9/Filmriss

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David

Ein undefinierbares Summen dringt an meine Ohren, dann plötzlich einer lauter Knall in unmittelbarer Nähe...und ich bin schlagartig wach. Ein leichtes Zucken durchfährt mich, als ich versuche mich aufzurichten, dann irrt mein Blick durch den Raum, in dem ich mich aufhalte. Unverkennbar mein Schlafzimmer. Das rustikale Holz aus dem unsere Schlafzimmermöbel sind, sticht mir sofort ins Auge. Das Ehebett thront sich wie ein Schatten zu meiner linken Seite auf und ich liege auf dem kalten Boden, daneben.

Bin ich etwa aus dem Bett geflogen?

Keuchend versuche ich mich aufzurichten. Ich will nur zurück ins Bett und noch ein bisschen schlafen. Mein Schädel brummt, als würden gerade zehn kleine Männlein in meinem Kopf Presslufthammer betätigen und mein Bauch fühlt sich nicht besser an. Grummelnd drehe ich mich vorsichtig auf die andere Seite, dorthin von wo noch immer das Summen ertönt. Ich greife mit der Hand zum Nachttisch hoch und ziehe mein Handy zu mir. Ich kneife die Augen zusammen, weil der Bildschirm immer wieder hell aufleuchtet und meinem Kopf gefällt das nicht sonderlich gut. Erschöpft lege ich das Teil neben mich und versuche das durchdringende Summen, das es von sich gibt zu ignorieren.

„Ach lasst mich doch alle in Ruhe", murmele ich leise. Ich stemme beide Hände auf den Boden und richte mich auf. Erschöpft lasse ich mich wieder ins Bett fallen.

Schon besser!

Was genau ist gestern Nacht passiert? Ich kann mich an nichts erinnern, an absolut nichts. Das letzte, das ich weiß ist, dass Mama bei Papa im Haus war, als ich gestern Vormittag dort angekommen bin, ich sie angeschrien habe und daraufhin aus Papas Haus geflüchtet bin. Dann bin ich mit Vanessa in eine Bar gegangen und dann... Es ist alles schwarz. Ein absolutes Nichts, fast wie ein tiefes Loch, das mich zu verschlingen droht. Vielleicht sollte ich mich mit diesen Gedanken beschäftigen, wenn ich wieder etwas klarer bin...

Vorsichtig greife ich mit der rechten Hand nach meinem Handy und schaue darauf. Jetzt wo es aufgehört hat zu Summen, studiere ich vorsichtig meine letzten Anrufe und Nachrichten. Da sind vier verpasste Anrufe von Papa und einer von Marina.

Warte von Marina! Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen und ich atme tief ein, ehe ich wieder ausatme. Ruhiger bin ich trotzdem nicht. Jetzt schaue ich meine WhatsApp durch. Ein paar unwichtige, oder eher vielleicht doch wichtige Nachrichten von meinem Chef, mit denen ich mich lieber befassen sollte, wenn ich wieder ganz klar im Kopf bin, ein paar traumhaft schöne Strandfotos von Hendrik und schließlich eine Nachricht von...Marina. Nervös und mit klopfendem Herzen, öffne ich die WhatsApp und beginne sie zu lesen.

Nachdem ich fertig gelesen habe, habe ich Tränen auf den Wangen. Sofort wähle ich Marinas Nummer, aber es antwortet gleich die Mailbox.

Verdammt!

Der schrille Ton der Haustürklingel lässt mich ein zweites Mal fast aus dem Bett fallen. Ich muss wohl wieder eingenickt sein, denn jetzt fühle ich mich schon wieder ein wenig besser, auch der Kopfschmerz hat schon mehr oder weniger nachgelassen.

Ich gebe mir nicht viel Mühe und ziehe nur das T-Shirt von gestern, das nach Rauch und Schweiß stinkt, über den nackten Oberkörper, dann schlurfe ich zur Haustür. Papa und Vanessa treten in den Flur. Mein Vater wedelt mit einer Tüte Brötchen vor meiner Nase herum und flötet: "Ich habe Frühstück dabei."

Er ist viel zu gut gelaunt. Und seine Stimme so furchtbar schrill!

Kurz halte ich mir die Hände vor die Augen und die erneut schmerzende Stirn, dann schüttele ich vorsichtig mit dem Kopf und wispere: "Ich bekomme nichts runter, mir ist furchtbar übel".

Vielleicht hätte ich doch lieber im Bett bleiben sollen.

Papa lässt es sich trotzdem nicht nehmen und geleitet mich in die Küche, schubst mich auf den Küchenstuhl am Esstisch und legt einen Teller, ein Messer, Marmelade, Nutella und die Brötchen vor meine Nase. Ich schaue das Essen nur an, unschlüssig ob ich einen Bissen wagen sollte oder doch lieber nicht, entscheide mich aber vorerst für das letztere.

„Was ist gestern passiert, Vanessa", flüstere ich ihr zu, als sie sich auf den Platz mir gegenüber hinsetzt, dort wo eigentlich immer Marina sitzt.

„Wir haben uns richtig gut amüsiert, David", antwortet sie mir knapp und schaut dann Papa dabei zu, wie er eines der Brötchen aufschneidet, es mit Nutella beschmiert und dann anfängt dieses zu essen.

Na super. Gut gemacht, David...

„Ich freue mich, dass ihr beiden so viel Spaß zusammen hattet. Aber ein wenig hast du es mit dem Alkohol übertrieben, David", wirft mein Vater ein. Es macht ihm anscheinend nichts aus, dass ich mit seiner Freundin unterwegs war. Aber er hat schließlich auch immer darauf bestanden, dass ich Vanessa besser kennen lerne. Komisch fühlt es sich trotzdem an.

Papa sagt kein einziges Wort über gestern. Nicht ein Wort über Mamas plötzliches und absurdes Auftauchen, also lasse auch ich es sein. Fürs Erste zumindest. Später muss ich ihn auf jeden Fall damit konfrontieren!

Ich finde es bemerkenswert, dass es Vanessa so gut zu gehen scheint. Wahrscheinlich hat sie weniger Alkohol getrunken, als ich. Und sie hatte ja auch nicht einen so guten Grund dazu, wie ich. Obwohl ich es mittlerweile bereue mich so im Alkohol verloren zu haben. Diese doofe Gefühl des Selbstmitleids.

Nachdem ich ein paar Bissen runtergewürgt habe, lege ich mich aufs Sofa im Wohnzimmer. So einen schlimmen Kater hatte ich tatsächlich seit Jahren nicht mehr. Ich glaube das letzte Mal war das an meinem achtzehnten Geburtstag der Fall, als ich mit den Jungs eine Sause gefeiert und mit jedem meiner Kumpel einen Kurzen gebechert habe. Da kam schon ziemlich was zusammen...

Vanessa kommt alleine zu mir ins Wohnzimmer. Sie hält mir ein Glas Wasser und eine Kopfschmerztablette entgegen, welche ich dankbar entgegen nehme. Ich spüle die Tablette runter und stelle dann das leere Glas auf den Wohnzimmertisch.

„Erinnerst du dich wirklich an gar nichts mehr von gestern Nacht?", höre ich plötzlich ein Murmeln, das von ihr ausgeht. Sie sitzt mittlerweile auf dem Sessel, der schräg gegenüber der Couch steht. Heute Morgen sieht sie ganz anders aus als sonst. Ich realisiere erst jetzt, dass sie kaum geschminkt ist und ihre blonden Haare sind auch nicht sonderlich gestylt. Notdürftig sind sie zu einem lockeren Pferdeschwanz gebunden, aus dem ein paar lose Strähnen herausfallen. Und ich muss zugeben, dass sie ohne das ganze Make-Up in ihrem Gesicht ganz anders aussieht. Sie wirkt fast schon kindlich, verletzlich und unschuldig.

„Ich habe einen kompletten Filmriss", beantworte ich ihr die Frage. Es macht mich selbst verrückt, dass alles weg ist. Einfach ausgelöscht. „Wie viel habe ich getrunken, Vanessa? Oh ich hoffe einfach nur, dass ich nichts getan habe, das ich bereuen könnte."

Vanessa zieht mich lange an, öffnet ihre Lippen und schließt sie gleich wieder.

„Wir haben gestern Nacht miteinander geschlafen, David", sagt sie schließlich.

In Your Arms (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt