Kapitel 2: Falsch eingestuft

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Wenn ich einen Wochentag hasse, dann ist es Mittwoch. Ich weiß nicht warum, aber dieser Wochentag ist immer der stressigste. Ein Haufen Patienten und eine verkürzte Pause. Wunderbar.

Als ich schon beim Betreten des Krankenhauses die vielen Leute vor dem Empfang stehen gesehen habe, verdrehte ich die Augen.

„Du bist zu spät", lässt mich meine Kollegin Emma wissen. Wenn es etwas gibt, was ich genauso hasse wie Mittwoche, ist es dieses Mädchen. Sie ist gerade mal achtzehn Jahre alt und befindet sich in dem Glauben, mich herumkommandieren zu können, als wäre sie meine Vorgesetzte. Die hat mir gerade noch gefehlt. Die letzten Tage hat sie sich krankgemeldet und ich habe nach zwei Tagen, an welchen sie nicht anwesend gewesen war, die Hoffnung bekommen, dass sie gekündigt worden ist.

Aber leider steht sie vor mir und tut so, als hätte sie nie gefehlt. Ich weiß nicht allzu viel über sie, doch Selma hat ungewöhnlicherweise einen relativ guten Draht zu ihr. Sie hat sich nach dem Bestehen ihrer Matura sofort bei uns für einen Ausbildungsplatz beworben und ist schon bald aufgrund ihrer guten Noten hier eingestellt worden – ganz zu meinem Übel. Mit Abstand ist sie die Kollegin, welche ich am wenigsten leiden kann.

Ich setze mich an meinem Schreibtisch und lege die Bücher, welche ich jeden Tag von zu Hause mit in die Klinik nehme, vor mir ab. Immer wenn ich zwischendurch etwas Zeit habe, lerne ich. Natürlich ist mir bewusst, dass mein Vorgesetzter lieber nicht davon erfahren sollte, dass ich während meiner Arbeitszeit Bücher lese.

Als sich keine Patienten mehr am Empfang befinden, schlage ich eines der Bücher auf, und beginne zu lesen. „Die Funktion des Herzens" stand ganz oben auf der Seite. Das komplizierteste Organ.

„Ester, du bist aber fleißig am Arbeiten", merkt Selma in einem ironischen Ton an, die hinter mir steht und mich wohl schon für eine Weile beobachtet, ohne dass ich es gemerkt habe.

„Ja ich weiß", sage ich schuldbewusst, klappe das Buch zu und drehe mich in meinem Schreibtischsessel zu ihr. Sie lehnt sich gegen die Wand und mustert mich.

„Sag, wie machst du das dann eigentlich, wenn du im Medizinstudium angenommen wirst? Kündigst du dann hier?", fragt sie. „Ja, habe ich eigentlich schon vor", antworte ich. Ich weiß, dass ich selber etwas traurig darüber sein werde, wenn ich nicht mehr am Empfang arbeite. Immerhin sind mir Selma und Vivi sehr ans Herz gewachsen.

Jedoch ist es ein Szenario, dass ich schon oft in meinem Kopf durchgegangen bin. Meinen Job aufzugeben, um Medizin zu studieren. Worüber ich mir allerdings noch keine Gedanken gemacht habe, ist, von welchem Geld ich meine Miete bezahlen würde.

Am besten wäre es wahrscheinlich, wenn ich meine Wohnung aufgeben würde und in ein Studentenheim oder zurück zu meinen Eltern ziehe. Beides will ich aber eigentlich nicht. Ich habe mich schon so sehr mit meiner Wohnung angefreundet und will sie nicht mehr verlassen. Bei dem Gedanken daran, dass ich mir wohl oder übel einen Nebenjob suchen muss, seufze ich. Für ein paar Monate könnte ich mir die Miete tatsächlich ohne Job leisten, da ich schon immer sehr sparsam war.

„Und du bist dir da ganz sicher? Immerhin ist das hier kein schlechter Job, und du verdienst auch relativ gut", reißt mich Selma aus meinen Gedanken. Sie hat recht, aber dennoch würde ich niemals darauf verzichten, Ärztin zu werden.

„Ich weiß, aber ich habe mich hier schon mit dem Gedanken beworben, dass ich hier nicht lange bleiben werde. Außerdem habe ich meine Ausbildung jetzt abgeschlossen und es wäre ein guter Zeitpunkt meine Stelle aufzugeben. Du weißt doch wie sehr ich es mir wünsche, Ärztin zu werden", meine ich und sie nickte.

„Ich muss zugeben, ich bewundere dich, Ester. Es braucht viel Selbstbewusstsein, um es nach einem erneuten Scheitern noch einmal zu versuchen."

Obwohl ich weiß, dass sie mir damit ein Kompliment machen will, fiel es mir schwer, es als ein solches aufzunehmen.

Der DoktorWhere stories live. Discover now