Teil 20

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Nach einer Ewigkeit zog Sydney mit einem schmatzenden Geräusch den Dolch aus noch warmem menschlichen Fleisch und richtete sich langsam auf. Eine merkwürdige Stille lag über dem Dorf, dessen Boden mit Leichen bedeckt war. Nichts regte sich, außer den zwei anderen Bluttränen und den Mondaugen, die in wachsamer Haltung inmitten des blutigen Feldes standen und sich umsahen.

Die rauchigen Schatten hatten sich zurückgezogen und hatten nichts als kühlen Nebel hinterlassen, der zu dieser Zeit immer zwischen den von Mondlicht beleuchteten Edelsteinbäumen träge vor sich hin kroch. Immer noch schien das Licht der Mondaugen unnatürlich hell und ließ Sydney ihre Augen zusammenkneifen, um dem Schmerz auszuweichen.

„Bleibt in Position", sagte Veritas und durchschnitt die Stille wie mit einem Messer. „Sie ist immer noch hier und hat ihren Schlag noch nicht ausgeführt. Wir müssen aufpassen, damit es uns nicht unvorbereitet trifft."

Die Wut und Enttäuschung in seiner Stimme war unüberhörbar und das Licht des Mondes sammelte sich zwischen den Fingerspitzen des Anführers der Mondaugen und strahlte gleißend in Dunkelheit der hereinbrechenden Nacht, vertrieb jegliche Schatten. Diese Repräsentation seiner Gefühle und seiner Macht jagten Sydney kalte Schauer über den Rücken. Niemals würde sie sich mit den Mondaugen anlegen, das schwor sie sich. Bei dem Gedanken daran, dass sie eines Tages selber vielleicht einmal diese Macht haben würde, wurde ihr gleichzeitig schlecht aus Angst und warm vor Vorfreude.

Und dann ging alles sehr schnell. Aus der Dunkelheit stürmte eine blaue Gestalt und ein greller Lichtblitz zuckte durch die Luft. Schreie tönten wie eine grässliche Melodie durch die Luft und unmittelbar danach lag der schwere metallische Geruch von Blut in der Luft. Grauen packte Sydney mit kalten Klauen. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, mit einem Mal war überall nur blendendes Licht und sie konnte nicht erkennen, was vor sich ging. Ihre Hand krampfte sich um ihren Dolch, ihr Arm zitterte.

Plötzlich packte jemand ihren Arm und sie wirbelte herum, um ihrem Angreifer die Kehle durchzuschneiden.

„Such nach Calgary!", schrie Soweto durch den Lärm hindurch und Sydney konnte ihre Armbewegung gerade so abwenden. „Ignis ist mit den anderen Mondaugen beschäftigt."

Sie nickte und schluckte die Nervosität herunter. Soweto verschwand wieder im Nebel und Sydney lief los. Immer wieder meinte sie, Gestalten zu sehen, die auf sie zustürzten um ihr den Garaus zu machen, doch immer wenn Sydney mit der scharfen Klinge durch Rauch und trübes Licht schnitt, hieb sie ins Leere.

Das hier war vermutlich eines der schlimmsten Momente ihres jungen Lebens. Überall um sie herum tobten die Kämpfe, unschuldige Menschen und Mondaugen verloren inmitten von Mondlicht und dem Blut ihrer Kameraden das Leben, und doch konnte Sydney all dies nicht sehen. Zu dicht hing der merkwürdige Nebel in der Luft und verschleierte ihre Sicht.

Die Rebellin hatte gedacht, dass der Kampf sich dem Ende zugeneigt hätte, als sie ihren Dolch aus dem Körper des Knochensklaven zog, doch sie hatte sich gewaltig geirrt. Es wirkte, als wäre der kurze Moment trügerischer Stille nur eine Einbildung gewesen.

Plötzlich stieß sie gegen eine Gestalt und hätte diese beinahe abgestochen, wenn sie nicht die blaue Haut und die gelben Augen bemerkt hätte, die zwischen Dunst und Rauch hervor blitzten. Kurz musterte das Mondauge die Rebellin und nickte ihr dann zu, bevor es mit schnellen Bewegungen aus Sydneys Sichtfeld verschwand.

Tief atmete Sydney durch und lief weiter, auf der vergeblichen Suche nach ihrem Kollegen. Schweiß klebte unangenehm auf ihrer Haut und Staub haftete als zweite Schicht daran, doch Sydney vergaß diese Unannehmlichkeit, als der Nebel sich mit einem Mal lichtete und den Blick auf die Pferdewiese freigab.

Die vier Tiere standen dicht aneinander gedrängt am Zaun und peitschten nervös mit den Schweifen, immer wieder ertönte ein Schnauben aus weit geblähten Nüstern und die Ohren dieser anmutigen Wesen spielten nervös. Auch wenn sie die Kämpfe nicht sehen konnten, so spürten sie doch all die negative Energie, die wie Gift durch das Dorf rann. Doch es war nicht Sydneys Aufgabe, sich um die Pferde zu kümmern, auch wenn sie nichts lieber getan hätte, als in der Wärme des weichen Fells Trost und Schutz zu suchen.

BlutträneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt