Kapitel 10: Ende vom Anfang

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Das Ende des Jahres hatte sie alle schneller eingeholt, als erwartet. Marcus döste mit halb geschlossenen Augen am Tisch vor sich hin und wartete darauf, dass sich alles dem Ende neigte. 

Am Tisch auf der anderen Seite der großen Halle feierten unterdessen die Gryffindors noch immer ihren unerwarteten Sieg. Auch die anderen beiden Häuser waren in bester Feierlaune, während die Gesichter der vom Thron gestoßenen Slytherins lang und betrübt waren. 

Prinzipiell war Marcus egal, dass sie den Hauspokal nicht in den Händen hielten. Man konnte eben nicht immer siegen, das hatte Quidditch ihn gelehrt. Das Problem war nur, dass Wood somit gewonnen hatte. Indirekt natürlich. Das war dieses Jahr einfach zu oft vorgekommen – ein weiterer Grund dafür, dass Marcus es extrem beschissen fand. Und das Nächste würde garantiert nicht besser werden. 

Als Terence ihn unangenehm mit dem Ellenbogen in die Seite stieß, fuhr er erschrocken auf und sandte sofort einen Todesblick in Richtung seines Klassenkameraden. 

„Was?", knurrte er. 

Terence, der genauso bedrückt wie die anderen über ihre Niederlage war, zuckte mit den Schultern und wies mit dem Daumen in Richtung der Tür. 

„Wollen wir gehen? Ich halt das hier irgendwie nicht aus. Schau dir doch mal an, wie selbstgefällig die sind!" Damit meinte er die Gryffindors.

Marcus folgte seinem Blick und sah zu ihnen hinüber. Ein großer Pulk von aufgeregten Schülern in Rot hatte sich um die vier Erstklässler gescharrt, um ihnen zu gratulieren, zu danken oder die Hand zu schütteln. 

Wood fiel dem bebrillten Weasley in die Arme, nachdem dieser stolz verkündet hatte, dass einer der Kinder sein kleiner Bruder war. Marcus wurde schlecht. 

„Das ist unfair, als ob man am letzten Tag noch Punkte verteilen darf.", warf Adrian ein, „Ich komm mit raus." 

„Fein.", gab Terence zurück. Sie erhoben sich schweigend und mit düsteren Mienen. 

Ein paar der jüngeren Schüler aus ihrem Haus hatten sich bereits aus dem Staub gemacht. Wahrscheinlich würden sie die ganze Nacht lang Trübsal blasen. 

Marcus stand ebenfalls auf, um seinen Freunden zu folgen. Er konnte sich Woods freudestrahlendes Gesicht nicht länger antun. 

Als sie die Halle verließen gab es an den anderen Tischen Geflüster und Gelächter über den verletzten Stolz der Schlangen. 


Der nächste Tag war kaum besser. Das Gepäck war gepackt, die Schränke gelehrt und die schwermütige Aufbruchsstimmung schwebte gemeinsam mit grauen Regenwolken unter der verzauberten Decke, während die Schüler ihr aller letztes Frühstück einnahmen. 

Die meisten Löwen hingen mit schweren Augenringen und blassen Gesichtern am Tisch. So wie es aussah hatten sie die ganze Nacht lang gefeiert. Marcus sah auch nicht besser aus, allerdings hatte er aus anderen Gründen keinen Schlaf finden können. 

Seine Freunde waren für ihre Verhältnisse ebenfalls sehr schweigsam, was die bedrückte Stimmung nur noch verstärkte. Schließlich war es aber doch wieder Adrian, dem es immer schwer fiel, auf Dauer die Klappe zu halten. 

„Und, schon Pläne für die Ferien?", fragte er um einen enthusiastischen Ton bemüht und mit den halb gekauten Resten seines Toasts im Mund. Als ihm keiner eine Antwort gab zuckte er mit den Schultern, kaute weiter, schluckte runter und quasselte dann drauf los. 

„Also ich dachte mir ja, dass ich meine Eltern auf jeden Fall davon abbringen muss, mich ständig mit diesen Weibern verkuppeln zu wollen. Die werden wieder aller zwei Wochen eine neue Reinblutfamilie zu uns einladen und dann darf ich die langweiligsten Nachmittage Zuhause sitzend und Tee schlürfend verbringen." 

Marcus hörte ab da nicht mehr zu. Es war ihm egal, was der Jäger in seiner freien Zeit trieb. Auch wenn es ihm da ganz ähnlich ging und seine Eltern ebenfalls schon seit Monaten auf Partnersuche für ihn waren. Es war eine Last, unter den unerträglichen Formalitäten und jeglichem emotionalen Druck nach Hause zurückzukehren. 

