1941 - 2

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„Da steht wieder 1941

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„Da steht wieder 1941. Komisch." Rasmus schielt in das dritte Fach hinein.

„Katharina ist sehr methodisch. Vermutlich hat das hier nichts mit dem davor zu tun." Paul kann das am besten von uns allen beurteilen.

„Ja, ich glaube auch", stimmt Rasmus zu und fischt einen Brief, ein Foto und ein gemaltes Bild heraus. „Das ist ein Brief von einer Freundin. Am Umschlag sind die Briefmarken abgerissen."

„Sie hat wohl einen Briefmarkensammler gekannt", mutmaßt Lisette, doch Rasmus, der den halben Brief schon überflogen hat, schüttelt den Kopf. „Das war's nicht."

„Das Bild ist schön. So gut möchte ich auch zeichnen können. Hat Katharina das gemalt?"  Die Frage seiner Zwillingsschwester beantwortet Rasmus mit einem Tipp auf die Unterschrift 'Juliane' vor den 'Sehr gut' eines anonymen Lehrers. Kirsten besieht sich die braunen Ungetüme, in denen die strickenden Mädchen eingeklemmt sind. "Aber was ist das?"

Paul sieht sich die Zeichnung an. „So sahen die Schulbänke früher aus. Das sind Mädchen im Handarbeitsunterricht."

„Und warum steht da, wir stricken für Soldaten?"

Das weiß ich. „Das war früher in Kriegszeiten üblich. Ich kenne das auch aus einem amerikanischen Roman, der kurz nach dem Ersten Weltkrieg spielt. Dort wird ebenfalls erwähnt, dass die Schulmädchen Socken für die Soldaten stricken mussten. Das zählte sozusagen als ihr Beitrag zum gerechten Sieg. Im Naziregime war das wohl noch heftiger. Denen gings ja schon bei Zehnjährigen drum, dass die Kinder mithelfen, damit Deutschland alle ‚unwerten' Rassen ausrotten kann."

Kirsten ist schon beim Foto. „Katharinas Schulklasse. Krass, wie die angezogen sind. Und fast alle haben lange Zöpfe." Das fällt Kirsten, deren dunkle Locken sogar kürzer sind als Rasmus' kinnlanger Kurt-Cobain-Bob, natürlich als erstes auf. Sie geht spornstreichs zum Friseur, sobald ihr Haar die zehn Zentimeter überschritten hat. Und die Mutter einer Freundin, die ihr neulich erklärt hat, wie hübsch sie doch mit langem Haar aussähe, wird mittlerweile geflissentlich ignoriert. Demnächst werde ich mal intervenieren, wenn sich da nichts tut.

„Guckt mal, Katharina hält Händchen!" Rasmus hingegen kann das „Mädchenkuscheln" nicht ausstehen.

Wir alle gucken. „Ist wohl die beste Freundin", vermutet Paul.

„Klar, schwul kann sie ja nicht sein. Sie hatte ja nen Mann", meint Kirsten. Paul und ich tauschen ein Lächeln aus. Kirsten ist eine so goldige Mischung aus altklug und naiv, dass ich sie einfach nur knuddeln möchte.

„Sie hat die Freundin markiert", Lisette hat feine Bleistiftlinien entdeckt. „Und am Rand steht ‚Juliane'. Sieht so aus, als ob sie das Bild nur wegen Juliane aufgehoben hat."

„Das hat sie auch. Haltet mal die Klappen und lasst mich vorlesen", bestimmt Rasmus. Er sieht sich streng in der Runde um und wir alle legen brav den Finger auf den Mund. Das stimmt ihn gnädig und er beginnt zu lesen:

Genug getan ✔️Where stories live. Discover now