Harpyie - Der Schwarm

Kapitel 3

Jane

Streiche spielen ist keine leichte Aufgabe. Um bei dem Spielen von Streichen Erfolgreich zu sein, braucht es ein gewisses Maß an Erfahrung. Du musst wissen, wann ein guter Moment ist, um unbemerkt zuzuschlagen. Du musst dein Opfer, oder Gegner, kennen. Du musst leise sein und hinterlistig. Für einen guten Streich braucht es Witz und Genie.

Ein wahrer Meister der Streiche wird nie erwischt.

Rosalie und ich waren keine wahren Meister der Streiche, doch uns war langweilig und wir hatten eine grandiose Idee. Meine Idee.

Wir flogen so leise wie möglich zu dem heiligen Platz, wo eine ältere Harpyie mit braunen Schwingen vor einer Statue meditierte. Sie hörte uns nicht. Das war bereits gut. Wir konnten also die ‚Operation blaue Flügel' starten. Rosalie trug einen kleinen Eimer blaue Farbe und zwei Pinsel. Ich schlich um unsere Schamanin und wedelte mit meiner Hand vor ihrem Gesicht. Hailey reagierte nicht. „Sie ist sowas von weggetreten!", sagte ich leise und Rosalie nickte amüsiert. Die Statue der Ersten sah skeptisch auf uns herab. Sie war aus funkelnden Steinen und schimmernden, Eierschalen gemacht. Einst soll eine Harpyie diese von den Drachen bekommen oder gestohlen haben. Wir waren uns da nicht so sicher.

Unsere Geschichten und unsere Legenden gaben wir rein mündlich weiter. Wir hatten keine eigene Schrift. Wir brauchten sie nicht. Allerdings kam es so schon mal zu zwei verschiedenen Versionen einer Geschichte...

Wir schlichen uns an die Flügel der Schamanin und tauchten die Pinsel in die blaue Farbe. Ich machte den ersten Schritt. Mein Pinsel traf auf eine prächtige Feder und hinterließ blaue Farbe. Noch immer reagierte Hailey nicht. Dann traute sich auch meine beste Freundin und wir bemalten flink eine Hand voll Federn und betrachteten schließlich unser Werk.

„Das sieht gut aus!", flüsterte Rosalie kichernd. „Sie wird ein paar Tage brauchen, um die Farbe abzuwaschen!"

„Werde ich das?" Hailey drehte sich langsam zu uns um. Ihr Blick fiel auf die Pinsel und die Farbe. Wir waren starr vor Schreck.

„Schamanin Hailey! Ist heute nicht ein wunderbares Wetter zum Fliegen?", fragte ich blinzelnd. „Und zum erweitern der eigenen, künstlerischen Fähigkeiten?"

„Da hast du recht meine Liebe. Und offensichtlich auch um meine Flügel unerlaubt zu dekorieren!" Sie warf uns einen sehr unheimlichen Blick zu. „Unsere Flügel sind so heilig wie die Statue der Ersten! Was fällt euch Rabauken ein?"

„Das Blau dir gutsteht?" Rosalie grinste nervös. „Deine Flügel sehen prächtig aus! Wundervoll! Eine wahre ... blaue ... Augenweide!"

„Danke." Hailey verschränkte die Arme und breitete verärgert die Flügel aus. „Und was mache ich nun mit euch Schmierfinken?"

„Uns danken?", schlug ich vor. Doch das war keine gute Idee.

„Vielen Dank ihr süßen Kinder!" Ihr Lächeln wurde gefährlich. „Aus Dankbarkeit lasse ich die gute Rosalie mein Nest putzen. Einen Monat lang? Deine Eltern stimmen mir sicher zu, dass dies eine passende Aufgabe für dich ist. Und was mache ich mit dir, Jane? Ich werde euch sicher nicht dieselbe Aufgabe geben..."

„Ähm..." Ich sah zu meiner besten Freundin, die bereits den Kopf und ihre Flügel hängen ließ.

„Ah! Ich weiß. Ihr zwei kennt doch sicher die liebe Tinke?" Die Frage war rhetorisch. Natürlich ‚kannten' wir die Harpyie, die nur selten das Nest ihrer Eltern verließ, da sie dazu getragen werden musste. „Dam Mädchen fehlen Freunde. Jane? Du wirst sie ab jetzt jeden Tag besuchen und etwas Zeit mit ihr verbringen."

Ich seufzte. Das hörte sich langweilig an. Was sollte ich mit einer Harpyie unternehmen, die weder Gehen, Klettern noch Fliegen konnte? „Mache ich."

„Wundervoll. Ich denke das ist vorerst genug Dankbarkeit von mir! Ich werde mich dann der Farbe an meinen Flügeln widmen. Wehe ich muss wegen auch den Berg hinabklettern, anstatt zu Fliegen! ... Ob ich mit der Farbe fliegen kann? ..." Sie warf uns einen weiteren scharfen Blick zu. „Vergesst nicht, die Große um gutes Gelingen bei euren neuen Aufgaben zu bitten. Besonders du, Jane!" Und sie flog davon. Es sah etwas holprig aus, da die nasse Farbe sie behinderte, aber sie flog.