Kapitel 2

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"Wie wäre es, wenn du zur Abwechslung mal, früher ins Bett zu gehen würdest, um dann auch mal pünktlich aufzuwachen?".

So liege ich bereits angezogen neben Mirai und schaue ihr, auf dem Bauch liegend und meinen Kopf auf meinen Händen abgestützt, auf sie herab und betrachte ihr verschlafenes Gesicht. Das ging einige Minuten, bis sie sich endlich dazu entschloss, ihre kleinen müden Äuglein zu öffnen und mich giftig anzuraunen.

"Es kann nun mal nicht jeder eine perfekt funktionierende innere Uhr besitzen und ständig zeitig und pünktlich zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein!".

"Seit wann bist du nach dem Aufwachen so gesprächig?".

"Noch nie! Besonders am frühen Morgen. Du Nervensäge!".

Mit ihrer linken Hand hat sie das kleine Kissen von ihrer Seite hervorgezogen und mir Schwungvoll auf den Rücken gehauen. Um mich zu schützen, verschwinde ich dann doch ganz schnell aus ihrem Zimmer, erstens um nicht noch weiter Kissen oder härtere Gegenstände abzukommen und zweitens, um ihr noch mit besonderem Sicherheitsabstand, einen Spruch reindrücken zu können.

"Wer was sägt, bist du. Da können Kettensägen nur neidisch werden!".

Ich sah nur noch ein Kissen auf mich zu fliegen und flüchtete aus dessen Flugbahn und sofort in die Küche. Um ihr Gemüt zu besänftigen, sollte ich ihr ein Frühstück machen. Sonst muss ich mir nämlich ihr Genörgel den ganzen Tag anhören und darauf habe ich dann doch keine Lust.

Mirai und ich leben seit 4 zusammen in einer kleinen Wohnung in Tokyo. Es ist klein, besitzt ein kleines Schlafzimmer, mit angrenzender kleiner offener Küche und einem Bad. Während sie ihr eigenes Schlafzimmer hat, nächtige ich im Wohnzimmer auf einer recht gemütlichen Schlafcouch. Wäre ich nicht so grottenschlecht in Schnick Schnack Schnuck, würde ich jetzt ein eigenes Zimmer besitzen, aber leider kann ich nicht die Zeit zurückdrehen und sie somit austricksen und gewinnen. Aber es funktioniert und wir fühlen uns wohl. Auch wenn sie der chaotischere Typ unserer Freundschaft ist und ich sie ständig zur Ordnung ermahnen muss, sind wir trotzdem ein unschlagbares Team. Während sie mir mal auf die Sprünge hilft, wenn ich Mal in meinen Gedanken festsitze und sie mir neue Blickwinkel ermöglicht, helfe ich ihr dabei, ihre Habseligkeiten zu ordnen, sie an Termine zu erinnern oder sie auch an Orte führe, bei denen sie sich auf dem Weg dorthin, verirren würde.

Wir beiden haben uns auf der Universität kennengelernt. Wir haben unterschiedliche Richtungen studiert, besuchten aber das eine oder anderes Seminar gemeinsam. Eines Tages, als ich im Hörsaal saß und der Dozent den Unterricht bereits begonnen hatte, ging von hinten leise eine Tür auf. Man merkte sofort eine beginnende Unruhe. Einer schnaufte deutlich verärgert, die andere flüsterte zu ihrer Sitznachbarin, dass es ja unverschämt wäre zu spät zu kommen und andere haben hörbar die Augen verdreht. Es hatte mich nicht geschert und folgte weiterhin den Erzählungen des Dozenten, bis sich jemand stolpernd und laut auf den Platz neben mich gesetzt hatte. Mirai. Sie entschuldigte sich bei der Studentenschaft und auch bei mir persönlich und wies selbst darauf hin, dass sie ständig zu spät kommen würde, sie aber für heute ein wirklich gutes Gefühl hätte, dass ihre Verspätung nicht von Bedeutung wäre.

Mit einem Seitenblick auf ihre Gestalt, nahm ich ihre Worte nickend hin und konzentrierte mich wieder auf den Dozenten und machte mir meine Notizen.

An der Universität war es nicht gerne gesehen, wenn man mit Unpünktlichkeit oder verspäteten Abgaben von Hausarbeiten glänzte. Dozenten haben sich dazu Notizen gemacht und am Ende des Semesters, haben die Studenten Schriftstücke, mit der Anzahl der Verspätungen oder andere Verstöße gegen die Statuten, ausgehändigt bekommen. Haben sich so einige Verspätungen angesammelt, so wurde man auch mal zu Sonderarbeiten gerügt und musste entweder den Hofdienst absolvieren oder Hausarbeiten zu vorgegebenen Themen anfertigen. Und so wie es mir schien, war das alles meiner Sitznachbarin bekannt, da sie sich murmelnd wünschte, diesmal keine Hausarbeit aufgebrummt zu bekommen.

