Savior

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TW: addiction, drug withdrawal

Every addiction no matter what it is, is the result of trying to escape from something by going in the direction of a need that is currently not being met

- Teal Swan

Als Julian aufwachte, war es noch immer dunkel. Für einen kurzen, schrecklichen Moment dachte er, er wäre mitten in der Nacht aufgewacht und müsste wieder die ganze restliche Nacht wachliegen und sich mit seinen Gedanken herumschlagen. Doch nach einer kurzen Zeit der Orientierung realisierte er, dass seine Augen durch etwas verdeckt wurden. Er spürte weichen Stoff vor seinem Gesicht. Er bewegte sich leicht und spürte etwas an seinem Rücken. Es war Kai. Er hielt ihn im Arm und Julians Kopf war an seiner Schulter in dem Stoff seines Sweatshirts vergraben. Sofort entspannte er sich. Er war sicher. Ganz leicht bewegte er seinen Kopf aus seiner geborgenen Position heraus und sah sich blinzelnd um. Es war schon hell. Goldene Sonnenstrahlen fielen in das Krankenhauszimmer. Julian kniff wegen der Helligkeit die Augen zusammen und vergrub seinen Kopf wieder in dem Stoff von Kais Sweatshirt. Kai, der das offenbar gesehen hatte lachte leise.

Sie blieben noch eine Zeit so liegen. Ohne zu reden. Julian genoss jede Sekunde in der er in Kais Armen lag. Es fühlte sich an, als wäre dies der einzige Ort, an dem er sicher war vor allem. Vor seinen Problemen, dem Druck auch vor ihm selbst und seinen Gedanken. Kai schaffte es ihn alles vergessen zu lassen und zum ersten Mal in einer sehr langen Zeit konnte Julian wieder richtig atmen. Dieses Gefühl hielt allerdings nicht lange an. Einige Minuten später hörte Julian das gleiche Geräusch, das er gestern bereits wahrgenommen hatte. Die Tür wurde sanft geöffnet. Die Krankenschwester, die Kai gestern entgegen der Vorschriften zu ihm gelassen hatte, betrat zögerlich den Raum. Kai, der anscheinend wieder eingeschlafen war, rieb sich kurz etwas verwirrt die Augen. Nachdem er die Krankenschwester in dem Türrahmen erblickt hatte, zuckte er kurz wie ertappt zusammen und setzte sich aufrechter hin. "Tut mir leid, wir sind gestern eingeschlafen" er sah die Schwester entschuldigend an.
Die Krankenschwester winkte nur ab "Ich müsste Sie jetzt allerdings bitten draußen zu warten, wir müssen einige Tests machen und da sind ein paar Herren, die Herrn Brandt sehen wollen. Kai nickte. Langsam stand er auf. Julian sah ihm dabei zu. Angst breitete sich in ihm aus. Wie es schien wollte der Trainerstab wissen, was mit ihm los war. Sie würden es herausfinden. Das war der einzige Gedanke, der sich ununterbrochen in seinem Kopf wiederholte. Zudem fühlte er wie die dröhnenden Kopfschmerzen, an die er sich in den letzten Wochen anhand ihres häufigen Auftretens eigentlich gewöhnt haben müsste, wieder begannen sich in seinem Kopf auszubreiten.
Kai drehte sich auf dem Weg zur Tür noch ein letztes Mal um und lächelte Julian ermutigend zu. Dieser schaffte es nur schwach das Lächeln zu erwidern. Die Angst vor dem Gespräch mit seinem Trainer und den Ärzten verursachte in ihm eine aufsteigende Übelkeit. Kai verließ schließlich endgültig den Raum und kurz bevor die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, meinte Julian etwas in dem Blick seines besten Freundes zu sehen. Gestern Abend erinnerte er sich, hatte Kai nicht geweint. Er war ruhig gewesen wie immer. Er war genau das gewesen, was Julian gebraucht hatte. Doch jetzt, in dem Moment, in dem Kai über die Türschwelle hinaus auf den Flur trat, schien etwas in ihm zu brechen. Er sank zusammen. Nur ganz leicht. Julian bemerkte nur eine minimale Senkung von Kais Schultern und ein leichtes Glitzern in seinen Augen. Dann fiel die Tür hinter ihm ins Schloss. Aber Julian hatte es gesehen und es machte ihn unendlich traurig.

Einige Augenblicke später öffnete sich die Tür wieder und Julian, der damit aus seinen Gedanken gerissen wurde, zuckte zusammen. Ein Arzt kam ins Zimmer und lächelte freundlich. "Hallo Herr Brandt, wie geht es Ihnen?" "Ging schon mal besser" antwortete Julian ehrlich. Der Arzt schmunzelte leicht. "Sie haben gestern allen einen ziemlichen Schrecken eingejagt. Ihre Trainer sind sehr besorgt. Sie kommen später nochmal vorbei, aber vorher machen wir noch einige Tests, ist das okay?" "Ja" Der Arzt erklärte ihm was genau getestet werden sollte, aber Julians Gedanken schweifen ab. Er sah aus dem großen Fenster zu seiner Rechten. Es gab den Ausblick auf Dortmund frei. Kein erfreulicher Anblick. Zumindest heute nicht, denn obwohl es eben, als er neben Kai aufgewacht war, sonnig gewesen war, verdunkelte es sich jetzt. Das es windig war, konnte Julian an den sich biegenden Ästen des großen Baumes erkennen, der auf dem Krankenhausparkplatz stand. Außerdem sah er dunkle Wolken. Grau und blau, schon fast lila sahen sie aus. Sie zogen sich über der Stadt zusammen, als würden sie schlechte Nachrichten verkünden. Das Pochen hinter Julians Schläfen nahm ebenfalls zu...
"Herr Brandt?" "Mhm" Julian blickte wieder zu dem Arzt. "Haben Sie schon vorher derartige Probleme gehabt?" wiederholte der Arzt seine Frage. Julian dachte nach. Probleme? Nein. Probleme hatte er erst seit er hier war. Hier in Dortmund. Davor war immer alles gut gewesen. Alles war perfekt. "Nein" antwortete er. "Okay, können Sie sich erklären, warum Sie einen Atemstillstand hatten, hat sich das auf irgendeine Weise angedeutet oder nehmen Sie vielleicht bestimmte Medikamente?" Julian zuckte kurz zusammen. "Nein" er flüsterte es mehr, als das er sprach. "Ich nehme keine Medikamente". Und mit dieser Lüge und dem Gedanken an die Pillen, waren seine Kopfschmerzen mit voller Wucht wieder da. Und dieses Mal wusste er auch warum. Kai hatte ihn zwar für einen kurzen Moment alles vergessen lassen. Für einen wunderschönen Moment. Doch jetzt war dieser Moment vorbei und Julian brauchte die Pillen. Mehr als jemals zuvor.

I just wanna feel again ~ BravertzWhere stories live. Discover now