seven

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Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, in der wir uns einfach nur gegenüber sitzen und kein Wort miteinander wechseln. So gut es geht, versuche ich, mit ihr den Blickkontakt zu meiden und starre auf meine Adiletten, die ich deutlich bequemer waren als meine Schuhe, die ich schon den ganzen Tag getragen hatte. Plötzlich ist auch jeder kleine Fleck, den ich darauf finden kann, unglaublich interessant. Was Xavier wohl gerade macht? Er ist bestimmt noch an der Arbeit und zerbricht sich den Kopf darüber, was ich gerade mache. Das Letzte, was er vermutet ist, bestimmt, dass ich jetzt hier mit der deutschen sitze und kein Wort über meine Lippen bekomme.

Schlussendlich scheint die Blondine genug von der Stille zu haben, denn sie setzt sich auf und atmet tief durch. „Wie geht es dir? Wie läuft es bei deinem Job", will Laura wissen und ich versuche nicht meine Augen zu verdrehen. Nach bestimmt einer halben Stunde schweigen wir uns jetzt an und ihr fällt nichts anderes eine, als das zu fragen? Mir war klar, dass das nicht das ist, was sie wirklich hören will. Eigentlich haben wir ganz andere Dinge, über die wir sprechen müssten, aber mir war es so lieber. Lieber sage ich ihr, dass mein Job gut ist, als über unsere Vergangenheit zu sprechen. „Es läuft ganz gut, auch wenn ich froh bin mal ein wenig Urlaub zu haben", erkläre ich ihr kurz und knapp und sie nickt. „Ganz schön anstrengender Urlaub", spielt sie darauf an, dass ich, während das ihr Hauptberuf ist, nebenbei arbeiten gehe. „Ich mache das, was mir Spaß macht. Also kann ich es als Urlaub bezeichnen", erkläre ich ihr und sie nickt einfach nur verstehend, ohne noch mal etwas zu erwidern. Erneut schweigen wir.

„Bereust du es?", frage ich sie nun direkt und selbst Laura wirkt wirklich überrascht darüber, dass ich einfach ausgesprochen habe, was mir schon länger auf der Zunge liegt. Normalerweise sagt Laura immer, was sie denkt und ich rede um den heißen Brei herum. Heute scheinen wir die Rollen getauscht zu haben. Sie, die mich einfach nur fragt, wie es mir geht und ich, die den Elefanten beim Namen benennt. Die Laura von früher hat nie ein Blatt vor den Mund genommen und auch die Laura, die ich in den Medien gesehen habe, hätte direkt gesagt, was sie denkt. Dieses Thema scheint für sie ganz anders zu sein, was ich nur zu gut verstehen kann. Geht es nur definitiv nicht anders. Angespannt warte ich auf ihre Antwort, Angst davor, dass sie genau das sagt, was ich nicht hören will. „Nein, ich bereue es nicht", erklärt sie mir und ich muss schwer schlucken. Auch wenn ich die Antwort erwartet habe, tut sie unfassbar weh und ich merke wie mir ein wenig die Tränen in die Augen treten. „Gut", gebe ich kurz wieder und stehe dann von meinem Sessel auf. Ich hätte die Frage gleich stellen sollen, dann hätte ich die Zeit, in der ich hier mit ihr schweigend gesessen habe, deutlich sinnvoller verbringen können. „Maeve...", versucht die deutsche Nationalspielerin mich aufzuhalten, aber ich unterbreche sie gleich wieder. „Es ist schon spät und morgen ist sehr früh Training", erkläre ich ihr und verlasse mit wenigen Schritten das Café, nachdem ich etwas Geld auf den Tisch abgelegt habe. Das Wasser, was ich bestellt habe, stand noch voll daneben. Warum hat das alles immer noch so einen großen Effekt auf mich? Es mittlerweile mehrere Jahre vergangen und trotzdem fühlt es sich auf einmal an wie damals.

