Drittes Kapitel

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Verdutzt von seinem Vorschlag nickte ich. Ich meine: Ich wäre doch schon ziemlich dumm, wenn ich ein solches Angebot ablehnen würde, oder? Er wies mich an, ihn so fest zu umarmen, wie ich konnte, weshalb ich langsam auf ihn zu trat. Er war einen halben Kopf größer als ich. Unsicher verschränkte ich meine Hände in seinem Nacken und trat noch einen Schritt näher an ihn, so dass kein Blatt mehr zwischen uns passte. Er legte seine eine Hand auf meinen Rücken um mich zu stützen und ehe ich mich versah spürte ich die kalte Nachtluft auf meiner Haut. Aus Angst hatte ich meine Augen zu gepresst, doch schließlich wurde ich lockerer und öffnete sie. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, so unbeschwert und leicht durch die Luft zu fliegen und ich hätte am liebsten vor Freude aufgejauchzt.

„Das ist toll, oder?", fragte er, als er meinen freudigen Gesichtsausdruck sah, woraufhin ich nur nicken konnte.

Leider war es viel zu schnell vorbei und wir landeten wieder auf der Straße vor dem Haus in dem meine Wohnung lag. Irgendwann hatte ich ihm meine Beine um die Hüfte geschlungen um nicht runter zu fallen, was ich nun peinlich berührt bemerkte. Sofort löste ich mich von ihm und strich mir meine Haare aus dem Gesicht, die nun wild in alle Richtungen abstanden.

„Danke, dass du mich nach Hause gebracht hast.", meinte ich, während ich den Haustürschlüssel aus meiner Tasche kramte. Fast hatte ich den unangenehmen Zwischenfall schon vergessen.

„Kein Ding. Und falls du wieder einmal Hilfe brauchst, dann ruf mich einfach und ich bin sofort da, okay, ..."

„Emily.", half ich ihm mit meinem Namen aus.

„Okay, Emily. Herzlich willkommen in Queens. Ich muss jetzt aber auch weiter."

Bevor ich mich noch von ihm verabschieden konnte hatte er sich schon wieder in die Dunkelheit davon geschwungen und ich stand alleine vor der Haustür. Schnell öffnete ich sie und betrat den Hausflur. Unsere Wohnung lag im vierten Stock und sie war für meinen Geschmack für fünf Personen keinesfalls ausreichend. Es gab dort gerade mal ein Schlafzimmer für mich, eins für meine Eltern, eins das sich meine Brüder teilten, ein Bad (wie sollten sich bitte fünf Personen ein einziges Bad teilen??) und ein Wohn und Esszimmer mit offener angrenzender Küche.

Früher hatten wir eine viel größere Wohnung, aber dann hatte meine Mutter ihren Job verloren und wir mussten umziehen.

Auch, wenn meine Eltern mir immer wieder erklärte, dass wir uns an den wenigen Platz gewöhnen mussten, da wir in dieser Wohnung viele Jahre verbringen würden, sah ich sie immer noch nur als Übergangslösung. Bis wir wieder zurück ziehen konnten in eine größere Wohnung. Irgendwo anders hin. Deshalb hatte ich von vorne herein schon eine gewisse Abneigung gegen Queens.

Das hatte sich jetzt geändert. Denn nach der Begegnung mit Spiderman konnte ich mir durchaus vorstellen noch ein wenig hier zu bleiben.

Über all das dachte ich nach, während ich die Stufen in den vierten Stock hoch kraxelte. Der Aufzug des Hauses war defekt und es sah nicht so aus, als würde sich bald etwas daran ändern.

Meine Eltern waren noch wach, als ich nach Hause kam und kamen gleich auf mich zu gelaufen und zogen mich in eine stürmische Umarmung.

"Wo warst du nur Emily? Warum bist du nicht ans Handy gegangen? Wir haben uns sorgen um dich gemacht!", prasselten ihre Fragen auf mich ein.

