Prolog Part 1

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Der sommerliche, frische Duft von Blumen steigt mir in die Nase, als ein kleines, laues Lüftchen weht. Um mich herum Wiesen, Bäume und Sträucher in den unterschiedlichsten Grüntönen. Vögel zwitschern über mich hinweg. In der Ferne höre ich das Geschnatter von Enten, die vermutlich auf dem See ihre Runden drehen. Aber auch Gelächter und Stimmen von Menschen, die sich in diesem Park aufhalten. Das Geräusch von Gummi auf dem Asphalt von all den Radfahrern und Inlineskatern saust mir um die Ohren.
Hier und da höre ich Hundegebell und den Klang eines Baseballschlägers, der mit Wucht auf einen Ball trifft.
Eine friedvolle Idylle, wenn man all die Hochhäuser ignoriert, die sich um diese gigantische Grünanlage herum reihen. Dazwischen breite Straßen, vollgestopft mit hupenden Autos und hektischen Menschen.

New York.

Seufzend lasse ich mich auf eine freie Parkbank nieder, platziere meine Tasche neben mir und zücke das Buch, in dem ich aktuell lese. Ein Kriminalroman von meiner Lieblingsschriftstellerin, deren Geschichten mich so sehr mitreißen, dass ich dabei die Realität vergesse.
Bevor ich mich aber in die fiktive Stadt entführen lasse, positioniere ich meine Handtasche so, dass kein potentieller Taschendieb eine Chance nutzen kann. Immerhin befinden sich darin wichtige Unterlagen und Dokumente, die ich für das heutige Gespräch mit meinem Mandanten benötigt habe.
Dieser Termin war schneller erledigt als erwartet, und weil der nächste erst in zwei Stunden ist, nutze ich die Möglichkeit, um ein wenig abzuschalten und das sommerliche Wetter in einer anderen Klimazone zu genießen.
New York ist eine Stadt, für die man sich eigentlich Zeit nehmen sollte, aber Zeit ist etwas, das mir nur sehr begrenzt zur Verfügung steht.

Als meine Umgebung dann lauter wird und sich immer mehr Menschen im Park aufhalten, schlage ich mein Buch zu und packe es in meine Tasche zurück. Dafür zücke ich mein Handy und durchforste die Fahrpläne der U-Bahn, um zu wissen, wie ich am besten nach Manhattan komme. Denn bei einem Blick auf den Verkehr kommt ein Taxi für mich nicht in Frage.
Etwa zwanzig Minuten dauert die Fahrt, bis ich am World Trade Center aussteige. Die Wehmut packt mich, weshalb ich mich dazu entscheide, das Denkmal aufzusuchen, bevor ich zu meinem nächsten Termin bei der Bank gehe, auf dem die Geschäftskonten meiner Kanzlei liegen, um dort noch ein paar geschäftliche Dinge zu erledigen.
Intensiver wird das Gefühl, als ich all die Namen sehe, die dort in die großen Tafeln geschrieben stehen.
Ich stehe nicht zum ersten Mal hier und betrachte die Gedenktafeln und die zwei Löcher im Boden. Immer wieder schießen mir die Erinnerungen an jenen Tag durch den Sinn. Das Gefühl puren Schocks schießt durch meinen Körper, wie in dem Moment, als jeder Nachrichtensender davon berichtete und man das zweite Flugzeug live ins Gebäude fliegen sah.
Ich erinnere mich noch ganz genau an die Fassungslosigkeit der gesamten Bevölkerung. Einschließlich mir.
Um dem beklemmenden Gefühl zu entkommen, drehe ich mit einem Seufzen um und begebe mich zwei Parallelstraßen weiter zur Bank of Business. Eine Bank von vielen in dieser Gegend.
Mit dem Aufzug fahre ich in den dreißigsten Stock nach oben und stehe direkt in der großen, lichtdurchfluteten Ebene. Die Einrichtung ist eine gelungene Mischung aus Moderne und dem 18. Jahrhundert.
Man merkt direkt, wie sehr sich die junge Chefin Gedanken darüber gemacht hat, Zeitgemäß zu sein, ohne den alten Charme des Gebäudes zu verlieren.
Zugegeben, ich bin sehr beeindruckt, wie erfolgreich diese Bank bereits ist. Erst zwei Jahre in der Branche, kann sie sich wirklich sehen lassen. Erfolgreich an der Börse und kann zudem Unternehmer, Firmen und Politiker als ihre Kunden nennen.
Zu Beginn war ich wirklich skeptisch meine Geschäftskonten hierhin zu verlagern und hatte ein wenig Angst, das Vermögen meiner Kanzlei und mir einer so jungen Frau anzuvertrauen, die kurz zuvor ihr Studium abgeschlossen hat - wenn auch vorzeitig und mit Summa cum laude. Aber bisher habe ich es nicht bereuen müssen.
Trotz ihres jungen Alters, weiß die Inhaberin wirklich mit Zahlen umzugehen und verzeichnet gute Erfolge an der Börse.

