Kapitel 34: Roadtrip

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Während Remus verzweifelt versuchte, die Situation zu verstehen, und mit Fragen um sich warf, riss Gale an Jolies Armen. Damit befreite er Victor.

Dieser zögerte nicht lange. Er hechtete auf das geöffnete Fenster zu und sprang nach draußen. Für eine Sekunde schien die Zeit stillzustehen, während er sich im freien Fall befand.

»Vito!« Remus' Stimme bebte.

Gale verwandelte sich und flatterte hinter Victor her.

Vic landete draußen auf der Wiese. Der Aufprall zog schmerzend durch seine Glieder. Schwer atmend drehte er sich auf den Rücken. Mit zusammengekniffenen Augen wartete er ab, dass sich der aufwallende Schwindel legte. Er lachte, aber das lag eher dem Stress zugrunde. Gale landete auf seiner Brust und Vic seufzte erleichtert. »Ich brauch 'nen Moment.«

Das Gewicht auf Victors Brust nahm zu. Gale verwandelte sich und riss an seinem Shirt, um ihn auf die Beine zu ziehen. »Wir haben keinen Moment!«

Vic beugte sich der Aufforderung und rappelte sich auf. Die Umgebung wirbelte um seinen Kopf. Seine Beine schlackerten, als bestünden sie aus Weingummischlangen, die mit kaltem Wasser aufgeweicht wurden. Er stützte sich gegen Gale und stolperte mit ihm durch den Garten, am Haus vorbei, bis nach vorne zur Einfahrt.

Gale zerrte die hintere Tür von Remus' Auto auf. Er schob Victor hinein und nahm am Lenkrad Platz.

Durch den Haupteingang des Hauses stürzten Jolie und Remus. Beide rissen die Augen auf und legten an Tempo zu, um sie an ihrer Flucht zu hindern. »Vito!« Remus brüllte, aber sein Gesicht wirkte nicht zornig, eher besorgt.

»Kommt zurück!«, kreischte Jolie und rannte auch dann noch hinter ihnen her, als Gale den Wagen startete und mit voller Geschwindigkeit rückwärts vom Grundstück raste.

Victor wirbelte auf dem Rücksitz umher. Er angelte nach einem Türgriff, aber Gale nahm die Kurven so elanvoll, dass er lange nichts zu greifen bekam. »V-vorsichtig!« Er umklammerte den Vordersitz mit bebenden Händen.

Gales Kiefer war verspannt. Er stierte nach vorne und drückte das Gaspedal voll durch. Der Motor heulte auf. Die Reifen quietschten. So beförderte er den Wagen innerhalb von Minuten aus dem Stadtkern.

Als sich der Sonnenaufgang erahnen ließ, befanden sie sich auf dem Highway.

Weil er nicht wusste, wie er seine Gedanken sortieren sollte, lenkte sich Victor mit der Pflanze ab, die angeschnallt neben ihm saß. Der Anblick trieb ein Lächeln auf seine Lippen. Obwohl die Flucht vom Haus bereits Minuten zurücklag, trommelte sein Herz noch immer. Kein Wunder, denn das Auto war weiterhin so schnell, dass man es auf der Zielgeraden eines Rennens vermuten würde. »Du kannst langsamer werden.«

Gales Augen stierten verbissen auf die Straße. Sein Körper klammerte verkrampft am Lenkrad. »Ich werde nie wieder langsamer«, knirschte er und drückte das Bein weiter durch. »Wir müssen in Bewegung bleiben.«

»Ja, aber...« Victor beugte sich vor, um einen Blick auf das Armaturenbrett zu werfen. »Müssen wir so schnell fahren?« 120 mph, das waren etwa 190 Stundenkilometer, fast so schnell wie ein ICE. Vic festigte den Griff um den Vordersitz. Die Küste flog in verzerrten Linien an ihnen vorüber.

»Ich halte diesen Wagen nie wieder an.« Gale knirschte mit den Zähnen. Mit jeder Sekunde schien seine Atmung angestrengter zu werden.

Victor legte seine Hand an Gales Schulter. »Du musst durchatmen.« Er lugte über den Spiegel in sein Gesicht und versuchte so Blickkontakt aufzunehmen. »Wir sind weit genug weg. Halt an, dann gebe ich dir etwas zum anziehen.«

Der letzte Satz fungierte wie eine Art Korkenzieher. Plötzlich lachte Gale und seine Körperspannung nahm mit einem Mal ab. Er atmete auf und das Auto wurde langsamer. Für einige Sekunden bebte sein Rücken, weil er leise vor sich hin lachte. Als sie eine angenehme Geschwindigkeit erreichten, wagte er einen Blick in den Spiegel und erwiderte Victors Blickkontakt. »Ich bin nackt«, stellte er fest und parkte den Wagen am Straßenrand.

MitternachtsgesangWhere stories live. Discover now