Die Bettlerin von Frankenfurt

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Einstmals geschah es eines winterlichen Abends vor den in glitzernd' Weiss geschmückten Toren von Frankenfurt, dass eine Bettlerin in gar schäbig anzusehenden Kleidern sich anschickte, in der Stadt um ein Nachtlager zu bitten. Doch die Tage zu jener Zeit waren so finster und kalt wie das aufrechte Herz für Jene, deren Kraft nicht genügte, sich selbst zu rechter Zeit einer Bleibe zu behelfen.So ward es nichts Absonderliches, als die Stadtwache der Alten gar deutlich zu verstehen gab, dass es ihr Ende wäre, würd' sie auch nur einen Fuß über des Tores Schwelle wagen; denn allerlei heimatlosen wie trügerisch anmutenden Pöbel aus blinder Herzensgüte Tür und Tor zu öffnen, sei weder im Sinne des Herrn, noch zugunsten der ortsansäss'gen, braven Bürger, Welche vor vielen vielen Jahren zu Recht all ihr Bestes gaben, um ihr sicheres und anständiges Leben innerhalb der ehrwürd'gen Mauern der Stadt zu erlangen und Dies auch zu wahren.Die Bettlerin blickte auf Dies recht bekümmert drein und zog geknickten Schrittes von dannen. Die Stadtwachen, zweierlei gar stämmige und edel anmutende Gesellen in vollster schillernder Rüste, blickten sich erfreut zu, ihre triumphale Vertreibung dieser schieren Abstrusität von einer verarmten Greisin zu bestätigen. Als aus verhangenem Himmel ein gleißend' Licht auf sie herab fiel und eine gar furchteinflößende Stimme erklang, die da rief: „Ihr gar herzlosen Narren, dass Ihr dieser armen Alten ihr wohl verdientes Nachtbett verwehrt! Habt ihr nicht bedacht des Mattheus' Mahnung im Namen Eures Herrn? Wisset Ihr nicht, dass es jetzt vor'm Heil'gen Abend gar ketz'risch Tun ist, den Ärmsten und Schwächsten die Helfende Hand zu verwehren? Das ehrwürd'ge Zeichen des Herrn möget Ihr tragen, derweil es Euch nicht zu Sinne kommt, Diesem wahrlich gerecht zu werden!" Und so sprach die Stimme denn: „Für 100 Jahr' sollt' Euresgleichen Hunger, Fäule und Verderben erfahren, sollten Eure Herzen sich Ihrer nicht erbarmen vor der nächsten Nacht' Zenit, wenn des Mondes Schein vom höchsten Punkt des Firmaments danieder geht! Und die Ersten und Qualvollsten aller Sterbenden werdet Ihr da sein und Ihr werdet Euch selbst betrachten, wenn Eure Leiber zu rotten beginnen! Und alsbald Euer Fleisch von den fahlen Knochen gefallen sei, so mögen Eure unsterblichen Seelen im ew'gen Feuer der Verdammnis spüren, welch' unsägliches Leid sie der armen Alten zugefügt!" Und die Worte waren gesprochen und der Himmlische Schein verbarg sich wieder hinter dem grauen Wolkenbett.Da zitterten die Stadtwachen gar fürchterlich und bedauerten sich, ihre Worte und ihr Handeln nur allzu gern. Um Nichts dies- oder jenseits ihrer Welt wollten sie Leid und Verderben über ihre Liebsten bringen; hatten sie doch Beide je eine Frau und zwei wunderbare Kinder an ihrer Seite, für deren Wohl ihnen Alles recht gewesen wäre; selbst die ew'ge Einkehr ins Feuer der Verdammnis hätten sie auf sich genommen, wenn es ihre Frauen und Kinder verschonen könne. Und so gedachten sie nicht lange, in Bedauern und Trübsal zu verweilen, riefen sich je ein Pferd herbei und trabten hinaus in die Tiefe des nahe gelegenen Waldes, in Welchen sie die Bettlerin zuvor entschwinden sahen. Aus vollster Lunge riefen sie nach der Alten, fanden jedoch Nichts weiter außer kahle Kronen, verweistes Laub, ein paar scheue Rehe und bisweilen auch hier und dort das eine oder andere Backenhörnchen. Und es geschah schon bald, dass die Nacht sich die Ehre gab und Gevatter Mond seine vertraute Wanderung am Firmament antrat. Den Stadtwachen ward' Angst und Bange bei jenem Anblick und so nahmen sie einmal mehr all ihre Kraft für einen Ruf zusammen, dessen Hallen ward' so laut, dass es wohl noch den nächsten Schäfershund in weiter