Kapitel 5

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Draußen regnete es bereits den dritten Tag in Folge. Die schweren Regenwolken hatten sich an den hohen Berggipfeln festgesetzt und hielten den Niederschlag über dem Ort gefangen. Der Boden war total aufgeweicht und es hatten sich kleine braune Flüsse gebildet, die den sandigen Weg vor meinem Fenster entlangliefen.

Ich fixierte die nassen Treppenstufen und zählte sie immer wieder, obwohl ich wusste, dass ich jedes Mal aufs gleiche Ergebnis kommen würde. Wenn ich nicht aufpasste, würde sich aus dieser neuen Angewohnheit noch eine schwere Zwangsstörung entwickeln.

Doch der Anblick der grauen Steinstufen war mir 1.000 Mal lieber, als meinen ungebetenen Gast ansehen zu müssen

Ushijima hatte sein Wort gehalten und kam nun jeden Tag, seit einer Woche, zu mir. Die ersten zwei Mal hatte er noch versucht, sich mir zu nähern, doch nachdem ich ihn beide Male rüde zurückgewiesen hatte, ohne dass etwas zu Bruch gehen musste, setzte er sich jetzt bei seiner Ankunft sofort schweigsam auf den Stuhl neben meinem Bett und las in seinem Buch bis er zum nächsten Patienten musste.

Das Einzige, was ihn in seinem Lesefluss unterbrach, war der Nachmittagspudding.

Die ersten Male hatte er noch höflich gefragt, doch inzwischen angelte er ganz selbstverständlich nach dem Puddingschälchen auf meinem Essenstablett und löffelte diesen schweigsam bis zum letzten Tropfen aus.

Er aß ihn mit einer solchen Hingabe, dass ich förmlich darauf wartete, dass er die Schüssel wie ein großer grimmiger Hund mit der Zunge ausleckte. Doch bis jetzt hatte er sich zusammengerissen und mir war dieser Anblick erspart geblieben.

Die Tatsache, dass der sonst so stoische Ushijima sich etwas aus Süßkram machte, war ein weiterer kleiner Schock für mich. Das Bild eines nachspeisenliebenden Ushijimas in der hellen Therapeuten-Uniform war zu viel für mich und so zog ich den Ausblick aus meinem Fenster vor.

Jetzt las er wieder und seine stille Anwesenheit kratze an den feinen Strängen meines Nervenkostüms. Allein das Geräusch der umschlagenden Seiten machte mich rasend und heute war meine Geduld am Ende. Sauer fuhr ich zu ihm herum.

„Hast du nichts Besseres zu tun, als deine Zeit hier mit lesen zu verschwenden?", fuhr ich ihn an und er sah von seinem Buch auf.

„Ich lerne für meine Abschlussprüfung", klärte er mich auf. Ich schnaubte verächtlich. „Heißt das, du bist nicht einmal ein fertigausgebildeter Therapeut.", hakte ich nach und er schüttelte den Kopf.

„Es ist nur eine weitere Qualifizierung. Ich habe vor einem Jahr ausgelernt." Die Zufriedenheit, mit der er das sagte, machte mich schlagartig noch wütender.

„Unfassbar! Was für eine Verschwendung von Zeit und Talent", giftete ich, was bewirkte, dass Ushijima sein Buch zusammen klappte und mich streng ansah.

„Und was machst du? Du starrst den ganzen Tag nur aus dem Fenster und siehst zu dieser Treppe.", rügte er mich, doch ich fand, dazu hatte er kein Recht.

Schließlich hatte man mir alles genommen, meine Karriere, mein Lebensziel, und als wäre das noch nicht genug, hatte die Trennung von Iwaizumi mir förmlich den Rest gegeben.

Und so haderte ich nicht nur mit meinen äußerlichen Verletzungen, die mich an dieses Bett banden, sondern auch mit dem Verlust meiner ersten großen Liebe. Wie Blei hing der Liebeskummer an meinen Füßen und machte mich schwer und träge.

Aber was wusste Ushijima schon über die Liebe, oder einen schweren Lebensweg? Seines war bis jetzt doch immer geradlinig verlaufen. Seit der Mittelstufe wurde er von seinen Sponsoren gepampert und für jemanden wie ihn gab es so etwas wie Liebe wahrscheinlich gar nicht.

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