Ganz ruhig erklärte ich ihnen, dass mein Handy aus gegangen war und ich beim lesen die Zeit vergessen hatte. Das aber alles gut gegangen war und ich gut nach Hause zurück gefunden hatte. Ich beschloss, den Vorfall erst einmal nicht zu erwähnen, damit sie sich nicht noch mehr sorgen machten, als ohnehin schon. Ich mein... es ist ja nichts passiert. Nur dank Spiderman, fügte ich in Gedanken hinzu, wer weiß was passiert wäre, wenn er nicht zufällig da gewesen wäre.

Doch diesen Gedanken beschloss ich ganz weit nach hinten in mein Gehirn zu schieben um nicht mehr daran zu denken. Es war ja nichts passiert. Und das war es, worauf es ankam.

Trotzdem stürmte ich, sobald ich meine Elter beruhigt hatte, sofort ins Badezimmer um zu duschen. Damit ich diesen Typen nicht mehr an meiner Haut spüren musste. Als ich endlich das Gefühl hatte, ihn los zu sein zog ich mir meinen Kuschel Schlafanzug an und legte mich in mein Bett.

Eigentlich hatte ich vor, erst noch ein paar Folgen von irgendeiner Serie zu schauen, bevor ich schlafen ging, doch sobald ich mich hinlegte merkte ich, dass ich einfach schon viel zu müde von diesem Tag war. Es war viel zu viel passiert. Innerhalb weniger Minuten war ich in einen Traumlosen Schlaf gefallen.

Die nächsten Tage verliefen einigermaßen ereignislos. Ich packte die restlichen Sachen aus meinen Kartons aus, so das mein Zimmer langsam richtig bewohnbar und gemütlich aussaß. Ursprünglich hatte ich vor, noch einmal diesen Park zu besuchen und dort zu lesen, doch es schien als hätte dieses Ereignis an meinem ersten Abend hier doch noch seine Spuren hinterlasse, denn ich traute mich nicht mehr, dort hin zu gehen, in der Angst, die Zeit aus den Augen zu verlieren und im dunkeln wieder irgendwelchen komischen Typen zu begegnen. Deshalb las ich jetzt meistens auf der Feuerleiter, auf die ich von meinem Fenster aus steigen konnte. Von dort aus hatte ich einen guten Blick auf eine große Straße, auf der die ganze Zeit viel los war. So ähnlich war die Aussicht gewesen, als ich mit Spiderman unterwegs war, erinnerte ich mich, nur das war viel viel schöner.

In den letzten Tagen hatte ich oft an unser Zusammentreffen gedacht und wie es wäre, ihn wieder zu sehen. Würde er sich an mich erinnern? Oder rettete er so viele junge Frauen vor Vergewaltigung, dass ich da einfach in der masse untergegangen war? Das würde ich wohl nie heraus finden. Gestern bei Mittagessen war ich kurz davor gewesen, meinen Brüdern davon zu erzählen, dass ich Spiderman getroffen hatte, als sie begeistert davon erzählten, dass er wieder einmal in den Nachrichten war. Sie waren wirklich riesige Fans, genau wie ich.

Gerade saß ich wieder einmal auf der Feuerleiter, eines meiner Lieblingsbücher in der Hand, doch ich konnte mich einfach nicht auf die Worte konzentrieren. Manchmal konnte ich einfach kein einziges bei sich behalten, so ganz nach dem Motto „zum einen Ohr rein, zum andern wieder raus.".

Deshalb klappte ich ergeben das Buch zu und gab mich ganz meinen Gedanken hin.

Konnte man eigentlich einen Superhelden um ein Autogramm bitten? Oder wäre das dann unangebracht? Und hatten sie überhaupt eins? Tony Stark zum Beispiel würde dann wahrscheinlich mit Tony Stark unterschreiben, aber wie wäre das bei Spiderman? Schließlich war das nicht sein echter Name.

Auf einmal spürte ich, wie etwas die Sonne verdeckte, die mir bis gerade gnadenlos ins Gesicht geschienen hatte und ich blickte auf.

Spiderman_ffWhere stories live. Discover now