Ferne um Dessen Schlummer hätte gebracht. Und die Stimme der Alten sprach zu Ihnen aus der Nähe zwischen den Bäumen; doch waren die Stadtwachen nicht befähigt, ihren Ursprung zu erkennen. Fürwahr, es erschien Ihnen, dass sie ihre Stimme zu gleicher Zeit aus allen nur erdenklichen Richtungen vernahmen, Welches die Furcht in ihre Knochen fahren und die Pferde so sehr scheuen ließ, dass Diese sie mit einmal abwarfen und durch die dicht stehenden Gassen der Bäume davon stoben. Und die Stimme der Alten sprach: „Ihr habt mich verschmäht, gar geächtet und unter Blutfluss drohend von Euresgleichen getrieben! Und jetzt kriechet Euer auf meinem Grund, in meinem Reich, wenngleich Ich doch nimmer nach Eurer Nähe und Belang gefragt. So nennet mir, Was Euch treibt, dass Ihr es wagt, mir zu folgen, nachdem Schande Ihr gebracht über Euresgleichen! Und Ich werde Euch nur den großen Kessel anheizen. Wahrlich, Das wird ein gar köstlich' Festmahl heut' Nacht!" Den abscheulichen Gewirr der Alten lauschend, enthüllte der Eine Wachmann sein silbern' Schwert und rief: „Oh, Du garstig Weib wirst uns nicht ein Haar krümmen! Denn wir sind Diener des Allmächt'gen und so steh'n wir hier, entschlossenen Herzens, Dich und Dein garstig' Teufelswerk zu richten! Fürwahr, Dies wird unser Sinnen sein, solltest Du deinen finstren Zauber auf uns richten!" Die Stadtwache wollte noch weiter sprechen, aber Etwas in ihm gebot ihm mit einem Male Einhalt. Was es ward, Das ihn da hemmte, vermochte er nicht zu sagen. Doch vernahm er ein inneres Verlangen, seine Klinge in dieser Nacht nicht noch mehr Leid zufügen zu lassen, als es sein Wort einst schon getan. So sprach der Wachmann also: „Gleichwohl, Dies ist Dein Reich. Wir drangen unwissend in Jenes ein und bedauren Dies. Wie wir die Ordnung in uns'res Gleichen Gestade achten, so wollen wir auch dieser Gestade Ordnung uns're Achtung zukommen. So weist uns denn Nichts mehr als den Weg zurück zu den Uns'ren, denn der Trab zu Euch hat uns den Blick verwehrt für die Schritte, die wir taten. Und seid gewiss, dass wir Beide, so wahr wir hier stehen, es von ganzem Herzen reuen, Euch mit all der Verächtlichkeit und Schmähvollen Vertreibung begegnet zu sein. Denn Dies ist die Heil'ge Nacht und Vergebung sollt' ein Jeder unter ihrem Schutze erfahren; wie es der Wille uns'res Herrn besagt!"Und Da die Stadtwache so sprach, traf sie aus dem Nichts ein Windstoß, der ihm und seinem Kumpanen den Weg wies. Doch wie sie sich versahen, blickten sie mit einem Mal wieder in die Augen der Bettlerin, Welche nun vor sie trat. Und Ihre Augen waren erfüllt von warmen Flimmern und in ihren Händen barg sie ein Licht von gold'nem Schein. Und die Bettlerin sprach: „Führwahr, Ihr habt die Prüfung bestanden, ihr Braven. So geht denn nun, heim zu den Euren und begeht die Heil'ge Nacht und jeden Tag danach in all der Güte, die Ihr mir habt offenbart! Und bringet sie unter die Eurigen, lehrt sie Verstehen! Auf dass sie Einander die Hand reichen in Güte und Liebe. Denn Dies ist die Mahnung des Mattheus im Namen Eures Herrn: Liebet, schützet und behelfet Eure Nächsten wie Euch selbst! In guten wie in schlechten Tagen!"Und so verstanden die Stadtwachen und verneigten sich der Dame, in Dankbarkeit erfüllt, den Heimweg nach Frankenfurt sogleich antretend. Und als sie dann zum Zenit des Mondes wieder vor den Toren der Stadt weilten, da schworen sich die zwei Stadtwachen, von nun an nie mehr auch nur einen Menschen von ihren Toren zu vertreiben, obgleich Dies so manchen Stadtleuten nicht wohl fallen mochte. Denn nie mehr wollten sie durch ihre Herzlosigkeit ihre Liebsten ins Unglück stürzen und einem Jeden den Weg bahnen, sich als guter und erhwürd'ger Besuch in ihrer Stadt erweisen zu können.




Die Bettlerin von FrankenfurtOù les histoires vivent. Découvrez maintenant