Sonntage

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Die Küchenuhr tickt. Sekündlich wird bescheid gegeben das sich der Zeiger vorwärts bewegt. Das Handtuch, mit dem er immer das Geschirr abgetrocknet hatte, liegt über der Lehne des Küchenstuhls. Es wurde nur schnell darüber geworfen. Der Wasserhahn läuft immer noch vor sich hin, die Tassen und Teller im Spülbecken sind schon voll, somit läuft es nur noch den Abfluss hinunter. Der Kühlschrank surrt vor sich hin, dort drin befindet sich noch sein Geburtstagskuchen vom Vortag. Ungewaschene und noch dreckige Gläser stehen auf der Arbeitsfläche neben der Spüle, die wollte er auch noch sauber machen. Die Hintertür in der Küche steht einen Spalt offen, die Hitze des Sommers dringt durch diesen in den Raum hinein. All das nimmt sie wahr, all das brennt sich in ihr Gedächtnis. Doch was sie nie wieder vergessen wird, dass sind die zwei anderen, umgefallenen Stühle. Die Porzellanscherben der zerbrochenen Teller am Boden. Der Anblick der weißen Scherben in dem roten Blut ist es, der ihr eine geschockte Ruhe gibt. Anstatt herumzuschreien, blickt sie nur auf ihren Cousin hinunter der für sie beide gesorgt hatte. Er wollte sie nicht in ein Waisenhaus schicken und hatte sich mit zwei Jobs neben dem Studium über Wasser gehalten und auch sie mitgezogen. Ihr Vater starb im Krieg, er war Soldat durch und durch. Ihre Mutter wurde durch den Krebs aus dieser Welt gezogen. Sie mag ihren Onkel nicht und ihre Tante ist immer auf der Seite ihres Mannes. Jetzt blickt das 11-Jährige Mädchen auf die zugerichtete Leiche ihres Cousins. Schnitte überziehen das gesamte Gesicht und die Unterarme. Einschusslöcher sind im Rücken zu erkennen. Die leise Stimme erhebt sich nur vorsichtig. 

„Benny...?" Langsam geht sie einen Schritt vorwärts, sie fühlt dass die Sohle des Schuhs leicht klebt. Das Mädchen geht neben dem jungen Mann auf die Knie hinunter und rüttelt ihn am Oberarm. „Benny? Wach... Wach bitte auf." Tränen steigen in ihre Augen, auch wenn sie nicht versteht was hier los ist, sie versteht dass er eigentlich auch nicht mehr aufwachen wird. „Benny... du hast den Boden dreckig gemacht. Wir- Wir müssen ihn sauber machen. Mama hat es immer gehasst wenn... etwas auf den Boden... getropft... ist..." All der Mut eines 11-jährigen Kindes ist nun aufgebraucht, die Tränen quillen über, sie schreit und weint. Immer wieder brüllt sie ihren Cousin an dass er doch endlich aufwachen solle! Sie müssen gemeinsam Hausaufgaben machen und sie wollten doch noch den Kuchen von gestern essen. Ab da sind die Erinnerungen lückenhaft. Verschwommen. Sie weiß dass sie irgendwann von ihrem Cousin weggezerrt wurde. Man versuchte sie zu beruhigen, aber das ging nicht. Nicht in den ersten Stunden zumindest. Sie war in einem Krankenhaus und man hat einige Tests mit ihr durchgeführt. Irgendwann kamen Polizisten und haben sich mit ihr unterhalten, sie weiß aber bis heute nicht mehr wirklich was dort besprochen wurde. Man hat sie mehrfach befragen müssen, auch hier sind nur Teile zurückgeblieben. Wirklich viel weiß sie einfach nicht mehr, wäre auch ein Wunder wenn schon. Sie war früher schon ein sehr zurückhaltendes Mädchen, wollte sich nicht wirklich mit anderen Kindern anfreunden und hatte sich lieber bei den Eltern oder zum Schluss hinter ihrem Cousin versteckt wenn es ihr zu viel wurde oder ihr etwas nicht geheuer war. 

Das wurde durch diesen Vorfall noch einmal schlimmer, wobei sie bei ihren Großeltern unterkam. Ihr Onkel und seine Frau haben ihr die Schuld gegeben dass ihr Sohn nun tot sei, doch was soll ein 11-Jähriges Kind dafür können? Soll es einen Auftragsmörder angeheuert haben, oder wie soll sie das heute verstehen? Nach einigen Jahren der Trauerverarbeitung und der psychologischen Sitzungen hatte sich die Kleine einigermaßen gut zurück in ein fast normales Leben gekämpft. Sie machte einen guten Abschluss und studierte an einer renommierten Universität in Deutschland, bevor sie nach dem Studium wieder nach Finnland zurückkehrte um sich dort um die Großeltern zu kümmern die sie zum Glück aufnahmen als das alles passierte. Aber auch die sterben irgendwann, dem Alter geschuldet wenigstens. Das Haus, in welchem sie mit ihren Großeltern gelebt hatte, fühlte sich noch nie so leer an als an jenem Tag nachdem ihre Großmutter verstarb. Alles war still. Es lief kein Fernseher auf allerhöchster Lautstärkestufe. Man hörte kein Klicken der Stricknadeln mehr. Der Geruch nach Tabak verschwand allmählich. Keine Spaziergänge mehr. Keine gemeinsamen Fernsehabende. Das Einzige, was ihnen als gemeinsame ‚Aktivität' bleibt, ist der Friedhofsbesuch. Die meisten sind ja schon da, nur noch sie fehlt an jedem Sonntag. Aber sie hat bis jetzt noch keinen verpasst.

Bloody ArtifactsWhere stories live. Discover now