𝓘𝓂 𝓐𝓊𝑔𝑒 𝒹𝑒𝓈 𝓢𝓉𝓊𝓇𝓂𝓈

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Es war die Ruhe vor dem Sturm.

Das Unwetter lag in der Luft, sodass sich die kleinen Härchen aufstellten von der zunehmenden Elektrizität. Sie fröstelte und schlang die Arme um ihren Körper.

Die Erschöpfung nach dem Stress des Tages, die sie eben noch zu überrennen drohte, wurde zu einem beißenden Druck an den Schläfen. Die leise Hoffnung auf eine Auszeit floss dahin. Nur zögerlich trat sie über die Schwelle in die Wohnung. Die Szene vor ihren Augen begann als Stummfilm. Ihr dreijähriger Sohn saß in seiner Lieblingsecke und spielte mit seinem Teddybär und einem kleinen weißen Papierschiff. Er ließ das Schiffchen über die Weiten des weichen Teppich dahingleiten. Sie sah auch, wie er seine Lippen bewegte, doch die Worte erreichten sie nicht.

Sanfte Wellen schaukelten das kleine Schiff. Am Horizont ging die Sonne rot im Meer unter.

Ihr Mann saß im Sessel, einen Katalog in der Hand, als hätte er eben noch darin gelesen.

Plötzlich kam ein starker Wind auf, riss an den weißen Segeln, die im Licht der letzten Sonnenstrahlen orange glühten.

Abrupt stand er aus dem Sessel auf. Der Katalog glitt ihm aus der Hand und schlug lautstark auf dem Boden auf. Sie erstarrte, als er sie fixierte und mit jedem Schritt näher kam.

Dunkle Wolken verfinsterten den Himmel.

„Wo, zur Hölle, warst du?!", schrie er. Sie zuckte zusammen.

Viel zu schnell brach die Nacht herein und brachte das Donnergrollen näher.

„Ich...", begann sie und biss die Zähne zusammen, ehe sie ihn anfuhr: „Was interessiert es dich?!" Jetzt war sie es, die einen Schritt nach vorne trat.

Ein Blitz fuhr vom Himmel herab. Für den Bruchteil einer Sekunde wurde das Schiff in gespenstiges Licht getaucht.

„Was, um alles in der Welt, ist dein Problem?! Rede!"

Ein Donnerschlag übertönte die Worte.

Zu viel. Der Streit war zu viel für ihn. Der Junge hielt sich die Ohren zu und kniff die Augen zusammen, als seine Mutter zu weinen begann.

Es begann zu regnen. Die Wellen wurden höher und höher, und der Wind zerrte an den Segeln des Schiffes, als wolle er sie zerreißen. Hin und her wurde das Schiff gerissen. Es war unmöglich, es sicher zu steuern.

„Käpt'n?!", schrie der kleine Junge, die Stimme schrill vor Angst, „Alles in Ordnung?!"

Der Gewittersturm war jetzt direkt über ihnen.

„Wo sind wir, Käpt'n? Ich kann nichts sehen!"

Verzweiflung hatte sich in ihm breit gemacht, bereit ihn von Innen zu verschlingen, wenn es nicht der Sturm tat. Bis auf die Knochen durchgeweicht stand er da, hielt sich an der Rehling fest und lauschte auf eine Antwort. Doch er hörte nichts. Nur das Tosen der Wellen, die gegen das Bug schlugen, fast über die Rehling schwappten und das Geschrei des Sturms, der gnadenlos nach ihnen griff.

„Käpt'n!!", rief er noch einmal, so laut er konnte.

Das kleine Schiff schien verloren auf den Wellen des wilden endlosen Ozeans.

Mit einem Mal drang eine Stimme durch das Tosen des Unwetters: „Dort am Horizont, siehst du es?" Es war die Stimme des Kapitäns.

Unruhig hielt der Junge Ausschau nach Rettung, aber da war nichts. Nichts, außer dem ungezähmten Wasser mit den verschlingenden Wellen. „Wo?", flüsterte er. Es schien, als läge das Schiff irgendwo im Nirgendwo. Tränen traten ihn in die Augen, verschleierten seinen Blick. „Wo?" Seine Stimme brach.

Unerwartet stand der Kapitän hinter ihm. Er fühlte seine Hand auf der Schulter. Und da bemerkte er, dass es in ihm ganz still wurde, während um ihn herum weiterhin das Gewitter wütete.

„Komm", sprach sein Käpt'n, „Komm, ich zeig dir den Leuchtturm."


Vielleicht ein kleines bisschen MagieWhere stories live. Discover now