🌊 Mein Wesen - mein Schicksal 🌊

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„Gib mir ein Versprechen. Ein einziges."

Ich erinnerte mich an jedes einzelne Mal, als diese Worte meine Lippen verlassen hatten. Das Gesprochene stets vom Rauschen der Wellen begleitet, doch laut genug, um gehört zu werden. Wohl nur nicht erhört. Sie alle hatten ihre Hände von meinen gelöst. Mich mit einem dieser Blick angesehen, der einen Teil meines Herzens zerbrechen gelassen hatte, einen Teil von mir für immer zunichte gemacht hatte. Und dann hatten sie mich allein zurückgelassen. Ohne mich überhaupt angehört zu haben. Ohne erfahren zu haben, warum ich ihnen ein Versprechen abnehmen wollte. Eine traurige Wendung, die sich im Laufe meines Seins zur Genüge wiederholt hatte.

Vielleicht gehörte es sich unter Menschen nicht, etwas von jemandem zu verlangen? Bis heute wusste ich es nicht, war ich doch nicht unter diesem Volk aufgewachsen. Aber war es denn wirklich so verwerflich, auf etwas zu bestehen, damit ich furchtlos lieben konnte?

An Tagen wie diesen, an denen ich nicht mehr ich selbst war, verschlug es meine Gedanken immer wieder in diese Richtung. Und obwohl ich es sonst versuchte zu umgehen wie ein Schiff die Klippen, zog es mich am Ende doch in den Sog der Gedanken, aus dem kein Entkommen möglich war.

Wie oft war ich meinem Glück jetzt schon nah gewesen, ehe man es mit dem nächsten Wellenschlag weit hinter den Horizont verbannt hatte? Aufgebracht ließ ich den sandigen Grund des Meeres umher wirbeln und verursachte so eine kurz anhaltende Trübnis im Wasser. Warum stieß ich nur immer auf Menschen, deren Herz einer schlammigen Uferbrühe ähnelte?

Ich wollte doch leben und lieben und vielleicht irgendwann vergessen, dass ich niemals gänzlich in diese Welt gehören würde. Mein Wesen war mein Schicksal. Und dieses Schicksal sah wohl nicht vor, ein gutes Ende zu nehmen.

Verdammt, ich wollte nicht mehr allein sein, nicht hier im flachen Wasser dieser gottverlassenen Bucht sitzen und mich verstecken müssen! Vor den Menschen und ganz besonders vor mir selbst. Ich konnte die Einsamkeit hier nicht ausstehen und musste doch einmal in der Woche gezwungenermaßen hierherkommen.

Denn hier, hier war überhaupt niemand. Niemand, der sehen konnte, wer ich wirklich war. Niemand, der mich mit Abscheu betrachten würde und auf mich zielen würde. Niemand, der mich verfluchen, vertreiben und jagen würde.

Einzig vor dem Meer konnte ich mich nicht verbergen. Aber das brauchte ich auch nicht, denn die See war es, die mich verstand und mein wohl gehütetes Geheimnis bloß von einer Welle zur anderen übergab, bis es mit der Gischt an Land verlief. Und heute schwieg es, hüllte sich mit mir gemeinsam in ein bekümmertes Schweigen. An solchen Tagen waren die Wellen, die meinen Körper beim Näherkommen sanft und tröstend umspülten, mein einziger Fixpunkt.

Ich hasste es, in diesem Körper gefangen zu sein. Und das wusste der Ozean ganz genau. Umso dankbarer war ich ihm, dass er so gut es ging versuchte, meinen Schlangenleib vor den Sonnenstrahlen zu verbergen. Denn der Anblick der farblosen Schuppen, die meinen Körper von der Hüfte aus abwärts bedeckten, entfaltete nur im Licht der Sonne, die erbarmungslos auf mich hinab schien, seine schrecklich schöne Wirkung.

Die Wellen schienen in ein ewig Spiel mit meinem Schlangenkörper versunken zu sein und brachten ihn dazu, am Grund des Ozeans kleinere Sandkörnchen herumzuwirbeln, die das Wasser dann an neue Plätze wies. So schirmte es wenigstens für wenige Augenblicke die Sonne von mir ab, ehe sie wieder durchs Wasser brach und die Schuppen in einen Anblick flüssigen Goldes brachte. Bei jeder Bewegung kamen weitere leuchtende Farbnuancen hinzu.

Meine Zeit des Staunens über dieses Spektakel war schon längst vorüber und ich blickte der Tatsache ins Auge, dass mein Wesen ein einziger Fluch war. Eine Melusine zu sein, war das Schlimmste, das es gab. Ich war einsam, gefürchtet und es verdammt nochmal satt, niemanden zu finden, der hinter meine in den Bann ziehende Erscheinung blickte und eine zarte Menschenseele erblickte, die ebenfalls Gefühlen und Bedürfnissen besaß.

Federgekritzel - Eine Sammlung von KurzgeschichtenDonde viven las historias. Descúbrelo ahora