Das Abendessen

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Meine Wut auf den arroganten Besucher loderte wie ein allesverschlingendes Feuer in meinem Magen. Sie war das einzige, das mir die Kraft verlieh, überhaupt aufrecht stehen zu können.

Wer war er, zu verlangen, dass alle beim Abendessen anwesend sein sollen?

"Verfluchter Bastard", murmelte ich leise vor mich hin, während ich langsam die Treppe in die Empfangshalle hinab stieg. Meine Finger waren in den Rock des sanft grünen Kleides verkrampft, das Paria am Rücken so locker wie möglich geschnürt hatte, um meine frischen Wunden nicht zu reizen. Ich war unendlich dankbar, dass sie das Blut abgewaschen, Salben aufgetragen und Verbände angelegt hatte - es würde reichen, um die wenigen Stunden zu überstehen.

Ein Lachen, das in ein ersticktes Husten mündete, lenkte mich für einen Moment von meiner innerlichen Schimpftirade ab. Ich hob den Blick von den Stufen. An der Eingangstür stand ein junger Mann - kein Wachmann, den ich kannte - und hüstelte, um sein Lachen zu verbergen. Sein Lachen hatte einen angenehmen klang und war für mich überraschend, da in diesem Haus niemals jemand lachte.

Der Fremde war hochgewachsen und muskulös; die dunklen Haare kurz geschoren, wodurch seine markanten Gesichtszüge ausgeprägt zur Geltung kamen. Seine Augen funkelten mir amüsiert in einem satten Bronzeton entgegen und sein Lächeln, dass sich zu einem Grinsen ausweitete, war ansteckend. Von den wenigen Männern, die mir begegnet sind, war er der schönste, den ich bisher gesehen habe.

Ich runzelte kurz mit der Stirn bevor ich nicht verhindern konnte, dass ebenfalls ein Lächeln an meinen Mundwinkeln zuckte. 

Er gehörte wahrscheinlich zu unserem Gast...

Dieser Gedanke dämpfte mein Lächeln, denn unbewusst gab ich auch ihm ebenfalls die Schuld, dass ich nun hier war und nicht in meinem Bett. Außerdem verharrte sein Blick einen Moment zu lang an meinem Gesicht - an meinen Narben. Eigentlich konnte ich es ihm nicht verübeln. Er war weder der erste, noch würde er der letzte sein.

"Mylady", in einer galanten Bewegung verbeugte er sich, dabei war ich mir nicht sicher, ob er lediglich über mich spottete. Niemand betitelte mich so, noch verbeugte sich vor mir.

Ich nickte ihm lediglich steif zu, bevor ich die letzten Stufen nahm und mich zum Speisesaal begab. Zu einem Knicks wollte ich mich nicht quälen. Sein Blick brannte in meinem Rücken, weswegen ich die Schultern versteifte. Die Stimmen, die aus dem Saal drangen, führten dazu, dass ich mich nur noch unwohler fühlte und die Anspannung in meinen Körper stieg.

Ich kontrollierte noch einmal, dass meine Narben von dem hochgeschlossenen Kleid mit den langen Ärmeln vollständig bedeckt waren. Kleine, goldene Stickereien säumten den Kragen und die Manschetten. Meine Haare hatte Paria in einen Dutt gedreht, damit das Gewicht meiner schweren Haare nicht auf meinem Rücken lastete, dabei umrahmten einige entflohene Strähnen mein Gesicht.

Nach einem letzten, tiefen Atemzug bat ich den Bedienstete an der Tür, jene zu öffnen.

Mein Onkel, meine Tante und meine Cousine saßen mit dem Fremden bereits am üppig gedeckten Tisch. Redrik bedachte mich leidglich mit einem kurzen Blick, doch wand sich dann wieder dem Gespräch mit dem jungen Mann zu. Meine Tante nippte still an ihrem Wein, wohingegen meine Cousine, die die Schönheit ihrer Mutter, jedoch den hässlichen Charakter ihres Vaters besaß, den Gast mit Blicken zu verschlingen schien.

Der Anblick des Fremden raubte mir für einen Moment den Atem. Götter, war er schön. Haar so schwarz, dass es im Licht beinahe bläulich glänzte. Kiefer und Wangenknochen so scharf, dass man sich bei einer Berührung daran schneiden könnte. Augen so tief und endlos wie das blaugrüne Wasser des Adryls.

Es verstrichen einige Sekunden, in denen ich ihn stumm anstarrte.

Ich raffte meine Gedanken zusammen und riss den Blick von ihm los, dabei bemerkte ich, dass er mich seinerseits ebenfalls aus dunklen Augen angestarrt hatte. Ich spürte seinen glühenden Blick auf mir, wie er über meinen Körper wanderte und an meinem Gesicht verharrte; an meinem Gesicht, nicht an meinen Narben. Ein Blick, der mich verschlingen und mit in die Tiefe seiner unendlichen Augen reißen wollte. Unter der Intensität seines Blickes spürte ich die Hitze in mir aufsteigen, die meine Wangen rötlich färbte. Ich fühlte mich wie eine Beute, die einem wilden Raubtier gegenüber stand.

A court of stars and moonWhere stories live. Discover now