Welcome to Borderland - Chishiya FanFiction

2. shibuya - crossing

Ein kurzer, verstohlener Blick auf mein Handy reichte aus, um mir das zu bestätigen, was ich befürchtet hatte.

„Viel zu früh dran, wie immer...", murmelte ich leise.

Auch wenn meine beste Freundin gebürtige Japanerin war, und somit sehr viel Wert auf Pünktlichkeit legte, bezweifelte ich stark, dass sie jetzt schon am vereinbarten Treffpunkt sein würde.

Die öffentlichen Verkehrsmittel hier waren nicht einmal ansatzweise mit denen in Österreich zu vergleichen, Verzögerungen gehörten hier nur zu einer sehr seltenen Ausnahme. Ich war nun seit einer Woche in Tokio und sollte mich schnellstmöglich daran gewöhnen, ansonsten würde ich mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit während meines Aufenthaltes hier, sehr viel rumstehen und warten.

Zum Einen lag es vielleicht an der strengen Erziehung meines Vaters, der Oberster Offizier beim Militär war, und mir somit schon sehr früh beigebracht hatte, niemals zu spät zu sein. Zum anderen lag meine Überpünktlichkeit heute aber auch daran, dass ich mit Yuki und dem Besitzer einer sehr angesagten Bar der Stadt einen Termin hatte, der großes Interesse an meiner Musik zeigte. Yuki war eine ausgesprochen talentierte Event-Managerin und hatte natürlich auch hier in Tokio gute Kontakte. Dass sie innerhalb einer Woche schon den ersten Interessenten an Land ziehen würde, der sich für europäische Musik begeisterte, hatte mich dann aber doch sehr erstaunt.

Kurz gesagt: Ich war zu früh dran, weil ich es einfach nicht verbocken wollte und um einen guten ersten Eindruck zu hinterlassen. Die Nervosität erwähne ich hier jetzt erst gar nicht, die erklärt sich von selbst.

Schnaufend verstaute ich mein Telefon wieder in der Tasche und holte noch einmal tief Luft, bevor ich mich wieder in Bewegung setzte und die riesige Kreuzung ansteuerte.

Es war nicht einfach irgendeine Kreuzung, nein, es war sogar die weltweit Bekannteste. Jeder hatte schon einmal von ihr gehört, oder sie zumindest einmal gesehen. Shibuya-Crossing.

Und im nächsten Moment konnte man das Schauspiel, für welches diese Kreuzung berühmt war, auch schon beobachten. Zu allen Seiten wurde der gesamte Verkehr gestoppt, um die breite Menschenmasse gefahrlos passieren lassen zu können.

Aus allen Richtungen überquerten Menschen die Kreuzung und die Straße war kaum noch zu erkennen. Ein wildes Gewusel aus sichtlich gestressten Geschäftsmännern, Schülern die gerade auf dem Heimweg waren und Passanten die ihre Einkäufe erledigten überflutete die Kreuzung, und natürlich die schaulustigen Touristen, die dieses Spektakel einmal hautnah miterleben wollten.

Man hätte mich ebenfalls als solchen Touristen bezeichnen können, wenn man die Tatsache außer Acht ließ, dass ich mich in riesigen Menschenmengen mehr als unwohl fühlte. Mein einziges Ziel war, so schnell wie möglich und ohne halb umgerannt zu werden, die andere Straßenseite zu erreichen.

Das hatte sich schon die letzten Male als äußerst schwierig herausgestellt und ich hatte nicht viel Hoffnung, dass es dieses Mal besser laufen würde.

Insgeheim fragte ich mich, wie es sich anfühlen würde, ganz alleine über diese Kreuzung zu schlendern. Ohne Autos, ohne den Lärm, ohne die vielen Passanten.

Ich schüttelte den Kopf über meine viel zu lebhafte Fantasie und verringerte das Tempo meiner Schritte, als ich die rote Ampel sah. Jedes einzelne Augenpaar auf dieser Straße war auf diese gerichtet, eifrig darauf wartend, dass sie auf Grün umschalten würde.

Nur wenige Sekunden später war es auch schon so weit und die breite Masse bewegte sich aus allen Richtungen auf die Mitte der Kreuzung zu, bis sie schließlich aufeinander traf und das menschliche Wirrwarr von vorne begann.

Ein Hindernislauf, genau mit so etwas konnte man das überqueren der Straße am besten beschreiben.

„Finya! Aufrechte Körperhaltung und sieh zu wo du hinläufst. Ein bisschen mehr Tempo, sonst schläfst du noch ein!", hörte ich gedanklich die ermahnende Stimme meines Vaters, als ich mich selbst dabei ertappte, wie ich mit gesenkten Blick über den Asphalt trödelte.