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„Ist es nicht verrückt", begann Maddie zu erzählen, während ich darüber nachdachte, wie verrückt es war, dass sie sich verhielt, als wäre gestern nichts passiert. Aber wie hätte sie sich auch verhalten sollen? Ich verhielt mich ja auch nicht anders. Dachte ich zumindest.

„Alles ist verrückt", unterbrach ich Maddie zu ihrer und meiner Überraschung. „Jede Sache, die existiert, jedes Lebewesen, jeder Zusammenhang, jede Tatsache – alles – ist verrückt."

Maddie sagte nichts, aber dass sie mich weiter anstarrte, veranlasste mich dazu, weiterzureden.

„Es ist verrückt, wie du nach eineinhalb Jahren plötzlich ein Gespräch mit mir anfängst. Wie eine Frau den Geburtstag ihrer Tochter vergessen kann. Dass Blauwale mehr Wasser mit einem einzigen Schluck trinken als wir in unserem gesamten Leben. Wie wir uns, seit du angefangen hast zu reden, bestimmt schon 600 km bewegt haben und ungefähr 5 Menschen an Hunger gestorben sind. Wie wir so unbedeutend sind, aber sich das gestern irgendwie gar nicht unbedeutend angefühlt hat." Ich wartete Maddies Reaktion ab und biss nervös von meinem Brötchen ab.

„Naja, zu ihrer Verteidigung, sie wohnt wegen der Arbeit in Kanada und durch die Zeitverschiebung kann das schon mal passieren."

Ich verstand gar nichts. Und genau das muss auch mein Gesichtsausdruck gezeigt haben, da Maddie ergänzte: „Meine Mutter."

„Ahh." Ich nickte und fragte mich, ob Maddie den letzten Satz mit Absicht ignoriert oder sie ihn vielleicht überhört hatte. Eine Weile sagten wir beide nichts. Es war wieder wie vor zwei Wochen, bevor Maddies Tagebuch voll war. Aber irgendwie auch nicht.

„Was ich eben sagen wollte", fing Maddie an, und ich war froh, als sie die Stille mit Schallwellen füllte, „ich finde es verrückt, wie jede Situation von einer anderen winzigen Situation abhängt, eine endlose Situationskette, durch die wir alle heute hier sitzen. Hätten sich meine Eltern nur einmal an einer bestimmten Stelle anders entschieden, gäbe es mich jetzt nicht. Hätten sich Hitlers Eltern nur einmal anders entschieden, hätte es ihn vielleicht nie gegeben. Und dafür hätten so viele Menschen am Leben bleiben können." Maddie sah mich an, aber es gelang mir nicht, ihren Gesichtsausdruck zu deuten. „Die Welt wäre eine völlig andere. Wegen einer einzigen, winzigen Entscheidung."

Das war der Moment, in dem ich meine eigene, winzige Entscheidung traf. Ich stand auf, hielt Maddie meine Hand hin und ohne zu zögern legte sie ihre hinein und stand ebenfalls auf. Wir ließen die leeren Teller stehen und steuerten Richtung Ausgang zu. Mir wurde warm ums Herz, während mein Kopf noch ein paar Sekunden brauchte, um zu realisieren, was wir gerade taten. Was ich gerade getan hatte.

„Was machen wir jetzt?", wollte Maddie wissen. Ich dachte über all die Möglichkeiten nach. Es war lächerlich, wie viele es gab. Uns stand die ganze Welt offen. Ich grinste.

„Etwas Verrücktes", antwortete ich nur, wohlwissend, dass das alles bedeuten konnte.

ENDE

Ist es nicht verrückt?حيث تعيش القصص. اكتشف الآن