Am Empfangstresen sitzt eine Dame in meinem Alter und lächelt mir entgegen. Ihr Blick geht über den oberen Rand ihrer Brille, die sie mit ihrem Zeigefinger nun richtig auf ihre Nase schiebt, als sie ihren Kopf hebt und mich lächelnd fragt, wie sie mir helfen kann.
Ich offenbare mich als Amber Clark, Inhaberin der Kanzlei A.C. Law und bekunde direkt meine Interessen, weshalb ich hier bin.
Höflich bittet sie mich um einen kleinen Moment Geduld, um meinem Bankberater meine Ankunft mitzuteilen. Dafür begleitet sie mich zur Lounge und bietet mir auch einen Kaffee an, den ich dankend ablehne.
Ich überbrücke die Zeit des Wartens und überprüfe mein Handy auf neue Nachrichten und Mails, als ich im Augenwinkel eine Person wahrnehme und schließlich auch ihre Stimme höre. Unwillkürlich hebe ich meinen Blick und sehe eine großgewachsene, schwarzhaarige Frau, die der Empfangsdame ein paar Dokumente hinlegt und Anweisungen erteilt.
»Morgan«, begrüße ich die Bankinhaberin mit einem Lächeln, als sie gerade wieder an mir vorbei geht.
»In diesem Gebäude bevorzuge ich Ms. Reid-Evans«, antwortet sie hingegen mit strengem Ton und sieht mich an. »Kennen wir uns?«
»Amber Clark«, antworte ich und bin ein wenig irritiert, weil sie mich nicht zu erkennen scheint. Aus Höflichkeit stehe ich vom Sofa auf, um mit ihr auf einer Augenhöhe zu sein; wobei das so nicht zutrifft, da sie ein gutes Stück größer ist als ich.
Ihr Blick wandert zunächst musternd über meinen gesamten Körper, bevor sich ihr Ausdruck in ein freches Schmunzeln formt.
»Die süße Anwältin«, sagt sie. »Ich erinnere mich.«
»Süße Anwältin?«, frage ich mit hochgezogener Augenbraue.
»Damals auf der Feier warst du ziemlich süß, ja.« Sie zwinkert, um ihre Aussage zu untermauern. »Hochgeschlossen und mit zurückgebundenen Haaren bist du das eher weniger.« Nochmals lässt sie ihren Blick über mich wandern. »Aber durchaus heiß«, fügt sie dann hinzu, ohne ihren frechen Ausdruck abzulegen.
»Charmant wie damals schon«, kommentiere ich ihre Ehrlichkeit. Allerdings könnte ich dasselbe zu ihr sagen.
Damals auf der Party trug sie ein wildes Outfit. Ein zerrissenes Shirt, das ihre tätowierte Haut zeigte, schwarze Jeans und darüber lederne Stiefel. Ihre Haare hatte sie offen und gewellt getragen. Genau deshalb war ich besonders skeptisch, ihr mein Vermögen anzuvertrauen.
Jetzt aber sieht sie ... seriös aus. Ihre Haare sind glatt und zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden. Ihre Tattoos verbirgt sie unter ihrem Hosenanzug, ihre Fingernägel sind nicht schwarz lackiert und ihr Make-Up dezent und keineswegs rebellisch. Eine Brille ziert ihr Gesicht und ich bin überrascht, dass sie eine solche trägt.
»Was führt dich nach New York?«, reißt sie mich aus meiner Begutachtung und winkt mich mit sich, als sie sich umdreht.
»Ein Mandant«, antworte ich und folge ihr zu dem Sideboard, auf dem ein Kaffeevollautomat steht, den sie nun für uns bedient. »Und ich dachte, wenn ich schonmal hier bin, kann ich direkt ein paar finanzielle Dinge erledigen.«
»Klingt spannend«, gibt sie gelangweilt von sich. »Kann ich dir bei etwas behilflich sein?«, fragt sie, als sie mir die gefüllte Tasse überreicht.
»Nein, ich habe einen Termin bei ...«, in diesem Moment kommt der Bankberater aus seinem Büro, bei dem ich den heutigen Termin habe, »... ihm«, vollende ich und deute auf den jungen Mann mit gegeltem, blondem Haar und Brille.
»Huh«, stößt sie aus und scheint darüber überrascht zu sein. »Was dagegen, wenn ich den Termin übernehme?«, fragt sie an uns beide gewandt. Wobei diese Frage erkennbar nur mir gilt und der junge Mann keine Entscheidung darüber zu treffen hat.
»Meinetwegen«, stimme ich zu. »Dann kannst du mir vielleicht endlich mal zeigen, was du so drauf hast.«
Mit dieser Aussage verursache ich einen erneuten frechen Ausdruck in ihrem Gesicht. Provozierend ist ihr Lächeln, während sie mich mustert und anscheinend über ihre Worte nachdenkt, ehe sie diese ausspricht.
»Was den Umgang mit Finanzen angeht«, ergänze ich, als ich merke, wie zweideutig meine Worte für sie gewesen sind.
Ihre Gedanken behält sie für sich und schmunzelt lediglich, während sie mir bedeutet ihr zu folgen.

MorganWo Geschichten leben. Entdecke jetzt