09 | Affäre

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Ein weiterer Todesfall erschütterte das Schloss an diesem Morgen. Meine Zofe verkündete die schrecklichen Neuigkeiten, als sie in meine Gemächer kam, um mir mein Haar zu frisieren. Diesmal traf es einen Wachmann, der nahezu blutleer im Erdgeschoss auftauchte.

Es wäre ein leichtes, Rebekah die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben. Womöglich war sie sogar Schuld daran, aber ich hatte gesehen, wozu sie in der Lage war. Seltsamerweise verfolgte das schlechte Gewissen mich trotzdem. Sie rettete mir das Leben und zum Dank machte ich ihr nur Vorwürfe. Ich schuldete ihr mindestens, ihrer Geschichte zuzuhören. Würde sie mich töten wollen, wäre ich das schon.

Zuallererst brauchte ich aber Luciens Sicht der Dinge. Er brachte diese Familie in unser Zuhause und deshalb stellte ich ihn jetzt zur Rede, bis er endlich mit der Wahrheit rausrückte, so ungern ich diese auch hörte.

Meine Angewohnheit, ohne anzuklopfen in Luciens Zimmer zu stürmen, wurde mir am heutigen Morgen zum Verhängnis. Er war nicht alleine. Eine weitere Person lag neben ihm, den Kopf auf seine Brust gelegt. Lucien hielt die schlafende Blondine im Arm und die Decke verhüllte die beiden Körper nicht genug, um zu verdecken, dass sie nackt waren.

Die Eifersucht packte mich völlig unvorbereitet. Das nagende Gefühl, dass ich dort anstelle von Lucien liegen sollte. Reiß dich zusammen, du hast sie von dir gestoßen.

Ich wollte das Weite suchen und vergessen, was ich sah. Leider fiel in diesem Moment die Tür hinter mir ins Schloss und sowohl Rebekah, als auch Lucien schreckten hoch.

,,Grundgütiger, Mariesa!", rief Lucien aus allen Wolken gefallen und zog eilig die Bettdecke über sich und Rebekah. Dabei erhaschte ich einen Blick auf sein Handgelenk, an dem zwei kleine, kreisrunde Löcher zu erkennen waren. Ich wollte mich übergeben.

,,Entschuldige, das war nicht meine Absicht", stammelte ich und sosehr ich mich auch bemühte, gelang es mir nicht, wegzusehen.

Rebekah schien es überhaupt nicht unangenehm zu sein. Sie grinste mich schadenfroh an, als sei es ihre Absicht gewesen, mich nach dem gestrigen Tag dort zu treffen, wo es mir wirklich wehtat. Sie hatte Erfolg mit dieser Methode. Zwischen uns lief nichts, aber es klappte trotzdem. ,,Mariesa? Schließ die Tür, wenn du gehst, Liebes."

Miststück. Ich biss fest auf meine Unterlippe und setzte mich langsam in Bewegung. Die Tür fiel hinter mir ins Schloss und ich versuchte zu vergessen, was ich gerade sah. Erfolglos.

Rebekah und Lucien.
Täuschte ich mich? Stand sie doch nicht auf Frauen und hatte die ganze Zeit nur Freundschaft im Sinn gehabt? Ich dachte an ihr umwerfend schönes Lächeln, die schmeichelhaften Kommentare und ihre zahlreichen Komplimente. Die Art, wie sie ihr wahres Gesicht offenbarte, nur um mir das Leben zu retten. Verhielt sich so ein Monster?

•••

Rebekah erschien als Letzte zum Frühstück und nahm den Platz neben ihrem Bruder Klaus ein. Mein Vater und Tristan, die während des Essens eine Strategie zum Schutz des Schlosses aushandelten wussten ja nicht, dass die Gefahr bereits in den Gemäuern lauerte und nicht von außen stammte.

Durch ihre Anwesenheit sah ich wieder Bilder ihres Körpers vor meinem inneren Auge, der sich an Lucien schmiegte.

Erik bemerkte meinen frustrierten Blick und seufzte, als ich den Käse besonders aggressiv aufspießte. ,,Ach Mariesa, könntest du dich bitte zusammenreißen?", flüsterte er mit gesenkter Stimme.

Ich setzte ein auffallend falsches Lachen auf. ,,Natürlich, Liebster. Ich werde einfach brav lächeln und so tun, als wäre ich unfassbar glücklich. Ist dir das Recht?"

,,Ich bin nicht in Stimmung, deine schlechte Laune auszuhalten.."

,,Ist es an der Zeit, sich Sorgen um unser Wohnergehen zu machen, euer Gnaden?" Alle Nebengespräche verstummten, als Rebekah die Stimme erhob und sich direkt an meinen Vster wandte. ,,Das ist immerhin schon der zweite Todesfall innerhalb weniger Tage."

