Onish 3-2 Wiedergeburt einer Legende

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Wiedergeburt einer Legende

Hajtash reitet neben dem Wagen her, auf den sein Diener zwischen Zelttuch und Decken gebettet liegt. Trotz aller Versuche, die Reise für den kranken Mann so erträglich wie möglich zu gestalten, wird er ununterbrochen hin und her geschüttelt. Hajtash macht sich wirklich Sorgen um Tejlish. Dieses Gefühl ist für ihn ungewohnt. Als Heiler besitzt der Shalen keine nennenswerte Begabung. Er befürchtet sogar, dass seine Magie ein Grund für die Krankheit seines Vertrauten ist.
In seinem Drang,  schneller voranzukommen, gewöhnte er sich vor einiger Zeit an, die Pferde mit Hilfe kleiner Energieschübe aus Feuermagie anzuspornen. Dies führte dazu, dass die Tiere unermüdlich immer weiter durch den Schnee stapften und sie täglich näher an die Hauptstadt heranbrachten. Tejlish ritt die ganze Zeit klaglos an seiner Seite. Die Strapazen der Reise gingen aber nicht spurlos an dem älteren Mann vorbei. Als er sich schließlich vor Ermüdung kaum mehr im Sattel halten konnte, ging Hajtash dazu über, für ihn das gleiche zu tun wie für die Pferde. Er ließ kleine Portionen von Feuerenergie in seinen Körper einfließen, um ihm das Weitermachen zu erleichtern. Das erzeugte die gewünschte Wirkung. Teilish schien aus der Feuerenergie Kraft zu schöpfen. So verbrachten sie täglich mehr Stunden im Sattel, als Hajtash für möglich gehalten hätte.
Alles ging gut, solange der Shalen seine Energiereserven immer wieder auffüllen und in regelmäßigen Abständen an seine Begleiter, Tier und Mensch, weitergeben konnte. Einige aufeinanderfolgende Tage mit tief hängenden Wolken und starken Schneefällen erschöpften aber Hajtashs magische Kräfte, er musste sparsamer damit umgehen. Ihr Reisetempo verlangsamte sich deshalb stetig, und eines Tages brach Tejlishs Pferd unvermittelt zusammen. Das Tier war völlig erschöpft und ausgemergelt, auch eine verlängerte Rast brachte es nicht mehr dazu, wieder aufzustehen. Der Feuermagier musste erkennen, dass selbst sein magischer Einfluss es nicht mehr retten konnte. Der Zustand von Hajtashs eigenem Pferd war nicht viel besser, und bei näherem Hinsehen stellte er fest, dass auch sein geschätzter Diener inzwischen dem Zusammenbruch nahe war. Er war deshalb gezwungen, eine ausgedehnte Rast einzulegen.
Zwischen einigen großen Felsen fanden sie einen geschützten Lagerplatz und Hajtash entfachte ein großes Feuer, um es Tejlish so gemütlich wie möglich zu machen. Aber die Einsicht kam zu spät. Während sich das Pferd des Magiers langsam etwas erholte, setzte bei Tejlish in dieser Nacht hohes Fieber ein. Er war nicht in der Lage, am nächsten Tag die Reise wieder aufzunehmen. Hajtash war sich seiner geringen Fähigkeiten in der Heilkunst schon immer bewusst. Die begabten Heiler stammen alle aus der Gilde der Schattenwandler. Die Talente von Feuermagiern umfassen andere Dinge. Trotzdem versuchte der Shalen, Tejlish zu helfen, erfolglos.
Er musste einsehen, dass ihm nur zwei Möglichkeiten blieben. Entweder konnte er alleine weiterreiten, auf die Gefahr hin, sein Pferd noch am gleichen Tag ebenfalls zusammenzubrechen zu sehen. Als andere Lösung bot sich an, auf die zurückgebliebenen Wagen zu warten, die unter der Leitung seiner Schülerin auf seiner Spur folgten. Schweren Herzens entschloss er sich zu dieser Variante.
Zwei Tage später trafen die Wagen ein. Mit ihnen sollte es gelingen, Teilish rechtzeitig zurück nach Penira oder zumindest zu einem Heiler in einem Dorf in der Ebene zu bringen.
Hajtash muss sich bitter eingestehen, dass die Suche nach den Eiern der Shahraní ein erfolgloses Unternehmen war. Nun will er nicht noch den Tod seines einzigen wirklichen Vertrauten riskieren. Was kann es für eine Rolle spielen, ob er einen Tag früher oder später in Penira eintrifft? Er wird selbstverständlich bei nächster Gelegenheit mit allen Mitteln versuchen, die Dracheneier wiederzufinden. Das wird aber nur mit Blutmagie möglich sein, und dafür muss er im Vollbesitz seiner Kräfte sein. Diese gefährliche Magie wirkt am besten, wenn der Einfluss des Mondes schwach ist, also bei Neumond. Da der Mond inzwischen schon wieder im letzten Viertel steht, wird er auf den übernächsten Neumond warten müssen. Bis dahin werden sie selbst im Tempo der langsamen Wagen die Hauptstadt erreichen. Wenn er nur wüsste, wer ihm diesen Streich in Sellei spielte! Das gequälte Husten Teilishs reißt ihn aus seinen Gedanken. Besorgt mustert er das schweißnasse Gesicht seines Dieners. Sie werden bald wieder eine Rast einlegen müssen. Immerhin haben sie nun die bewohnten Ebenen Kelèns erreicht. Sie werden im nächsten Dorf Zimmer in einem Gasthaus suchen. Beim Gedanken an eine warme Mahlzeit, einen Krug Bier und ein weiches Bett bessert sich die Stimmung des Shalen etwas.

Onish | Wattys 2015 GewinnerWhere stories live. Discover now