Der Held von Kyrylivka

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(Geschrieben im April 2022)

Knirschend rollten die Panzer weiter über den gepflasterten Weg, mitten durch unwegsames Gestrüpp. Wir waren zu neunt, in drei Panzern verteilt. Auf dem Weg noch weiter in die Ukraine, um noch mehr Zerstörung anzurichten, noch mehr Leuten Kugeln in den Leib zu jagen, noch mehr Angst zu verbreiten.

"Weiter, Leute", knisterte es aus den Kopfhörern; das war Boris, unser Hauptmann, "Zügig, zügig!" Die Landschaft wurde karger. Immer weniger Büsche waren zu sehen. Der Boden war mit trockenen Gräsern bedeckt. Häuser zogen an uns vorbei. Verwahrlost, alleingelassen, die Besitzer geflüchtet, vor uns, den russischen Soldaten. Ein Schauer lief mir den Rücken herunter. Ich wollte das alles nicht: den Mord, die Zerstörung, den Krieg. Ich wurde von meinem Vater gezwungen, eine Militärschule zu besuchen, und ich war verpflichtet, in Kriegsfällen wie diesem mitzumachen. Zumindest musste ich nicht schießen; ich war der Fahrer unseres Panzers.

"Andrej, jetzt pass mal auf!", schimpfte Sergej, der Kommandant unseres Panzers, "Fast wärst du gegen den Baum gefahren!"

"Ja, ja, schon gut. Ist ja nichts passiert", erwiderte ich leicht eingeschnappt.

Zwei dunkelgraue Düsenjets jagten über uns hinweg, russische, dem Anschein nach. In der Ferne konnte man gerade einen explodierenden Feuerball sehen.

"Los, kommt schon!", rief Boris, "Nicht weit entfernt sollte ein größeres Dorf namens Markiwka sein!" Nun waren wir alle angespannt. Es konnte gefährlich werden. Falls sich ukrainische Soldaten im Ort aufhielten, könnte es zum offenen Gefecht kommen... und das konnte tödlich enden. Nach einer knappen halben Stunde erreichten wir das Dorf. Jedoch... das "Dorf" war eigentlich kein Dorf mehr. Zahlreiche Häuser waren eingestürzt, Krater bedeckten die Straßen, zwei umgestürzte Panzer lagen an der Straßenseite. Das waren Folgen eines Krieges, eines vermeidbaren Krieges, und sie waren nicht schön.

Überhaupt nicht.

In Novorozsosh schlossen sich uns sieben weitere Panzer an. Auch diese Stadt war zerbombt, die Einwohner geflüchtet. Wir durchquerten noch die Gemeinden Starobilsk, Nowoajdar und Schtschastja und erreichten nach etwa anderthalb Stunden die größere Stadt Lugansk, in der noch einige ukrainische Rebellen lebten. Es gab einige Schusswechsel, doch keiner wurde ernsthaft verletzt und wir setzten unsere Reise - wir waren nun zu dreißigst - in Richtung Mariupol fort.

Langsam wurde es anstrengend, die ganze Zeit in einer kleinen Kapsel im Panzer zu liegen und den Wagen zu fahren. Wir fuhren nun schon seit drei Tagen, fast ununterbrochen, nur kurz machten wir Pausen, um uns auszuruhen. Nach Mariupol würde es bestimmt noch knapp eine Woche sein, und ich wusste nicht, ob ich das aushalten würde. Ich war nur dünn, nicht sehr kräftig und war eigentlich gegen Gewalt. Schweißperlen liefen mir den Nacken und den Rücken hinunter, und ich bekam Kopfschmerzen. Noch 250 Kilometer nach Mariupol, noch 220... Ich fragte mich, was wir eigentlich in Mariupol sollten. Ich hatte gehört, dass die Stadt schon von Hunderten unserer Leute belagert wurde. So genau wusste ich das nicht; in Russland erfuhr man beinahe nichts über den Krieg. Man konnte sich kein Bild von der Sache machen, außer man fuhr selbst in die Schlacht.

In Donezk ließen ukrainische Rebellen vier unserer Panzer in die Luft fliegen. In einem davon hatte mein Freund aus der Militärakademie gesessen. Die Rebellen waren schnell aus dem Weg geräumt, doch es blieb ein dumpfer Schmerz. Nein, ich wollte den Krieg nicht. Ich denke, niemand wollte den Krieg. Doch umkehren, das ging nicht.

"Verdammt, ich hab' 'ne Meldung bekommen, dass Wolnowacha ein Stützpunkt der Ukrainer ist", rief Boris verärgert. Wir waren nun schon sieben Tage unterwegs gewesen, noch siebzig Kilometer nach Mariupol. Mein Rücken schmerzte, und ich fühlte meine Hände nicht mehr. Wir waren zu einer beachtlichen Truppe gewachsen: gut achtzig Kampfpanzer, vier Rettungspanzer, ein Autokran, zwei Schwerlasttransporter mit Munition und vier riesige Radpanzer rollten über den staubigen Weg.

Der Held von KyrylivkaNơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