1. Advent

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An einem kristallklaren Dezemberabend grämte Hermine sich, während sie durch eine dicke Schneedecke zu Hagrids Hütte stapfte.
An einem Paar Fußspuren, das vor ihr das regelmäßige Weiß zerriss, erkannte sie, dass ihr Nemesis schon da war.

Am Morgen hatte es in der großen Halle Geschrei gegeben. Zufällig waren Hermine und Malfoy gleichzeitig aus verschiedenen Richtungen an den großen Schwingtüren angekommen.
Beim Betreten der Halle liefen die beiden sich in die Quere. Malfoy sagte einige hässliche Worte und Hermine hatte keinen Nerv.
Im nächsten Moment baumelte Malfoy kopfüber in der Luft. Obwohl Hermine es nie zugegeben hätte - sie hatte darauf gebrannt Levicorpus auszuprobieren. Es funktionierte also.
Ihr selbstzufriedenes Lächeln gefror auf ihrem Gesicht, als sie sich umdrehte und beinahe mit Professor McGonagall zusammenprallte. Dann folgte ein Gewitter. Am Ende gab es Nachsitzen, nicht nur für Hermine sondern auch für Malfoy.

Sie war nervös, während sie sich ihren Weg den eingeschneiten Hang hinunter bahnte. Dabei wurden ihre Füße, der Umhang und ihre Strümpfe nass, aber in der Furche gehen, die Malfoys Schritte im Schnee hinterlassen hatten, das wollte sie nicht.

Sie klopfte zweimal, kräftig und in gemessenem Tempo. Tok Tok. Und komischerweise fiel ihre Anspannung von ihr ab, als ihr Hagrid mit seiner riesigen Schürze öffnete und sie herzlich begrüßte, wobei er ihr etwas den Arm einquetschte. Mit seinen riesigen Pranken schob er sie in seine Stube.

Es war warm und roch nach Holzwänden und Kaminfeuer. Auf dem großen Tisch tummelten sich kleine, weiße Fellbäusche und dahinter auf einem von Hagrids riesigen Stühlen saß Malfoy. Für Hermine war es sehr komisch Malfoy in dieser vertrauten Umgebung zu sehen. Er hatte seinen Umhang abgelegt und trug einen dicken, grauen Rollkragenpullover. Seine Haare waren länger geworden und im nächstes Moment wurde Hermine peinlich berührt klar, dass sie Malfoy seit Jahren nicht mehr richtig angesehen hatte. Soweit sie sich erinnern konnte, hatte sie immer lieber schnell weggeguckt.

„Granger", begrüßte Malfoy sie tonlos. „Guten Abend, Malfoy" Mit geradem Rücken steuerte sie den Stuhl neben ihm an, denn sie wollte ihm nicht gegenüber sitzen. Ihren Umhang hing sie nah am Feuer über einen Besenstiel, der astdick an der Wand lehnte.

Die Strafe, die Hagrid sich für die beiden ausgedacht hatte, bestand darin, ihm dabei zu helfen ein paar Schneemuckler, die sich im Verbotenen Wald verirrt hatten, aufzupäppeln.

Die Schneemuckler waren süße, mausähnliche, magische Geschöpfe, die man nur zu sehen bekam, wenn Schnee lag. Sie hatten weißes Fell, spitze Nasen und schaufelartige Hände, mit denen sie sich durch den Schnee gruben.
Ihre hellen, immer etwas träumerisch aussehenden, halb geschlossenen Augen liebten den Schnee, aber als im Wald der schwarze Erdboden anfing, hatten sie die Orientierung verloren. Als sie Hagrid auf seinem abendlichen Spaziergang auffielen, hatte er die Schneemuckler zuerst für einen Schneehaufen gehalten, weil sie sich so dicht aneinander gedrückt hielten.

Jetzt dösten sie auf Hagrids Tisch. Draco und Hermines Aufgabe war es, sie einen nach dem anderen zu waschen, kämmen und föhnen. Draco hatte schon angefangen und ließ gerade warme Luft aus der Spitze seines Zauberstabes auf das weiche Fell eines Mucklers pusten. Als Hermine sah, wie dem Muckler genüsslich die Augen zufielen, fühlte sie sich komisch. Sie hatte noch nie gesehen, wie Malfoy einem anderen Lebewesen etwas anderes zufügte als Qual und Leid und dass tatsächlich jemand (auch wenn er noch so klein war) durch seine Hand Wohlgefühl empfand, verwirrte sie sehr.

