21. Kapitel

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Sie verbanden uns nicht erneut die Augen worüber ich mehr als dankbar war.
Bis zu dem Zeitpunkt an dem Jason sich schließlich traute nachzufragen.

"Warum dürften wir jetzt den Weg zu eurem Zuhause sehen?"
Die Pferde hielten an, der Dunkelhaarige wandte sich zu uns um.
"Vielleicht brauchen wir euch nicht mehr, dann ist es uns egal ob ihr den Weg kennt, ob ihr ihn gesehen habt. Denn tote können nichts mehr erzählen."
Ich schluckte, Jason jedoch starrte den Anführer der kleinen Truppe weiterhin an.

"Warum tut ihr es dann nicht einfach gleich?"
Der Reiter knirschte mit den Zähnen und hatte eindeutig keine große Lust auf die Fragen zu antworten, tat es dann aber doch.

"Befehle von oben."
Damit schnalzte er mit der Zunge und die Pferde setzten sich wieder in Gang.
Wir liefen quer über die Wiese, auf die Berge und den nahenden Nadelwald zu.
Ich konnte meinen Blick kaum von den Felsen wenden.
Mir auszumalen, wie es wäre so weit oben zu stehen und über das ganze Land blicken zu können, war nahezu unmöglich.

"Gibt es das Meer?" Die Frage war über meine Lippen gekommen, ehe ich darüber nachdenken konnte.
Ich hatte in Büchern darüber gelesen, dieses endlose weite Wasser, Wellen die an Klippen brachen.

Der Dunkelhaarige warf einen Blick über seine Schulter, beinahe bildete ich mir ein lächeln auf seinen Lippen ein.
Doch kurz darauf richtete er seinen Blick wieder nach vorne, ohne mir eine Antwort zu geben.
Die Pferde liefen in einem lockeren Tempo über die Wiese.
Ich spürte das hohe Graß durch den dünnen Stoff meiner Hose an meinen Beinen kitzeln.
Nach einem kurzen Schweigen brachte der Fremde doch Worte über die Lippen.

"Es gibt so einiges, das du noch nicht gesehen hast, Evelyn Rose."

Irgendetwas kam mir an seinen Worten seltsam vor, doch ich verstand im ersten Moment nicht was es war.
Dann legte sich ein Schalter in meinem Kopf um.
Er kannte meinen Namen.
"Woher-", setzte ich an, doch er unterbrach mich sofort.
"Und es gibt auch so einiges das du nicht weißt."
Ich schwieg und überlegte.
Hatten sie uns schon so lange beobachtet, sodass sie nahezu alles über uns wussten? Oder gab es jemanden in unserem Dorf, der ihnen diese Informationen weitergab?

Bald traten wir in den Schutz des Nadelwaldes, und die kälte empfing uns.
Auf dem Boden lag nun kein einziges Blatt mehr, nur noch braune Nadeln die sich in meine Schuhsolen bohrten.
Ab und zu ragte ein kleiner Felsbrocken aus dem Boden hervor.

Es ging nun ein wenig bergauf.
Die Pferde fanden trotz der rutschigen Nadeln halt, und liefen geradewegs dem sich leicht anhebenden Hügel hinauf.
Als ich meinen Blick über die Bäume gleiten ließ, sah ich, wie ein kleiner Brauner Hase zwischen den Tannen umher hoppelte.
Wir hatten Hasen bei uns zuhause lange nicht mehr gesehen und deshalb nur noch Wildschweine gejagt.
Ich hatte es gut gefunden, da ich Mitleid diesen kleinen Flauschigen Tieren hatte.
Außerdem gab es ja noch Früchte, sowie Brot und anderes, das man aus dem Getreide was wir anbauten machen konnte.

Erst jetzt, als ich an das Essen dachte, merkte ich, wieviel Hunger ich eigendlich hatte.
Ich versuchte mich abzulenken, indem ich mir das Zuhause der Fremden ausmalte, doch das war auch nicht viel besser, da sich immer wieder die Frage in meinen Kopf schlich, ob wir dort sterben könnten.

Stunden später erreichten wir das Ende des Waldes.
Schroffe Felsen erstrecken sich über uns in den Himmel, ein Weg schlängelte sich an den Berghängen entlang.

"Wir werden hier über die Nacht lagern, morgen ziehen wir weiter", sagte der Dunkelhaarige Mann und sprang in einer Geschmeidigen Bewegung vom Pferd.

