Rückfälle

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Achtung: Hier wird über Selbstverletzung gesprochen

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Achtung: Hier wird über Selbstverletzung gesprochen. Bitte nicht lesen, wenn du dich getriggert fühlen solltest!

Das Problem an Depressionen war, dass man viele gute und auch schlechte Tage hatte. Die Schlechten kamen meistens dann, wenn man es am wenigsten erwartete.

Für einen kurzen Augenblick war man vollends glücklich. Und dann änderte sich alles. Man sah nur noch seine Probleme und, dass man für seine Mitmenschen eine viel zu große Last sein musste. Und daraufhin fühlte man sich einfach nur furchtbar.

Ich hatte damals geglaubt, dass eine Beziehung meine Depressionen für immer vertreiben konnte. Dem war aber nicht so. Sie hatte sich nur in einem weniger starken Ausmaß gezeigt.

Keine Liebe dieser Welt konnte gegen sie ankommen. Da war es egal, wie sehr einem der Partner das Gefühl gab, dass man sehr geliebt wurde.

Nur man selbst konnte ihr Einhalt gebieten und sie in die zugehörigen Schranken weisen. Aber natürlich kam es auch vor, dass man auch Rückfälle erlitt und man eben zumindest für eine kurze Zeit nicht stärker als sie war.

***

Ich hatte gedacht, dass ich die Phase der Verzweiflung überwunden hatte. Doch so war es nicht. Es gab keinen genauen Grund. Doch an einem Abend waren meine Gedanken wieder so dunkel, dass ich mich am Ende heulend im Bad wiederfand.

Ich war eine Versagerin und würde es auch bleiben. Selbst mein Freund hätte mich gerade nicht vom Gegenteil überzeugen können und ich war froh, dass er nicht hier war und meine bitteren Tränen sah.

Das Geräusch, das der Wasserstrahl von sich gab, übertönte mein Schluchzen und mir kam es nicht mehr so schlimm vor, dass ich weinte, weil sich meine Tränen mit dem Wasser, das von oben auf mich herabgeprasselt kam, vermischten.

Ich konnte tun, was ich wollte. Ich war kein normaler Teenager. Ich war gebrochen und niemand schien es zu sehen. Und das lag wahrscheinlich daran, weil Ashley Cooper in der Gegenwart von anderen immer lächelte und sich nichts anmerken ließ.

Mir war alles zu viel. Die Schule. Die Turniere. Meine Freundinnen. Meine Eltern. Und mein Freund. Ich konnte niemanden gerecht werden und das machte mich innerlich fertig. Natürlich wusste ich, dass sich meine Probleme nicht lösen würden, wenn ich auf diese Weise mit meinen Gefühlen umging. Aber ich kannte es leider nicht anders. Man ließ es sich nicht anmerken, wenn es einem schlecht ging und machte es mit sich selbst aus. Außerdem gab es doch keinen offensichtlichen Grund, warum ich mich so fühlte. Ich hatte schließlich alles, was man sich wünschen könnte. Aber so war das nun mal mit Depressionen. Sie konnte jeden unvorbereitet treffen, einen auf den Boden pressen und jegliche Luft zum Atmen nehmen. Das absolut Gemeine an ihr war, dass man sie nur sehr schwer einschätzen konnte. Plötzlich war sie da und umschlang einen mit all ihrer Dunkelheit.

Als ich mit dem Duschen fertig war, machte ich das, was ich sehr lange schon nicht mehr gemacht hatte. Ich kramte in meiner Kosmetiktasche und holte aus ihr mit zitternden Händen das Messer. Viele konnten vermutlich nicht nachvollziehen, warum man sich so etwas antat. Aber wenn man sich vollkommen leer fühlte, dann war die einzige Möglichkeit, um überhaupt etwas spüren zu können, sich Schmerz zuzufügen. Bei meinem ersten Mal, als ich mich selbst verletzt hatte, musste ich die Zähne aufeinanderbeißen, um keinen Laut von mir zu geben. Doch ich hatte damit nun schon so viel Erfahrung, dass ich gar nicht erst irgendein Geräusch von mir gab. Ich nahm das warme Blut auf meinem Arm wahr und es gab mir nicht die Erleichterung, die ich eigentlich gewünscht hätte.