Im Allgemeinen war vieles an dem Abend verwirrend. Es war verwirrend, dass sie Seite an Seite einträchtig gearbeitet hatten. Es war verwirrend, dass sie zusammen lachen mussten, als ein klitschnasser Muckler so heftig nieste, dass sie und Malfoy mit Wasser bespritzt wurden.
Es war verwirrend, dass sie den Klang seines Lachens mochte und er sie sogar erröten ließ.
Den Blick gesenkt konnte sie zum ersten Mal seine Hände betrachten. Sie wusste nicht was sie sich vorgestellt hatte, oder warum es sie so kalt erwischte, dass er schöne Hände hatte.

Die Finger waren langgliedrig und fein, die Nägel rund und gepflegt. Er hielt seinen Zauberstab locker zwischen Daumen und Mittelfinger und es sah aus, als hätte er das Zaubern nie lernen müssen, sondern es einfach immer schon gekonnt.

Die Zeit verging schnell und angenehm. Als alle Schneemuckler wieder schneeblütenweiß auf einem Fellbett schlummerten, zogen Hermine und Draco ihre Umhänge an und verließen Hagrid.

Vor der Tür leuchtete die Nacht in weiß und blau und schwarz. Ihr Atem schlüpfte in Form von weißen Wölkchen aus ihren Mündern. Als Hermine das Kinn hob, sah sie die erleuchteten Fenster in den Türmen von Hogwarts und als sie den Kopf in den Nacken legte, glitzerte ein Himmel voller Sterne.

Einen Moment standen sie Seite an Seite da und Hermine spürte wie sie gemeinsam den Moment absorbierten. Dann stapften sie durch den Schnee zurück zum Schloss.

Unterwegs schwiegen sie. Sie gingen so dicht aneinander, dass ihre Schultern sich fast berührten und für einen Moment stellte Hermine sich vor, dass das hier normal wäre. Sie und Malfoy. Vielleicht sogar seine Hand in ihrer Manteltasche, die Finger ineinander verschränkt.

Im Nachhinein betrachtete Hermine, das was als nächstes geschah oft als eine direkte Antwort des Universums auf jene törichten Träumereien.

Als sie das Schloss betreten hatten und der Moment des Abschied fast erreicht war, denn gleich würde sie hoch in den Turm und er herab in den Kerker steigen, hielt etwas sie auf. Wie von Geisterhand wurden die beiden festgehalten und als sie erschrocken hochblickten sahen sie ihn: den Mistelzweig.

Ein Moment des Erkennens, einer des Schocks. Hermine hatte es bisher immer geschafft, den magischen Mistelzweigen zu entgehen, die ihre Verliebten solange an Ort und Stelle band, bis sie sich den Freiheit bringenden Kuss gaben.

Dann wandte Malfoy sich ihr zu. Sein Gesicht war ihrem nah im spärlich beleuchtet Atrium. „Wir haben wohl keine Wahl", sagte er. Zuerst legte er seine Hand an ihren Hinterkopf, leicht, nicht zögerlich. Hermine nahm noch am Rande wahr, wie ihr das Herz in die Hose rutschte. Dann war Malfoys Nasenspitze an ihrer Wange. Sie drehte den Kopf ein kleines bisschen und da lagen ihre Lippen auf seinen.

Seine Lippen waren weich und seine Haut roch gut, nach Schnee und nach ihm. Die beiden Nachsitzer lösten sich wenige Millimeter voneiander, nur um wieder zueinander zu finden. Hermines Hände griffen in Malfoys weiches Haar, er umschlang ihren Oberkörper mit seinen Armen.

Aus der Zeit als Hermine den Zeitumkehrer besessen hatte, kannte sie es, wenn Momente  sich ausdehnten oder schnell an ihr vorbeirauschten. Aber das hier war anders. Als Hermine sich in Malfoys Kuss fallen ließ, war der Moment über der Zeit. Sie kannte es Momente mehrmals zu besuchen, aber so oft, wie sie abends, wenn sie in ihrem Bett lag, zurück zu dieser Erinnerung kommen sollte, war sie vorher noch nie in der Zeit gereist.

Irgendwann lösten sie sich voneinander, rotwangig, mit geschwollenen Lippen. Der Zauber war gebrochen. Einen Moment ließ sie ihre Hand an seiner Schulter liegen. Er nahm ihre Hand in seine, führte sie zu seinem Mund und drückte drei Küsse darauf. Dann wandte er sich ohne ein weiteres Wort um und verschwand auf der Treppe, die in die Kerker herab führte.
Hermine hörte seine Schritte noch eine Ewigkeit durch das Treppenhaus hallen.

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⏰ Last updated: Dec 03, 2022 ⏰

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Unterm MistelzweigWhere stories live. Discover now