Die Fremden banden die Seile von den Pferdesätteln und knoteten diese an näher gelegenen Bäumen fest.
Einer der Fremden holte aus der Satteltaschen seines Pferdes einen Beutel und warf ihn mir zu.
Ich knoteten ihn nach kurzen Zögern auf und als ich seinen Inhalt sah, lief mir das Wasser im Mund zusammen.
Vier kleine Leiber Brot.

Ich nahm mir einen heraus und gab den Beutel an Jason weiter.
Kurz überlegte ich den Fremden zu Danken, aber da fiel mir ein das wir ohne sie viel mehr essen gehabt hätten.
Ich biss in das Brot, kaute, schluckte und musste mir eingestehen, dass dieses Brot wirklich gut schmeckte.

Wenige Minuten später war das Brot weg.
Ich hätte noch viel mehr essen können, war aber trotzdem froh über das bisschen.
Erschöpft lehnte ich mich zurück und sah Peter und Abygail dabei zu, wie sie ihren eigenen Leib aßen.
Jason hatte schon aufgegessen und starrte nun den waldboden unter sich an.

Das Licht wurde immer weniger, die Dämmerung setzte ein.
Ich merkte wie sich die Müdigkeit über mich senkte.
Ich begegnete Abygail Blick, welche mich Mutlos ansah.
Am liebsten hätte ich ihr gesagt das alles wieder gut werden würde, das wir wieder frei kommen könnten, doch vielleicht war das eine Lüge.
Ich schloss die Augen, lehnte den Kopf an den Baumstamm und merkte wie sich der Schlaf aber auch die Träume über mich senkten.

Ich sah dabei zu, wie mein Vater und vier anderere Männer die Lichtung und somit unser Zuhause verließen.
Meine Mutter hatte die Arme um mich und Alan gelegt, ihre grün-schimmernden Augen starrten dem Mann den sie liebte hinterher, wie er zwischen den Bäumen verschwand.
Noch einmal drehte sich mein Vater um und winkte uns zu, meine Mutter erwiderte die Geste und strich sich eines ihrer roten Haare aus dem Gesicht.
Als ich zu ihr hochsah, schimmerten in ihren Augen Tränen.
Als sie meinen Blick bemerkte zwang sie sich zu einem Lächeln.
"Alles wird gut werden, Evelyn."
Damals hatte ich ihr geglaubt.

Plötzlich änderte sich der Traum, ich sah Alan, der an den Steg Pfosten gelehnt da saß, in der nächsten Sekunde wie sein Kopf in meinem Schoss lag und seine Augen trüb durch mich hindurch starrten.
Dann war Arthur's Gesicht da, der mir mit einem grausamen Lächeln zuflüsterte ich sei eine Mörderin.
Plötzlich lag Frank leblos auf dem Waldboden vor mir.
Dann änderte sich das Bild nocheinmal.
Ich sah Jason, er lag auf dem von Nadelbedeckten Boden, in seiner Brust steckte ein Schwert.
Blut tropfte von seinem Körper auf den Boden.
Er öffnete den Mund, formte mit den Lippen meinen Namen.
Sein Kopf fiel zurück und er schloss die Augen.

Ich wachte Schweißgebadet auf, ein Schrei verließ meine Kehle.
Hektisch sah ich mich um.
Und endlich sah ich sein vertrautes Gesicht.
Jason saß neben mir, sah mich besorgt an.
Erleichtert atmete ich aus.
Er lebte.
Es war bloß ein Traum gewesen.
Ein schrecklicher Traum.
Wie um mich zu versichern ergriff ich Jasons Hand ohne länger darüber Nachzudenken.
Sie war kalt, aber erfüllte mich selbst mit einer Wärme.

"Schlecht geträumt? " Jason drückte meine Hand.
Ich nickte und ließ mich an den Baumstamm zurückfallen.
Die Sonne war wohl gerade aufgegangen und ein kalter Wind wehte.
Doch ich merkte es kaum.
Ich versuchte meinen Atem zu beruhigen, und ließ meine Hand in der von Jason liegen.
Der dunkelhaarige warf mir einen kurzen Blick zu und stand auf.

"Wir müssen weiter."

Neues Kapi!
Wie hat es euch gefallen?
Ich hoffe ihr bleibt auch noch weiterhin dran! ❤️

Evelyn Rose - GefangenschaftWhere stories live. Discover now