Kapitel 9

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Die Fahrt verbringe ich wie immer: Lesen, Musik hören und mit Lilli chatten. Eigentlich schreibe ich auf Fahrten sonst immer mit Domi, normalerweise schicken wir uns tausende Herzen hin und her, erzählen uns wie sehr wir den anderen vermissen und halten uns immer auf dem Laufenden, wie lange es noch dauert. Doch heute nicht. Heute lehne ich lieber meinen Kopf gegen die Fensterscheibe und lass die Landschaft an mir vorbei ziehen. Ich brauche Zeit, um nachzudenken. Ich verstehe mich selbst nicht wirklich und vermutlich ist mir auch alles gerade ein bisschen zu viel.

Der Umzug, Jakob und natürlich die Magie. Es ist Zeit, dass ich mal wieder in mein gewohntes Umfeld komme! Lilli wiederzusehen wird mir Kraft geben, auch wenn ich ihr noch immer nicht erzählt habe, dass wir umziehen. Ich bringe es einfach nicht übers Herz. Wir waren Jahre lang ein Herz und eine Seele. Jetzt wird dieser Umzug uns trennen, auch wenn ich alles dafür tun werde, dass wir uns häufig sehen und Freundinnen bleiben. Es wird sich trotzdem ändern. Ich beschließe diese Gedanken zu verbannen, um meinen Kopf ein wenig frei zu bekommen.

Als wir in die Einfahrt zu unserem Parkplatz einbiegen steht Lilli schon wartend vor der Haustür. So schnell es geht, springe ich aus dem Auto und renne zu ihr. Wir fallen uns in die Arme. Während meine Eltern schon Taschen und Koffer ins Haus schleppen, verbleiben wir mindestens eine Minute so, ohne ein Wort zu sagen. Es tut so unglaublich gut. Mal wieder merke ich, was für eine besondere Freundschaft uns verbindet. Ich habe das Gefühl, sie spürt, wie sehr ich diese Umarmung brauche. Sie weiß ganz genau, dass es viel zu erzählen gibt, aber stresst mich nicht. Plötzlich steigen mir Tränen in die Augen. Ich will sie nicht verlassen. Sie bedeutet mir so viel. Da entfährt mir ein Schluchzer.

Erschrocken schiebt mich Lilli eine Armlänge von sich weg und starrt mich sorgenvoll an. Da  bricht es aus mir heraus.

„Wir werden umziehen! An die Ostsee! Nach Rerik! Wir werden ein neues Café aufmachen direkt am Strand! Es tut mir so leid! Ich wollt es dir früher sagen, aber ich hab es nicht übers Herz gebracht. Ich will dich nicht verlassen, du bedeutest mir so viel! Ich bin so verzweifelt!“, ich verstehe mich selbst nicht mehr, ich hatte mich doch schon mit dem Umzug abgefunden, doch jetzt scheint mir das Ganze doch nicht mehr so ertragbar. Ich sehe, wie eine Träne über Lillis Wange kullert. In ihren Augen sehe ich so viele Emotionen. Sie ist gerührt von meinen Worten, aber auch traurig und verzweifelt.

„Finja“, fängt sie langsam an, „ Ich weiß gar nicht was ich sagen soll. Ich hab dich so unendlich lieb und ich habe das Gefühl, dass zwischen uns etwas ganz Besonderes ist. Vielleicht wird uns diese Bindung erhalten bleiben, wenn du wegziehst. Aber wir müssen die Entscheidung deiner Eltern akzeptieren, auch wenn ich nicht weiß, wie es jetzt weitergehen soll, wir müssen dankbar sein für die Jahre, die wir bisher hatten. Und jetzt lass und erst mal reingehen und deinen Eltern helfen!“ Diese Reaktion war so typisch für Lilli. Ruhig, Sachlich, Dankbar. Und dafür liebe ich sie.

Ich weiß nicht, wie sie es geschafft hat, aber nun bin ich wieder halbwegs beruhigt. Vielleicht waren es ihre Worte, vielleicht war es ihr Blick oder auch ihre beruhigende Stimme. Es ist, für mich im Moment auch komplett unwichtig.
Sie ist nicht sauer, dass ich es ihr nicht gesagt habe. Sie versteht auch, dass ich mich meinen Eltern nicht entgegen stellen kann. Besser hätte ich ihre Reaktion gar nicht erwarten können.

Am Abend bin ich mit Domi zum Essen verabredet. „Finja!“, ruft mein Vater, „Hier ist jemand für dich!“ Ich werfe noch ein letzten Blick in den Spiegel, dann mache ich mich auf den Weg zur Haustür. Als ich in Domis Augen schaue, wird mir ganz warm ums Herz. Es ist jedes Mal ein  besonderer Moment gewesen, wenn  Domi und ich uns nach 6 Wochen sehen. Wir hatten uns für den Abend nach meiner Ankunft verabredet.

„Du siehst toll aus Fini!“, begrüßt er mich. Ich gebe ihm erstmal einen innigen Begrüßungskuss. Aber irgendwie weckt er in mir nicht die Gefühle wie sonst. Es liegt etwas in der Luft, das spüre ich.

Heart of WaterWhere stories live. Discover now