Abwesend ließ er seine Gedanken woanders hin schweifen und dachte an einen strahlend blauen Himmel und die unendliche Weite der Welt, wenn man sie von oben betrachtete. Ob er in den Ferien überhaupt Zeit zum Fliegen fand? Sicherlich würde es wieder unendlich viele Veranstaltungen geben, auf die man ihn schleppte. Und dann musste er wichtige Leute treffen und seine guten Manieren zeigen und sich ansonsten völlig unauffällig verhalten, denn es reiche ja schon, dass er aufgrund seiner schlechten Noten (und gelegentlichen Aggressivitäten) negative Aufmerksamkeit auf sich zog. 

Wie war es wohl in einer völlig normalen Familie? Zum Beispiel bei der von Wood. Sicherlich hatte der Gryffindor Verwandte, die wirklich perfekt waren und es nicht nur allen vorspielen wollten, so wie es bei seiner eigenen Familie der Fall war.

Er sinnierte noch über einige andere Dinge, ohne sich Woods plötzlicher Präsenz in seinen Gedankengängen völlig bewusst zu werden. 

Marcus kehrte erst wieder in die reale Welt zurück, als ein paar Mal sein Name fiel. Seine Freunde grinsten ihn verschwörerisch an. Fuck, was hatte er denn jetzt verpasst? 

„Ist irgendwas?", fragte er ungehalten. 

Adrian grinste breit. „Tja, was für eine außerordentlich gute Frage, nicht Higgs?" 

„In der Tat, Pucey." 

„Sollten wir ihm vielleicht sagen, dass er fast gesabbert hat?" 

„Und dabei die ganze Zeit Wood angestarrt hat? Hm, ja, das sollten wir ihm sagen." 

Urplötzlich erinnerten die beiden ihn an die Weasley Zwillinge. „Einen Scheiß hab ich gemacht.", knurrte er. Er war doch kein kleines verliebtes Schulmädchen! 

„Oh, jetzt ist er sauer. Wir haben einen wunden Punkt berührt." 

Adrian streckte Terence zum Abklatschen die Hand hin und der Sucher schlug mit triumphalen Gesicht und deutlich besserer Laune, als noch vor wenigen Minuten, ein. 

„Halt doch die Fresse Adrian!" Marcus war aufgesprungen. Sein Blick war mörderisch. Das brachte seinen Freund endlich zum Schweigen. Damit war gewiss, dass er den Rest des Tages seine Ruhe haben würde. 

Wütend über seine Freunde, dass sie solche dummen Dinge behaupteten, machte er sich auf den Weg nach draußen, denn viel Zeit war nicht mehr, um nach Hogsmeade und damit auch zum wartenden Zug zu gelangen. 

Marcus wusste, dass sein Gesicht so düster wie die Nacht war, und aufgewühlt wie ein heftiges Gewitter fühlte er sich auch. Er hätte laut geflucht, wenn er die Lippen nicht so fest aufeinander pressen würde. Fuck, fuck, fuck. 

Wenn er Wood nicht über die Ferien vergessen konnte, dann war er nächstes Jahr aufgeschmissen. Er wusste ja immer noch nicht, was genau auf einmal so besonders an dem Hüter war, und warum er sich  immer so seltsam vorkam, wenn er auch nur in kleinster Weise mit ihm interagierte. 

Zu allem Unglück entdeckte er den anderen Quidditch Kapitän auch noch, ein paar Meter vor ihm laufend und mit glänzender Laune. Als er also selbst die Halle verließ und sich an ihm vorbeidrängte, kollidierte Marcus Schulter hart mit der von Wood, weshalb der unvorbereitete Gryffindor vollends in die Arme seines Streber Weasleys stolperte, welcher diese geistesgegenwärtig ausgebreitet hatte. 

„Pass verdammt nochmal auf Wood!", rief Marcus ihm noch hinterher, obwohl er ihn ja mit Absicht angerempelt hatte. Seine Nerven lagen blank. Er musste hier einfach so schnell wie möglich weg, weg von Wood, der ihm wüste Beschimpfungen hinterherrief. 

Hoffentlich, und dafür würde er sogar beten wenn es sein musste, hoffentlich würde er Wood vergessen. Wenn es sein musste, dann war er sogar bereit, sich dafür einen Klatscher gegen den Kopf schlagen zu lassen. Alles, solange das nicht wahr wurde, was Marcus aus tiefstem Herzen befürchtete. 

Chasing you down againWo Geschichten leben. Entdecke jetzt