Eine nicht leere Lehrkraft lehrt

14 0 0
                                    

Eine Sache muss man der Kommissarin lassen, sie wäre eine ziemlich gute Lehrerin! Sie hat eine Doppelstunde Englisch ohne Probleme durchgezogen. Die Klasse, die manchmal wie eine wilde Meute wirkt, hat sie komplett unter Kontrolle bekommen. Jedoch bin ich mir sicher, dass sie in ihrem Beruf bereits ganz andere Sachen durchstehen musste, als einen Haufen Privatschüler unter Kontrolle zu halten. Trotzdem ist diese Leistung nicht weniger beeindruckend. Immerhin ist schon einiges an Fachpersonal bei uns abgeschmiert! Obwohl abgeschmiert natürlich eine geschmacklose Formulierung ist, wenn man bedenkt, was unseren Schuldirektor widerfahren ist. Dieser ist ja nämlich tatsächlich abgeschmiert...

Ich für meinen Teil habe beschlossen, dieser neuen Situationen keine allzu große Beachtung zu schenken. Ich werde der Kommissarin nicht zu nah kommen und mich nicht weiter einmischen.

Obwohl sie vermutlich noch einmal mit mir reden möchte. Alleine schon um sicher zu gehen, dass ich nichts über ihre wahre Identität verrate. Was aber eher eine schnelle Formalie wird. Ich habe meine Entscheidung nämlich schon getroffen. Ich verrate nichts! Warum sollte ich auch??? Zumal ich eh nicht erklären könnte, woher ich sie überhaupt kenne. Ich will ja nicht, dass meine Rolle publik wird. Im Grunde habe ich also keine wirkliche Wahl. Ein Zustand der im Allgemeinen häufiger vorkommt, als es mir eigentlich genehm ist. Die Klingel befreit mich von diesem herben Gedankengang und sofort springen die meisten auf und begeben sich Richtung Tür. Ich will mich gerade der Masse anschließen, als eine sanfte und gleichzeitig autoritäre Stimme meinen Namen sagt: "Joshua, einen Moment noch, ich würde gerne mit dir reden", sagt die Kommissarin/Lehrerin.

Ich verkneife ich mir ein Lächeln, wusste ich es doch. Ich glaube, ich werde es ihr schwer machen und vielleicht ein paar Andeutungen machen. Nachdem alle anderen den Raum verlassen haben und nur noch wir beide übrig sind, treffen sich unsere Blicke. Beide warten darauf, dass die andere Person zuerst etwas sagt. Dieses Spiel werde ich nicht verlieren.

"Ehrlich gesagt, bin ich etwas enttäuscht, als ich deine Noten und deinen Ruf innerhalb des Lehrerkollegiums mitbekommen habe, ich habe mir ehrlich gesagt mehr erhofft. Du hast so aufgeweckt gewirkt auf dem Revier, dann habe ich mir deine Fehlzeiten angeschaut und es hat Klick gemacht. Du bist zu faul, du machst nichts aus dir."

Einen Moment brauche ich, um zu realisieren, was hier gerade passiert. Sie bittet mich nicht darum, ihre wahre Identität geheim zu halten, sie meckert mich an! Die hat ja mal vielleicht Nerven aus Drahtseilen! Entweder sie ist sich meiner Lage bewusst und weiß, dass ich niemandem sagen kann, wer sie ist oder sie ist einfach nur extrem cool. Ich weiß nicht, was ich besser finden würde... Trotzdem kann ich mich nicht einfach so anmeckern lassen.

"Also erst mal freut es mich, dass Sie sich über mich erkundigt haben und zweitens gebe ich ab der dritten Stunde immer mein Bestes. Außerdem habe ich erwartet, dass Sie etwas netter zu mir wären, aber offenbar wissen Sie selber, dass ich Ihre Identität niemand verraten kann. Trotzdem wäre etwas Freundlichkeit schon nicht schlecht..."

Ihre Gesichtszüge verändern sich und wirken etwas wärmer, wenn auch nicht sehr viel wärmer. "Siehst du, du hast sofort einen Schritt weitergedacht und alles richtig zusammengesetzt. Ich habe mich also nicht in dir getäuscht. Das freut mich. Für mehr haben wir jetzt keine Zeit, aber meine Karte hast du ja bestimmt noch", sagt sie fast schon herausfordernd.

Wie ein kleiner Junge nicke ich und komme mir selber dabei ziemlich armselig vor. Ohne mich zu verabschieden, fliehe ich von dieser Unterhaltung. Wäre dies ein Boxkampf, wäre diese Runde ein klarer Sieg für sie. Und das, obwohl ich die bessere Ausgangslage gehabt hatte.

Erstaunlich und gleichzeitig beängstigend.

Hey, Josh!( Das Ausrufezeichen ist pure Dramaturgie )Where stories live. Discover now