𝑲𝑨𝑷𝑰𝑻𝑬𝑳 𝟕

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Aliva

Ich schlage die Augen auf und gebe ein lautes Gähnen von mir. Es ist zwar mitten in der Nacht, aber ich kann nicht schlafen. Seufzend rapple ich mich auf und schleiche mich in den Küchen- und Essraum von meiner Tante. Diese sitzt an ihrem Tisch und isst eine Suppe mit allem möglichen Gemüse drin, welche sie sich offenbar als Abendessen gemacht hat. Ich räuspere mich, um auf mich aufmerksam zu machen und Irina blickt auf. 
»Es wundert mich nicht, dass du wach bist, Aliva«, schmunzelt sie. »Prinzessin Samira und dein Freund Dylan konnten ebenfalls nicht schlafen. Sie sind hierher gekommen und haben sich dann mit mir unterhalten.«
»Haben sie das?«, frage ich ein klein wenig kühl.
»Ja«, antwortet sie. »Aber sag, ist alles in Ordnung?«
»Ja«, gebe ich als Antwort. »Ich schätze es nur nicht, wenn ich von fremden Erwachsenen einfach geduzt werde. Erst, wenn ich sie besser kenne, erlaube ich es, dass sie mich mit dem vertrauten Du ansprechen. Bei Casimir, Doreen und Flora jedoch ist es eine Ausnahme gewesen, weil ich es ihnen gegenüber vergessen habe zu erwähnen. Und da Casimir und ich uns dann schon besser kannten...« Ich beende den Satz nicht und Irina nickt höflich. »Ich werde es beherzigen«, meint sie und ich nicke dankbar. Dann erhellt sich ihr Gesicht plötzlich und sie steht auf.
»Kommt mit«, meint sie.
»Wohin?«, erwidere ich misstrauisch, da ich ihr noch immer nicht traue.
»Ich will Euch etwas zeigen«, antwortet sie.
Verwundert folge ich ihr in einen Raum, der eher einem Pferdestall ähnelt. Der Boden ist mit Stroh ausgelegt, jedoch gibt es keine Boxen. Mir klappt die Kinnlade herunter, als ich sehe, was mir Irina zeigen will.
»Sind das eure?«, fragt sie mich.
Die Faye stoßen im Chor ein freudiges Wiehern aus. Meines kommt sofort auf mich zugelaufen und ich streichle ihm über die Wolfsschnauze. Diese Tiere haben die Körper, Hufe, Schweife und Mähnen von Pferden, jedoch die Ohren und die Schnauze eines Wolfes und besitzen zudem auch noch Flügel. Verblüfft drehe ich mich zu meiner Tante um: »Das sind die Faye, mit denen meine Freunde und ich in die Elementwälder geflohen sind. Jedoch haben wir sie verloren. Sie sind uns ausgebüxt.«
»Deshalb hatten Eure Freunde keine Fortbewegungsmittel, als ich euch allesamt vor den Coréane rettete?«, fragt Irina und schmunzelt dabei.
»Richtig«, meine ich.
»Ich habe mich ganz schön gewundert, als plötzlich vier Faye vor meinem Unterschlupf aufgetaucht sind«, erklärt sie. »Sie waren ganz schön aufgeregt und haben sich nur schwer beruhigen lassen. Mir war sofort klar, dass dort draußen irgendetwas nicht stimmte. Also habe ich mich aufgemacht, um dieser Sache auf den Grund zu gehen.«
»Und dann fandet Ihr uns?«, frage ich.
»Ja«, antwortet sie. »Aber sagt mir doch bitte, weshalb ihr ausgerechnet mich aufgesucht habt und deshalb geflohen seid.«
»Ihr wisst es doch.« Jetzt bin ich es, die überrascht schaut. »Meine leibliche Mutter hat mir eine Prophezeiung über mein Schicksal hinterlassen...«
»Das weiß ich«, unterbricht sie mich. »Jedoch kann ich nicht lesen, was auf dem Pergament steht, auf welchem Eure Mutter die Prophezeiung über Euer Schicksal niederschrieb, Rhea Aliva.«
»Wie meint Ihr das?« Ich ziehe eine Braue hoch.
»So, wie ich es sage«, meint Irina ungerührt. »Offenbar können nur ausgewählte Menschen dieses Pergament lesen. Und Eure Freunde gehören dazu.«
»Hmm«, meine ich nachdenklich. »Dann wundert es mich, weshalb Ihr nicht dazugehört.« Irina legt mir eine Hand auf die Schulter und sieht mich liebevoll an. »Sie hat Euch sehr geliebt, Aliva«, sagt sie leise. »Euer Vater auch. Aber das könnt Ihr Euch sicherlich denken. Beide hätten Euch gerne aufwachsen sehen.« Ich seufze. »Meine Zieheltern, denen ihr beide mich anvertraut habt, sind gestorben. Ich war noch ganz klein, als es passiert ist. Von da an hatte ich nur noch meine Ziehgroßeltern, die mich aufzogen. Meine geliebte Ziehgroßmutter jedoch starb, als ich gerade sechs Jahre alt war...«
»Was?«, haucht Irina leise. »Aliva, wenn ich das gewusst hätte, ich hätte...«
»Bemüht Euch nicht«, meine ich leise. »Ich brauche kein Mitleid von Euch. Von niemandem. Und ich will es auch nicht.« Schnell wische ich die Träne weg, die meine Wange hinunterlaufen will. Ich spüre Irina, die meinen Kopf an ihre Brust drückt und mir über mein lockiges Haar streicht. Götter, ich will kein Mitleid.
»Euer leiblicher Großvater, hätte anders gehandelt«, murmelt meine Tante in mein Haar. »Er hätte den Tod Eurer Ziehgroßmutter hinauszögern können.«
Ich hebe den Kopf und sehe Irina stirnrunzelnd an: »Wie meint Ihr das?«
»Er war vor einigen Jahren bei mir«, erklärt sie und scheint dabei mit ihren Gedanken in eine ferne Zeit zu schweifen. »Er schien aufgebracht zu sein. Wütend. Fast so, als ob er sich über etwas geärgert hat. Jedoch wollte er mir partout nicht sagen, weshalb er eine solche Laune an diesen Tag gelegt hat. Ich vermute, dass er vom Tod Eurer geliebten Ziehgroßmutter gewusst hat.«
Ich löse mich von Irina. »Wie heißt er? Mein leiblicher Großvater, der Euch besuchte? Ist es Euer Vater?«
»Woher wisst Ihr davon, Aliva?«, fragt sie. »Kennt Ihr ihn etwa?«
»Nein«, antworte ich ernsthaft. »Beziehungsweise glaube ich es. Denn er ist mir einmal begegnet. Doch ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob ich ihm wirklich begegnet bin.« Damit wende ich mich um und verlasse die Faye und meine Tante.

𝑮𝒆𝒉𝒆𝒊𝒎𝒏𝒊𝒔𝒗𝒐𝒍𝒍𝒆 𝑩𝒍𝒖̈𝒕𝒆 𝟐 - 𝑫𝒊𝒆 𝑴𝒂𝒈𝒊𝒔𝒄𝒉𝒆 𝑺𝒆𝒆𝒍𝒆Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt