Kapitel 1

15 1 0
                                    


"Wir erreichen nun in Kürze den internationalen Flughafen von Tokyo. Bitte legen Sie ihre Sicherheitsgurte wieder an und bringen sie ihre Sitze in Originalposition. Klappen Sie bitte auch Ihre Tische hoch. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in Japan." Neugierig starrte ich aus dem kleinen Fenster. Unter uns glitzerte das hellblaue Meer und in der Ferne konnte ich das Festland erkennen. Wie sehr ich diesen Anblick vermisst hatte. Wie lange war es her, seit ich hier war? Wie lange hatte ich schon davon geträumt, wieder her zu kommen? Eine Flugbegleiterin lief durch den engen Flugzeuggang und kontrollierte die Sicherheitsgurte. Ich schob meine Decke beiseite, um es ihr einfacher zu machen. Sie lächelte mich dankbar an. Ich liebte es, Menschen einen Gefallen zu tun. Es machte mich unglaublich glücklich und hinterließ das Gefühl von Zufriedenheit. Das Flugzeug verlor gemächlich an Höhe und setzte dann schließlich ohne Probleme auf der Landebahn auf. Ich war wieder hier. Ich war wieder in Japan. Endlich...

-------

"Rose!", rief eine zarte Stimme. Ich sah einen Blondschopf auf mich zu rennen und identifizierte sie als meine beste Freundin. Stürmisch fiel sie mir um den Hals. "Izumi, hey!", begrüßte ich das zierliche Mädchen. Hinter ihr konnte ich ihren Verlobten Kozume Kenma ausmachen. Ich winkte ihm zur Begrüßung zu und er lächelte. "Danke, dass ihr mich abholt", sagte ich leise. Izumi schaute mich empört an. "Das ist doch selbstverständlich! Ich lasse dich hier nicht alleine rumlaufen, ehe du dich etwas in der Stadt auskennst", gab sie mir zu verstehen. Ich nickte. Nie im Leben würde ich es wagen, ihr zu widersprechen. Wie sie sich etwas in den Kopf setzte, zog sie es durch. Kozume-san nahm meinen Koffer und Izumi griff nach meiner Hand. Gemeinsam gingen wir auf den Ausgang zu. "Ich freue mich so riesig, dass du hier bist! Wir können so viel unternehmen", meinte meine beste Freundin erfreut. Als Zustimmung nickte ich. Kozume-san hievte meinen Koffer in den Kofferraum seines Wagens, dann stiegen wir ein. Er und Izumi unterhielten sich leise auf japanisch während ich die Aussicht genoss. I'm back Japan!

Bevor wir zu meiner neuen Wohnung fuhren, machten wir an einem kleinen Café halt, um uns zu stärken. Mit hochgezogenen Augenbrauen studierte ich die Speisekarte. So ein Mist. Ich war gerade erst hier und schon machte sich die Sprachbarriere bemerkbar. Es war mir beinahe peinlich, Izumi und Kozume-san zu fragen, ob sie mir die Karte übersetzen konnten. So ein Dreck aber auch. Hätte ich vor wenigen Wochen im Sprachkurs besser aufgepasst, hätte ich dieses Problem nicht gehabt. Jetzt war es eh zu spät. Ich notierte mir innerlich, noch heute einen Sprachlehrer zu engagieren. Letztendlich entschied ich mich aufgrund Kozume-sans Empfehlungen für japanische Eiscreme in den Geschmackssorten Macha und Lavendel. Ich hatte mir vor meiner Abreise fest vorgenommen, über meinen Schatten zu springen und etwas Neues auszuprobieren. Aus meinem Rucksack fischte ich eine kleine Tube mit Desinfektionsmittel und verteilte das stark riechende Mittel auf meinen Handflächen. So sehr ich dieses Ritual hasste, es war notwendig. Ich wollte mich nicht schon gleich am ersten Tag mit irgendeinem Virus anstecken.

"Ich muss mich noch bei dir und deiner Mutter bedanken, Izumi", erinnerte ich mich. Neugierig schaute sie mich an. Sie war echt ein Engel. Ich lächelte, ehe ich sagte: "Für den Job in der Grundschule. Ihr habt mir echt weitergeholfen. Ohne euch hätte ich nicht so schnell eine Stelle bekommen." Izumi winkte ab: "Kein Ding." Dann überlegte sie kurz und ein geheimnisvolles Lächeln trat in ihr Gesicht, dann sprach sie leise mit Kozume-san, wieder auf japanisch damit ich sie nicht verstehen konnte. Er nickte zustimmend. "Aber wenn du deinen Dank bekennen möchtest, hätte ich etwas, womit du uns glücklich machen könntest. Eigentlich wollten wir dich erst später fragen, aber es passt gerade...", meinte sie, ehe sie weitersprach: "Kenma und ich würden uns sehr darüber freuen, wenn du meine Trauzeugin wirst." Ich riss die Augen auf. Sie wollten, dass ich so eine wichtige Aufgabe übernahm? Insgeheim freute es mich, dass Izumi an mich gedacht hatte. "D-das... Ich werde sehr gerne deine Trauzeugin!", stammelte ich mit einem breiten Grinsen auf meinem Gesicht. Izumi strahlte mich an, dann sprang sie auf und fiel mir um den Hals. Alleine dies bewies mir, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Es war richtig gewesen, hierherzukommen.

