𝐊𝐀𝐏𝐈𝐓𝐄𝐋 ║ 1

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»...deswegen bedeutet es mir unglaublich viel heute hier sein zu können und die Werke meines Vaters-«, ich mache eine bedeutungsvolle Pause und wische mir eine Träne, die ich nie geweint habe aus dem Augenwinkel.
»-in Ehren halten zu können. Vielen Dank«
Mich empfängt überschwänglicher Applaus für Worte, die nicht meine gewesen sind.
Für Trauer, die ich nie in dem Maße verspürt habe, wie ich sie hier darstelle.
Ich hasse es, hier stehen zu müssen und eine Rede über einen Mann zu halten, der mir nicht viel mehr gebracht hat als Alpträume und Schmerz, die mich für den Rest meines Lebens begleiten werden.

Das Kleid, das ich trage, ist wie für meinen Körper
gemacht. Wie eine zweite Haut aus Chiffon und Samt.
Aber für mich fühlt es sich eher wie ein Gefängnis an und der Kragen wie eine Fessel, die mir die Luft abschnüren will.
Wie oft ich es in den vergangenen zehn Minuten hinuntergezogen haben, damit es nicht mehr entblößt als erwünscht, weiß ich nicht.
Wäre es nach mir gegangen, hätte eine schlichte Bluse und eine Stoffhose gereicht.
Aber man hat ein bestimmtes Bild von der Tochter eines sagenumwobenen Künstlers.
Wenn sie schon nicht in seine Fußstapfen tritt, kann sie ja wenigstens gut aussehen. Präsentation in einer Welt wie dieser ist das A und O.
Und das ist eine der vielen Dinge, die mir daran nicht gefallen.

Ich kann nicht einmal in Worte fassen, wie sehr es mir widerstrebt, heute hier sein zu müssen.
Eigentlich ist es absurd, wenn nicht sogar lächerlich. Erbärmlich trifft es auch ziemlich gut.
Ich halte einen Vortrag über einen Menschen, dem der Geschmack von Whiskey auf seiner Zunge wichtiger war als die Gesundheit seines eigenen Sohnes.
Ein Mann, der alt genug war, um zu wissen, dass es gefährlich ist mit Alkohol im Blut Auto zu fahren, Erstrecht, wenn es sich – wie in seinem Fall - um eine halbe Flasche Whiskey handelte und der trotzdem die halbstündige Strecke bis nach Hause fuhr.
Im Beisein meines Bruders.
Mein Vater hatte Glück. Er starb beim Aufprall.
Jonah hingegen verletzte sich so erheblich, dass sein Überleben nur sichergestellt werden konnte, indem man ihn in ein künstliches Koma versetzte. Als die Ärzte ihn wieder wecken wollten, gelang es ihnen nicht. Aus seinem herbeigeführten Koma, wurde ein Wachkoma.

Das Ganze ist jetzt drei Jahre her.
36 Monate, in denen meine Zeitrechnung eine andere geworden ist.
Während der Großteil der Menschheit mit Zuversicht und dem hoffnungsvollen Blick in die Zukunft durchs Leben geht, existiere ich nur.
Durchstehe Tag für Tag, ohne die geringste Ahnung zu haben, wie lange ich das noch tun muss.
Wird er wieder aufwachen?
Wird er Folgeschäden davontragen? Wenn ja, wie schlimm werden sie sein?
Werde ich in ihm meinen Bruder wiedererkennen oder wird der Mann, von dem ich hoffe, dass er einmal erwacht, vollkommen anders sein?

Ich glaube jeder, der Geschwister hat, weiß wie verloren man sich fühlt, wenn dem Bruder oder der Schwester etwas zustößt.
Diese Hilflosigkeit wird bei mir um ein Vielfaches multipliziert.
Denn Jonah ist mein Zwillingsbruder.
Ich möchte mich nicht über das Leidempfinden anderer stellen und anfangen, Schmerz zu bewerten. Dafür gibt es keine Maßeinheit.
Was für den einen lapidar ist, bricht dem anderen das Herz.
Aber es ist nicht von er Hand zu weisen, dass Zwillinge eine besondere Bindung haben.
Bei Jonah und mir ist das nicht anders.
Wir haben schon früh bemerkt, dass wir immer genau wussten, wenn es dem anderen nicht gut ging.
Wir teilten uns Glück und Freude wie den Leib Christie.

𝐈𝐍 𝐌𝐄𝐈𝐍𝐄𝐍 𝐕𝐄𝐍𝐄𝐍 [𝙴𝙻𝙸𝙰𝙽𝙰 & 𝙽𝙰𝚃𝙴]Where stories live. Discover now