Ein Unwissender hätte ihre Stimme mit Unsicherheit verwechselt, aber tatsächlich meinte ich, dass sie sich prächtig amüsierte. So auch Niklaus, der seiner Schwester schelmisch zuzwinkerte.

,,Machen Sie sich keine Sorgen, Liebste. Vor Ihren Zimmern werden selbstverständlich Wachen positioniert."

,,Ich danke Ihnen vielmals. An Ihrer Gastfreundschaft ist nichts auszusetzen, Euer Gnaden." Rebekah hielt den offen lüsternen Blicken meines Vaters stand und spielte geschickt die Rolle des verängstigten Mädchens. Sie trug sehr dick auf, aber mein Vater las ihr sowieso seit Wochen jeden Wunsch von den Fingern ab.

,,Was ist aus 'ich bin selbst in der Lage, auf mich aufzupassen' geworden?", fragte ich unnötig schnippisch und so laut, dass einige am Tisch hörbar aufatmeten und mich ansahen, als habe ich gerade eine Bombe platzen lassen.

Rebekahs Lächeln fiel in sich zusammen, aber nachdem sie sich kurz Zeit genommen und eine Traube verspeist hatte, sprach sie gelassen weiter. ,,Aber doch nicht im Schlaf, mylady"

,,Mariesa, bitte", ermahnte mich Vater.

Ich war normalerweise nicht auf Kravall gebürstet und ging Probleme gesittet an, aber Rebekah machte mich rasend. Auf Sicherheit zu beharren und dabei selbst die Schuldige zu sein fand ich respektlos gegenüber den beiden Menschen, die ihretwegen tot waren. ,,Hast du dafür nicht Lucien?", fragte ich zuckersüß. Die Worte kamen ungehindert aus meinem Mund und ich bereute sie augenblicklich.

Niklaus sprang auf. ,,Wie bitte?!"

Der Blick meines Bruders Tristan verhärtete sich. Er konnte Lucien nie ausstehen und suchte nur nach einer Ausrede, ihn für immer in den Kerker zu sperren. Mit unseren Gästen ins Bett zu steigen fiel zwar nicht unter dieselbe Kategorie wie sich an Aurora ranzumachen, aber es zählte eindeutig unter die Vernachlässigung seiner Pflichten.

,,Niklaus, beruhige dich", forderte Elijah und stellte sich seinem Bruder in den Weg, um ihn daran zu hindern, etwas unüberlegtes zu tun.

Klaus wollte davon nichts hören. ,,Ich habe ihn davor gewarnt, sich unserer Schwester auch nur zu nähern! Habe ihm Freundschaft zugesichert und er hat mich verraten."

Rebekah hatte sich an ihrem Getränk verschluckt und stellte den schweren Krug nachdrücklich auf den Tisch zurück. ,,Er hat dich nicht verraten, Nik. Das war nichts als eine einmalige Sache."

,,Ist das so? Denn du, liebe Schwester, verliebst dich ohnehin in jeden Mann, der dich 'schön' nennt! Ich werde das mit Lucien klären und du wirst hierbleiben und dich nicht von der Stelle rühren."

Herausfordernd schob Rebekah ihren Stuhl zurück und stemmte die Hände in die Hüfte. ,,Und wenn nicht? Was willst du tun?"

Elijah seufzte leise, als könne er nicht fassen, mit diesen Menschen verwandt zu sein. ,,Niklaus, Rebekah. Ich schlage vor, dass wir im Privaten darüber reden und nicht den werten Grafen mit unseren Problemen belästigen." Er wandte sich an meinen Vater. ,,Entschuldigt, euer Gnaden. Ich werde mich höchstpersönlich um diese Angelegenheit kümmern und bin sicher, dass es sich nur um ein Missverständnis handelt."

Erik beugte sich zu mir hinüber, verwirrt über meine neuerdings kratzbürstige Art. ,,Was hat Rebekah dir getan, dass du sie vor versammelter Gesellschaft bloßstellst?"

War er neuerdings auch auf ihrer Seite? ,,Nichts", antwortete ich schlicht, während ich dabei zusah, wie Elijah die beiden immer noch diskutierenden Streithähne aus dem Saal geleitete.

Der älteste Bruder, Finn, dem ich eher die Aufgabe zugestanden hatte, sich um seine Geschwister zu kümmern, schüttelte den Kopf und schwieg. Kol grinste breit, als beobachtete er ein höchst amüsantes Schauspiel und prostete mir zu.

Mein Plan, die Wogen mit Rebekah zu glätten, ging definitiv nach hinten los.





Humanity ᵗʰᵉ ᵒʳⁱᵍⁱⁿᵃˡˢWhere stories live. Discover now