--------

Meine neue Wohnung war im sechsten Stock eines riesigen Wohnkomplexes. Sie war nicht gerade groß, aber genau richtig. Ich fühlte mich sofort pudelwohl. Ein Großteil meiner Sachen hatte ich schon vor einem Monat mit dem Schiff vorgeschickt und Izumi war so lieb gewesen und hatte sie, als sie angekommen waren, abgeholt und bei sich Zuhause gelagert, bis ich die Wohnung beziehen konnte. Den Nachmittag verbrachten wir damit, die Sachen zur neuen Wohnung zu transportieren und mein neues Eigenheim sauber zu machen. Mit Wischmop und einem Eimer voll mit Wasser bewaffnet machte ich mich daran, die vom vorherigen Mieter zurückgelassenen Staubpartikel zu vernichten, während Izumi mir dabei half, die Fenster zu putzen. Nebenbei brachten wir uns gegenseitig auf den neusten Stand und sie erzählte mir von ihrer bevorstehenden Hochzeit und was sie bereits geplant hatten. Es machte Spaß, ihr zuzuhören. Dann fragte ich sie, ob sie jemanden kannte, der mich in Japanisch unterrichten konnte.

"Soweit ich weiß arbeitet an deiner Schule ein Lehrer namens Sugawara Koshi, der neben der Arbeit auch Japanisch lehrt. Du könntest ihn fragen. Meine Mutter gibt dir bestimmt seine Nummer", schlug sie mir vor. Ich dachte darüber nach. "Danke, das wäre lieb." Ich würde sicherlich darauf zurückkommen. Draußen ging bereits die Sonne unter und ich beschloss, den Rest alleine zu erledigen. Nachdem ich Izumi nach Hause geschickt hatte, fing ich an, meine Sachen auszupacken. Ich besaß nicht viel, nur das Nötigste, den Rest hatte ich in New York gelassen. Hätte ich mehr mitgenommen, hätten meine Eltern bemerkt, dass ich fortgehen würde. Ich grinste innerlich. Bestimmt hatten sie mein Verschwinden mittlerweile bemerkt und waren außer sich vor Wut.

Ich hatte diese Diskussion tausend Mal mit ihnen geführt, ich hatte mehrmals versucht, von Zuhause wegzuziehen, doch sie hatten es jedes Mal verhindert. Zuletzt wollten sie eine Verfügung beantragen, die sie zu meinem rechtlichen Vormund machte. Alles nur wegen dieser blöden Krankheit. Ich litt seit meinem vierzehnten Lebensjahr an der Autoimmunkrankheit Relapsing Remitting Multiple Sclerosis, kurz RRMS. Entdeckt wurde die Krankheit aufgrund einer Lungenentzündung, wegen welcher ich für längere Zeit im Krankenhaus lag und wo die Symptome das erste Mal auftraten. RRMS ist die häufigsten Krankheitsform von Multiple Sklerose. Die Symptome treten schubweise auf und sind häufig in Seh- und Mobilitätsstörungen gekennzeichnet. Normalerweise werde ich dadurch kaum beeinträchtigt, denn sie treten nur selten auf und ich nehme Medikamente, mit welcher die Krankheit gut behandelt werden konnte. Ein negativer Nebeneffekt war jedoch, dass es mein Immunsystem stark schwächte und dass diese Schübe extrem schmerzhaft sein konnten. Außerdem ist die Krankheit nicht heilbar. Aber ich konnte damit leben. Ich lasse mich nicht von meiner Krankheit einschränken. Nur leider wollten meine Eltern dies nicht verstehen. Deswegen bin ich weggegangen. Ich hatte es satt, von ihnen kontrolliert zu werden. Ich war nicht schwach. Ich kam schon alleine klar.

You've reached the end of published parts.

⏰ Last updated: Apr 13 ⏰

Add this story to your Library to get notified about new parts!

[The Scars Between Us] Sakusa x OC (Vorerst Pausiert)Where stories live. Discover now