Kapitel 45 - Der letzte Atemzug

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England, Westküste
Devonshire, Dartmoor
Unbekannter Ort - Irgendwo im Wald
5. November 1898, 22:38 Uhr


Unter ihm eröffnete sich der finstere Schlund eines Brunnenschachtes. Seine Ohren reckten sich unruhig, panisch klopfte sein Herz und erstarrte. Denn dort unten in dem pechschwarzen Gewässer, auf dem sich nicht ein einziger Schimmer des Mondes spiegelte, sah er in der Reflektion das Aufleuchten glühender Augen in einer schwarzen Gestalt mit einer roten, flammenden Feder direkt hinter ihm.


Zu schnell geschah es, als er vornüberkippte. Der Stoß war so kräftig, als hätte ihn ein Stier in vollem Anlauf gerammt. Sein Körper schlug gegen den schmalen Rand des Brunnens, dumpfer Schmerz durchzog seinen Leib, die Welt drehte und seine Gedanken überschlugen sich. Ein Jaulen und Fiepsen entrang sich seiner Kehle. Dann durchschlug sein Körper die Oberfläche des brackigen Wassers und das kalte Nass verschluckte ihn. Eiskaltes Wasser brach über ihm zusammen, beschwerte augenblicklich den ganzen Leib und machte sein Fell schwer wie Blei. Kyle japste und versuchte im ersten Moment seiner blanken Panik aus reinem Instinkt mit den Pfoten zu paddeln.


»Der Wolf ist tot! Der Wolf ist tot!« klang ein schriller, kindlicher Singsang von oben. Lautes, sadistisches Gelächter rollte in den Brunnen herunter und Kyle wollte schreien vor Zorn.


Der Zauber zersprang wie splitterndes Glas und Hitze von Zorn, nicht nur wegen des Banns, wallte in seine Adern. Knochen knackten geräuschvoll. Der Klang hallte von den Wänden des Brunnens wieder wie eine grausige Melodie und sein Körper sank für einen Moment wegen der fehlenden Schwimmbewegung zurück unter die Oberfläche.


Das schmutzige, abgestandene Wasser brannte in seinen Augen. Algen und ein paar Blätter verfingen sich an seinem Körper und er schmeckte ekelhaften Dreck im Mund. Angewiderte von dem säuerlichen, modrigen Geschmack spuckte er hustend aus, dann streckte der Magier die Hände und griff nach den rauen Steinen, die den Brunnenrand säumten. Doch selbst so fand er kaum bis keinen Halt, der Rand war zu glatt und von Moosbewuchs und Algen glitschig.


Kyles Brust hob und senkte sich schwer, sein Herz pochte wild und die Kälte des Wassers biss ihm garstig in die Muskeln. Der Dreck brannte abscheulich in den Wunden, welche die verdammten Raben hinterlassen hatten und nun, wieder einer Stimme mächtig, stieß Kyle ein wutverzerrtes Brüllen aus. Nasse Strähnen schwarzen Haares hingen ihm ins Gesicht. Kleine braune Flüsse rannen plätschernd an ihm zurück in die aufgewühlte Oberfläche des Brunnens. Kyle durchforstete seinen Geist nach dem nächsten Zauber, damit er schnell aus diesem Loch herauskam um diesem räudigen Bastard dort oben zu zeigen, zu WAS ein Magier wie er fähig war... als oben am Brunnenrand ein Schnalzen erklang. Es fiel in den Brunnen herunter und hallte dort von den Wänden wieder, wie eine eiserne Münze und klang genauso kantig und eisern.


»Genug gespielt, Zauberer.« Die Stimme die zu ihm herunter in den Schacht drang, war so ekelhaft, dass er allein von der Tonfärbung bereits Würgereiz verspürte. Sie hatte einen ungeschliffenen Ton und erinnerte ihn sofort an ein Stück schwarzer Kohle. Rauchig und uneben, fähig für einen Moment zu glänzen, wenn es sich im rechten Licht präsentierte aber ansonsten durch und durch Schwarz. Kyle spürte sein Herz krampfen, erneut stottern und die Wirkung des Schwarzmagiers auf sich, die ihm die Luft raubte. Zähneknirschend versuchte er, sie beiseite zu schieben und sich ihr zu erwehren.

Die Akte GrimmWhere stories live. Discover now