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ich weiß nicht, am liebsten würde ich es dir nicht sagen, weil es dich mit einschließt, du somit niemals erfahren könntest, worum es ging, aber die tatsache ist nun gerade, dass ich niemanden habe, dem ich dieses erzählen könnte.

Elise sitzt in einer blechdose, die auch ein auto ist. Neben ihr eine fremde, die auch eine freundin ist. Elise rümpft die nase und blickt aus dem geöffneten fenster. Doch der mond sitzt auf dem autodach, er tut es still und heimlich, denn elise weiß davon nichts. Seinen fluss aus silber strömend, ein altes lied leise - betörend. Das nächste wunder - nur eine armlänge entfernt (und für blicke undurchdringbare millimeter an blech).

Ich vermisse sie, weißt du? Immer wenn es frühling wird -

du musst nicht weitersprechen.

dann-

-

dann-

ja?

-

das mädchen neben elise betätigt den scheibenwischer, blickt hinaus, stummes wischen.

Ich frage mich, warum mich niemand danach fragt, ob ich einsam bin.

Weil du so glücklich wirkst.

Eigentlich könnte ich hier auch ganz alleine sitzen.

-

du strahlst.

... ich habe angst, zu viel von dir zu verpassen.

Ich glaube, ich weiß gar nicht mehr, wer du überhaupt bist. Wusste ich je, wer du warst? Einmal wolltest du hebamme werden und erzähltest mir von dem glück eines kindes in deinen armen, die woche darauf dann fluglotsin, wie sehr du den test fürchtetest; die chancen waren sehr gering, aber wir lachten gemeinsam über die vorstellung von dir als fluglotsin und ich fragte mich, wohin das mädchen gegangen war, das die hände kleinster geschöpfe drückte, die feuchtdichte wärme kindlicher atemzüge auf ihrer wange spürte. Bei unserem nächsten ausflug zum see erzähltest du mir von deinen möglichkeiten als game designerin. Wie immer nicke ich, versichere dir, das sei die passendste wahl, die du hättest treffen können, denn es stimmt; mit jedem wort malst du in meinem kopf ein bild deiner möglichen zukunft in all ihrer verlockenden unbekanntheit. Gemeinsam treiben wir auf der wasseroberfläche, die augen zum himmel gewandt, wolkenformation 119, die aus einzelnen gebauschten wölkchen besteht, mit den händen den vögelflügen folgend, jedes geräusch von den seeufern unnatürlich laut, das gelächter einer gruppe jugendlicher mit bierdosen und einem grill, ein pärchen, das im seichten wasser aneinander lehnt, einmal fanden wir die reste von shampoo am rande des sees, eines der mädchen hatte sich die haare im see gewaschen. Die stimme deiner mutter, die uns davor warnt, nicht zu weit hinauszuschwimmen, wir, wie wir die andere seite des sees erreichen, im schlamm unsere glieder in der sonne wärmen, zusammengekniffene augen, das nasse haar, die sommersprossen um deine nase, kindliches kichern, ein kleines insekt auf meinem großen zeh, die flügel gefaltet begibt es sich auf wanderschaft, du bist für es nur ein bestandteil der natur, ein hügel oder sowas, sagst du, ist das nicht schön? Einer dieser tage, an denen wir im see tauchen gehen, mein haar schleppend wie ein dunkler fächer im wasser, ich überlege wie lang ich die luft anhalten kann, das angenehme gefühl der leere in meinen lungen, dann an einer tiefen stelle ein feines schimmern, druck auf meinen ohren, wasser in der nase: wir müssen die perlenohrringe bei einer vollmondnacht tragen, sonst klappt es nicht. Wirst du es tun? Nur wenn du es auch tust. Aber mach es nicht ohne mich. Jahre später, als ich dich frage, ob du es damals tatsächlich getan hast: ich habe sie wohl einfach vergessen. Ich habe sie nicht vergessen. Ich hatte bloß angst vor einer infektion, doch für mich steckte in dem matten glanz der perlen in der mulde meiner hand ein letzter rest der sagen und tagträume meiner kindheit.

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also deine ganzen interessen und die musik, die du hörst. Ich bekomme davon ja nicht wirklich was mit.

Als ich dich zuletzt besuchte in der großstadt, in der du jetzt wohnst, hast du mir ein fotoalbum in die hand gegeben. Dein 2022. wie du auf all den bildern strahlst - ich betone, wie schön ich die bilder finde - in ihnen sehe ich, was ich manchmal von dir in deinen worten zu sehen glaube. Mit dir zu sein ist ein irrgarten aus worten und mimik und gestik, ein großes spannungsfeld aus all deinen wünschen, wie du gerne wärest, deinen hoffnungen, wie du sein könntest und dem tiefen selbsthass für das, was du bist, wenn du nicht auf deine worte aufpasst. Auf manchen bildern sind deine freunde zu sehen, auf vielen die orte, an denen du gewesen, auf den meisten - du selbst. Wie schön du bist. Habe ich dir das oft genug gesagt? Würdest du je verstehen, wie schön ich dich finde?

du hast mal gesagt, ich würde dich zu wenig fragen.

Weißt du noch damals, als du nachts nach einer party vor meiner tür gestanden, auf meinem teppich gesessen hast und weintest, weil du glaubtest, dich selbst nicht zu kennen? Das war der letzte und erste moment, in dem du ehrlich zu mir warst. als du mich angesehen hast, da hätte ich alles sagen können - wie leer mein leben geworden war, dass auch mir es so vorkam, als müsste ich meine identität jedes mal aufs neue kreieren, dass ich tatsächlich einsam war, dass ich unsere verbindung, wie sie einst war, vermisste, dass ich dich vermisste und dass ich vermisste, wer wir einst waren, bevor das leben kam. Dass ich den abstand auf schätzungsweise mehrere tausend lichtjahre zwischen uns anwachsen spüre. Und du hättest mich stumm angesehen, weil es zeit braucht, bis über eine solche distanz informationen übermittelt werden, vielleicht hättest du mich irgendwann umarmt, mich verstanden, vielleicht hättest du gesagt, dass es dir ähnlich geht.

Ach das. It really wasn't that deep.

Aber ich glaube, dass die verbindung zwischen uns sich so schnell nicht ändern wird. Ich blicke auf die wachsende dunkelheit, wie hell darin die einzelnen sterne leuchten.

Das stumpfe geräusch des scheibenwischers - krrrr - licht, das über die ausdruckslosen gesichter im wageninneren fällt, oder ist der ausdruck etwas, das nur in sie hineingedacht?

-der vorhang fällt und niemand klatscht.

Sie und die WölfeWhere stories live. Discover now