Wieder an meinem Zimmer angekommen, hoffe ich, dass die anderen bereits schlafen. Mir ist gerade nicht wirklich nach reden zumute und man konnte meinem Gesicht wahrscheinlich sehr gut ansehen, dass ich die ein oder andere Träne verloren habe. Ich kenne die drei wirklich noch nicht lange genug, dass sie mich in einem vollkommen aufgelösten Zustand sehen müssen. So leise wie möglich drücke ich die Türklinke nach unten und schiebe mich durch den Spalt in das dunkle Zimmer. Es ist jedoch nicht, wie erst erhofft, vollkommen dunkel. Es brennt noch ein kleines Licht, neben dem Bett, indem eigentlich zwei schlafende Personen liegen sollen. Lena war noch wach und schaut von ihrem Handy hoch, wenn ich den Raum gänzlich betrete. Lea hingegen hatte sich auf die Seite gedreht und atmet hörbar gleichmäßig ein und aus.

„Na, du bist aber ganz schön spät zurück", begrüßt mich die Mittelfeldspielerin und richtet sich ein wenig auf. Ich nicke nur mit gesengten Kopf und ziehe meine Trainingsjacke aus, bevor ich den Kleiderschrank öffne. „Ist alles okay?", möchte die andere von mir wissen und ich kann erneut nur ein Nicken zustande bringen. Während ich mir kurze Hose und Schlafoberteil herausnehme, höre ich wie eine Decke zurückgeschlagen wird. Ich wende mich dem Weg Richtung Badezimmer zu, schrecke jedoch merklich zusammen, wenn Lena plötzlich nur eine Nasenspitze von mir entfernt steht. „Was hältst du davon, wenn wir noch einen Moment an die frische Luft gehen?", möchte sie wissen und ich überlege für einen Moment. Eigentlich will ich mich einfach nur unter der warmen Bettdecke im dunklen Zimmer verkriechen. Vielleicht nebenbei noch ein wenig Musik hören oder einen Podcast. Auf der anderen Seite finde ich jedoch den Gedanken gerade nicht alleine zu sein auch wirklich verlockend. Ich weiß genau, wie ich mich immer wieder in meinem eigenen Kopf verliere und dann die halbe Nach wach liegen werde.

„Wir müssen auch nicht darüber reden", versucht Lena mich schließlich zu überzeugen und schließlich stimme ich ihr zu. Ich schmeiße die Klamotten auf das Bett, in dem auch Jule schon tief und fest schläft. So leise wie möglich, um die anderen nicht zu wecken, verlassen wir das Zimmer und laufen den verlassenen Gang entlang. Schweigend laufen wir nebeneinander her. Es ist dadurch, dass es schon relativ spät ist vollkommen leise im Gang. Aus wenigen Zimmer scheint noch ein wenig Licht, aber man hört keinen Mucks. Trotzdem ist die Stille nicht unangenehm oder komisch. Ich finde es einfach schön nicht alleine zu sein, aber Lena macht die Stille auch nicht merkwürdig. Ein kleiner Schubser in meine Seite bringt mich jedoch vollkommen aus der Fassung und lässt mich kurz das Gleichgewicht verlieren. Empört schaue ich zu der Braunhaarigen, die mich mit einem kecken Grinsen auf den Lippen anstrahlt. „Na hör mal", beschwere ich mich und schubse sie ebenfalls mit meiner Hüfte ein wenig weg. „Ey", meckert sie belustigt und drückt locker gegen meine Schulter. Wir ärgern uns ein wenig weiter, bis Lena mir überraschend ausweicht und ich erneut für einen Moment das Gleichgewicht verliere. Fast mache ich Bekanntschaft mit der Wand, wenn ein paar Arme mich nicht im richtigen Moment festgehalten hätte.

Ich trete wieder ein paar Schritte von der anderen zurück, kann mir aber ein Lächeln nicht verkneifen. Wie hat es dieses Mädchen geschafft, einfach, indem wir durch einen Gang des Hotels gehen, mich vollkommen von meinen Gedanken abzulenken. Wir beginnen erneut stumm nebeneinander herzulaufen und verlassen schließlich das große Gebäude. Das Hotel hat zum Glück einen ziemlich großen, aber auch schönen Außenbereich. Mit mehreren Sitzgelegenheiten, ob Stühle, Bänke oder Liegen sind vollkommen egal. Es gibt auch einen ziemlich großen Pool, der durch bunte Lichter im Wasser beleuchtet wird und auch an verzierenden Pflanzen wurde nicht gespart. Es sieht wirklich schön hier draußen aus, vor allem bei Nacht.