Es war erbärmlich, dass ich so etwas tat und ich schämte mich dafür. Ich griff nach dem Klopapier und versorgte damit die Wunde, die ich mir selbst zugefügt hatte. Als kein Blut mehr kam, entsorgte ich es im Klo. Danach säuberte ich das Messer und tat so, als wäre nie etwas passiert. Und genau damit log ich mich selbst und die Welt an.

Ich zog mir meinen Bademantel über und blickte in den Spiegel, um sicherzugehen, dass meine Augen nicht zu verheult aussahen. Dann verließ ich das Bad und ging in mein Zimmer. Auf meinem Handy befanden sich einige Nachrichten, doch ich hatte gerade einfach nicht die Kraft, auf diese zu antworten. Ich warf mich auf mein Bett und zog die Decke über mich.

***

,,Ashley, es gibt Essen.''

Benommen schlug ich die Augen auf und sah, dass meine Mutter mein Zimmer betreten hatte. Ich rieb mir über das Gesicht und gähnte lautstark.

,,Hast du etwa so geschlafen?'', fragte sie mich, sichtlich belustigt und ich nickte leicht beschämt.

Verdammt, du hast es nicht mal hinbekommen, dich umzuziehen!

Was schaffst du überhaupt?!

,,Dann zieh dich mal an. Wir warten dann untern mit dem Essen auf dich. Es gibt Hähnen mit etwas Gemüse und Reis.''

Mit diesen Worten ging sie und ich war wieder allein. Ich lief zu meinem Kleiderschrank und zog mir eine bequeme Hose und ein T-Shirt an. Ich roch das Essen schon von weitem, als ich die Treppen nach unten zum Wohnzimmer ging. Meine Eltern saßen bereits am Esstisch und hatten sich etwas auf den Teller geschöpft. Ich setzte mich zu ihnen und griff hungrig zu.

,,Du hast uns noch gar nicht erzählt, dass du dich so toll in Mathe verbessert hast. Mr Thomson hat vorhin angerufen und hat richtig begeistert geklungen. Er hat gemeint, dass deine mündliche Mitarbeit sich sehr deutlich gesteigert hat. Und das sowohl in der Qualität als auch Quantität. Er ist sehr zuversichtlich, dass du die nächste Mathearbeit bestehen wirst. Und dann kriegst du auch dein D auf dem Zeugnis. Wir sind sehr stolz auf dich, Ashley'', verkündete mein Vater einfach so und ich war total verblüfft.

Mein Lehrer hatte extra meine Eltern angerufen, um ihnen das zu sagen?

Das kam mehr als überraschend ...

,,Ich habe ja auch einen guten Nachhilfelehrer'', merkte ich an.

Ohne Nick hätte es diese Verbesserung ganz bestimmt nicht gegeben. Er allein war dafür verantwortlich.

,,Natürlich hast du das. Aber diese Verbesserung hängt nicht nur von ihm ab. Du hast auch einen wesentlichen Teil dazu beigetragen. Und dafür klopfen wir dir lobend auf die Schulter'', meinte meine Mutter und stand auf, um mich in ihre Arme schließen zu können.

Es war lieb gemeint, doch das Lob kam nicht richtig bei mir an. Menschen wurden oftmals für ihre Leistung belohnt. Aber nicht dafür, dass sie sich jeden Tag zusammenrissen und vom Bett aufstanden, obwohl sie es nicht wollten.

Dass sie ihren Pflichten so gut sie es schafften, nachgingen, ganz gleich wie überfordert sie manchmal waren. Dass sie lächelten und andere damit aufbauten, ganz egal wie schlecht es ihnen eigentlich ging. Genau für so etwas sollte man nämlich belohnt werden.

Band 4 der Living Reihe - Living my best life ✔️Where stories live. Discover now