Als der Unterricht die erste Halbzeit erreicht hatte, kam ein aufgewühlter Student in den Saal und lief direkt zum Dozenten nach vorne an seinem Pult. Er hat ihn ein Brief in die Hand gedrückt, die Hand geschüttelt und ihm alles Gute gewünscht. Wir waren perplex und wussten nicht was geschieht, aber unser Dozent öffnete den Brief und begann langsam über das ganze Gesicht zu strahlen. Er wurde ganz euphorisch und packte hektisch seine Unterlagen zusammen. Der Student hatte bereits für seinen Rückweg angeschlagen und drehte dem Dozenten den Rücken zu und verließ den Hörsaal mit großen und schnellen Schritten. Unser Dozent hingegen, stierte noch einmal auf den Brief, hob diesen mit der einen Hand hoch über seinen Kopf und verkündete, dass er gerade Vater geworden wäre. Wir alle standen auf, haben geklatscht, gejubelt und jeder hat ganz durcheinander seine Glückwünsche gerufen. Es war ein wirklich toller Moment. Das erklärte uns auch, warum er die letzten Tage zu angespannt und nervös war. Seine Frau und er waren in freudiger Erwartung. Während wir an unseren Plätzen standen, merkte ich einen kleinen Hieb in meine rechte Seite und schaute überrascht zu Mirai. Sie schmunzelte mich an und sagte hinter vorgehaltener Hand, dass sie damit recht hätte, dass was Gutes passieren würde. Und so war es auch. Durch seine Vorfreude und Euphorie hat er den Eintrag für die Verspätung vergessen, den Unterricht abgebrochen und ist zu seiner Frau ins Krankenhaus gefahren. Wir durften die restliche Zeit Gruppenarbeiten oder mit Selbstlernen vertreiben und Mirai und ich hatten Zeit uns näher kennenzulernen. Sie war ein wenig merkwürdig, während sie manchmal völlig verträumt in den Himmel und ins Nichts geschaut hat, immer kleine Steine in der Tasche hatte, mit denen sie gerne in der Hand gespielt hat und auch ihre treuen Begleiter genannt hat, war sie aber zur anderen Seite immer mit tiefgründigen Weisheiten gewappnet und stand mir stets mit Rat und Tat zur Seite. Auch hatte sie immer ein gutes Gespür für kommende Ereignisse. Manchmal sprach sie davon, dass sich der Bus verspäten würde und dieser dann auch wirklich zu spät kam. Oder, dass ihre Lieblings-Ramen im Angebot waren, ohne überhaupt im Laden gestanden zu haben oder es in einem Prospekt gelesen zu haben. Das waren noch harmlose Vorahnungen. Sie konnte mir mal voraussagen, dass ich zum Beginn des neuen Semesters an einer Mandelentzündung erkranke und ich deshalb schon vorsorglich meine Medikamente auffüllen sollte. Ich habe es immer auf Glück, Erfahrungen und das richtige Timing geschoben. Während sie mich immer mahnend darauf hingewiesen hat, dass es sehr wohl Menschen gibt, die das gewisse Gespür dafür haben und ich mich doch mal mehr an die Sache ran trauen sollte und ihr vertrauen sollte. So war sie mein persönliches Orakel, auch wenn sie es hasste, so genannt zu werden. Auf sie war immer Verlass. Selbst als ich sie nachts angerufen habe, weil ich schlimme Albträume hatte und ihre Stimme zur Beruhigung hören wollte, war sie immer für mich da. Sie war die Einzige, die meine Vergangenheit kannte, akzeptierte und meinen Zwang zur Kontrolle verstand und meine Abläufe und Routinen hinnahm und teilweise unterstützt hat, auch wenn sie mich etwas damit aufgezogen hat, aber das bekommt sie immer zu gleichen Teilen zurück. Sie sagte mir mal, dass der Verlust von Angehörigen oder der Zwang zur frühen Übernahme von Verantwortung, dafür sorgen kann, dass der Mensch versucht, sich an Routinen konsequent zu halten und sich damit eine Sicherheit verspricht, während der der eigenen Entwicklung, von engen Bezugspersonen nicht bekommen hat. Sie hat mir viel von der Psyche des Menschen erzählt, auch das der Mensch selbst für seine Zukunft verantwortlich ist und das eigene Schicksal lenken und bestimmen kann. Es nennt sich selbsterfüllende Prophezeiung. Während unserem Studium haben wir bis tief in die Nacht zusammen gelernt und erlerntes an uns weitergegeben, um es durch das Aussprechen zu vertiefen. Selbst heute setzen wir uns zusammen, trinken dabei einen Tee und sprechen über den Tag unseren Problemen, Gedanken oder auch neuen Projekten und wichtigen Themen für die Arbeit. Und stellen uns die neuen Ideen für die nächsten Meetings oder Besprechungen vor. Auch wenn wir überwiegend lachen und uns gegenseitig anfeuern und Jubelrufe durch das Wohnzimmer von lauten geben. Aber es hilft uns ungemein und hilft uns, auch die Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Doch ein Thema kann ich ihr immer noch nicht beichten, auch wenn wir uns blind vertrauen können und wir uns niemals das Gefühl geben, dass unsere Gedanken unbedeutend, nicht wichtig oder lächerlich sind. Ich werde es ihr aber bald sagen, vorher muss ich der Sache aber noch etwas auf den Grund gehen.


Ein Leben nehmen, ein Leben geben ~ die Prophezeiung. Jujutsu KaisenxOCWhere stories live. Discover now