Lena zieht mich leicht in Richtung Bank, auf die wir uns schließlich auch setzten und ein wenig den etwas spärlicher beleuchteten Garten beobachten können. Sie ist auch diejenige, die die Stille ziemlich schnell unterbricht: „Willst du vielleicht darüber reden?", fragt sie mich und ich bin mir unsicher, was ich ihr antworten soll. Wie kann ich ihr am besten erklären, dass Laura und ich uns schon kennen und uns einmal so viel mehr verbunden hat, als der Fußball? Wie erkläre ich ihr, dass eine ihrer Teamkolleginnen mir das Herz gebrochen hat? Die Wolfsburgerin lässt mir jedoch Zeit nachzudenken und beginnt nicht gleich wieder weiter zu bohren. Das mochte ich sehr an Lena. Sie merkt, wenn etwas nicht stimmt und zeigt Interesse daran, wie es einem geht, drängt mich aber auch nicht zu einer Antwort. Sie lässt mir alle Zeit, die ich brauche. Xavier zum Beispiel war da meistens anders. Er merkt auch immer, wenn mich etwas bedrückt oder es mir nicht gut geht, hackt aber meistens so lange darauf herum, bis ich sage, was los ist. Kann in manchen Momenten gut sein, aber manchmal fehlt ihm da echt das Feingefühl.

„Laura und ich haben uns heute nicht das erste Mal gesehen", beginne ich zu erzählen und die andere zieht überrascht eine Augenbraue hoch. „Woher kennt ihr euch denn?", möchte sie von mir wissen und diesmal zögere ich nicht so lange mit meiner Antwort. „Wir haben uns in meiner Heimat kennengelernt, als sie dort angefangen hat zu studieren". Die andere nickt verstehend, lässt mir jedoch genau Raum, in meinem Tempo weiterzuerzählen. So gut es geht, versuche ich die Worte in meinem Kopf zurechtzulegen und ein wenig Ordnung in das dort herrschende Chaos zu bringen. „Dadurch dass ich auch Deutsch sprechen konnte, haben wir uns schnell gut verstanden und auch wenn sie nicht in meiner Klasse war, hat sie immer nach mir Ausschau gehalten", erzähle ich weiter, mache aber eine Pause. Ich bin mir unsicher, wie viel ich der anderen erzählen möchte. Nicht weil mir unangenehm ist, dass sie es weiß, sondern weil ich dann über alles aus der Vergangenheit nachdenken muss, was ich bereits erfolgreich verdrängt habe. Lena scheint aber auch ohne, dass ich viel mehr dazu sage zu verstehen, was uns beide damals so verbunden hat. „Ihr habt auch zusammen Fußball gespielt, oder?", fragt sie mich interessiert und mir fällt erst jetzt auf, wie nah sie mir mittlerweile gekommen war. Anstatt mich aber bedrängt oder unwohl zu fühlen, mochte ich ihre Nähe. „Laura war diejenige, die mich erst richtig dazu gebracht hat, mit dem Fußball anzufangen". Die andere zieht, schaut erneut verblüfft, sagt aber nichts weiter dazu. Währenddessen holen mich die Erinnerungen aus der Vergangenheit immer mehr ein. Erinnerungen, von denen ich gar nicht mehr wusste, dass sie überhaupt existieren.

