas seine Verlobte. »Das wird schon reichen. Nach dem Drama, das der Bengel abgezogen hat ...«

Es kümmerte Kasimir nicht mehr, ob er gegen Francesca gewann oder nicht. Er hatte alles gegeben, alles, was er konnte. Wenn das nicht genügte, würde er es akzeptieren.

»Tut mir wirklich leid«, sagte Leonhard und wandte seinen Blick nicht von ihm ab, obwohl Kasimir den Kopf schüttelte. »Ich werde mich revanchieren, okay? Ich habe eine Überraschung für dich. Keine Ahnung, ob du dich darüber freust, aber du musst sie wohl oder übel hinnehmen.«

All Eyes On Me [1]Where stories live. Discover now