Schließlich lege ich einfach meinen Kopf auf die Schulter von Lena und schaue in die Ferne. Die Wolfsburgerin scheint zu verstehen, dass das Gespräch damit erst mal beendet ist und legt einfach ihren Arm um meine Schulter. Auch wenn es schon ziemlich spät ist und wir beide eigentlich unbedingt ins Bett gehen sollten, bleiben wir einfach zusammen dort sitzen. Man hört ein wenig das Wasser hin und her schwappen. Ein leichter Wind zieht an uns vorbei und hinterlässt eine Gänsehaut auf meinen nackten Armen. Das Polster auf dem wir sitzen ist unfassbar weich, weshalb es auch nach längerer Zeit nicht unbequem wird. Langsam merke ich, wie die Müdigkeit mich immer mehr einholt und mir immer mehr die Augen zufallen. Ich versuche sie immer wieder aufzureißen, um nicht hier draußen in den Armen von Lena einzuschlafen. Die andere scheint aber auch zu merken, dass ich wirklich zu kämpfen habe, denn sie schüttelt mich leicht an der Schulter. „Nicht einschlafen. Wir wollen doch nicht, dass die Mannschaft uns morgen hier draußen erwischt", ermahnt sie mich lachend. Ich verdrehe verspielt die Augen und strecke mich ein wenig. „Dann sollten wir aber nicht weiter hier draußen sitzen bleiben, sonst kannst du mich ins Zimmer tragen", steige ich in den Witz mit ein und setzte mich auch wieder richtig auf. „Das wäre absolut kein Problem für mich". Ich kann mir bei dem Anblick von Lena nicht verkneifen erneut loszulachen, sieht sie mit ihren angespannten Oberarmen, die sie immer wieder küsst, viel zu lustig aus. „Was lachst du da denn so? Soll ich es dir beweisen?", fordert sie mich auf und war im nächsten Moment schon aufgestanden. Ohne groß zu zögern oder auch nur ein wenig Anstrengung zu zeigen, wirft sie mich über ihre Schulter. Ich muss mir einen Schrei verkneifen, um nicht die anderen zu wecken und bei der späten Uhrzeit aus den Betten zu holen.

Lena zeigt keine Schwäche, während sie mich auf ihrer Schulter zurück zu unserem Zimmer trägt. Auch lässt sie nicht locker, nachdem ich sie zum hundertsten Mal aufgefordert habe, mich runterzulassen. Vor unserer Tür, lässt sie mich dann doch wieder runter, weil ich den Schlüssel mitgenommen habe und nicht aufmachen würde, wenn sie mich nicht runterlässt. Lena posiert erneut mit ihren Muskeln, weshalb ich mir erneut ein Lachen verkneifen muss. Jule und Lea müssen nicht davon aufwachen, dass ich und die Mittelfeldspielerin erst zu so einer späten Uhrzeit zurückkehren. Hoffentlich hat auch niemand anderes davon mitbekommen, war eigentlich schon längst Nachtruhe vorgesehen. Langsam schleiche ich zu meinem Bett, in dem Jule bereits tief und fest schläft und suche nach meinem Schlafanzug, den ich vorhin achtlos dort hingeschmissen habe. Schnell ziehen wir uns beide um und schlüpfen deutlich später als geplant unter unseren Bettdecken.

„Maeve?", höre ich die Stimme der anderen flüstern. „Ja?". Es ist noch einen Moment ruhig, bevor die andere ausspricht, was sie denkt. „Wenn du noch mal darüber reden willst und mir vielleicht auch etwas mehr erzählen willst, komm bitte einfach zu mir", erklärt mir die anderen und ich kann mir bei der kleinen Ansprache mein Grinsen nicht verkneifen. „Danke Lena. Auch für heute Abend. Ich habe das wirklich gebraucht", bedanke ich mich bei ihr und höre kaum noch das leise: „Immer wieder gerne". Das werden auf jeden Fall noch sehr spannende Tage werden.

So was haltet ihr von dem neuen Kapitel und auch der Verbundenheit zwischen Lena und Laura? Was denkt ihr, ist damals zwischen Laura und Maeve passiert?
Schreibt es mir gerne in die Kommentare, ich freue mich über alles, was ihr schreibt und auch über jedes Sternchen, dass ihr mir gebt. Wer hat auch das letzte Spiel von Maro gesehen? Hätte schon am Anfang mit Sveni mit heulen können. Sie hat einfach meine Jugend geprägt und sie gehen zu sehen, ist ein wirklich schreckliches Gefühl.
Euch jetzt aber noch einen schönen Abend und passt auf euch auf!

2018 // laura freigangWhere stories live. Discover now