12. Colin

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Wirtschaft und Politik war nun wirklich nicht mein Lieblingsfach in der Schule. Es war die letzte Stunde an dem Tag und sie zog und zog und zog sich in die Unendlichkeit.

„Pssst". Noah schob mir einen kleinen Zettel zu.

Ich freue mich auf gleich :)

Sofort sah ich zu ihm und lächelte ihn an. Ich mich auch, versuchte ich mit meinen Augen zu antworten. Und das tat ich wirklich, ich freute mich sehr.

Die Klingel läutete. Schulschluss. Endlich. Wir sahen uns beide an, denn wir wussten, was jetzt kommen wird. Seit einigen Tagen hatten wir einen gemeinsamen Tagesablauf entwickelt, der daraus bestand, die meiste Zeit zusammen zu verbringen. Schule, einen kleinen Mittagssnack essen, Arbeit, Dachboden, Abendessen- es war perfekt.

„Naaa, was grinst ihr denn so? Ich fand den Unterricht jetzt nicht wirklich zum Lachen", sagte Julia und legte eine Hand auf meine Schulter. „Bevor du wieder den ganzen Tag verschwindest, wollte ich dich fragen, ob du am Wochenende Zeit hast. Am besten Samstag. Ich muss unbedingt meinen Text für das Theatermodul lernen und es gibt keinen besseren mit dem ich das kann, als mit dir."

„Ja, natürlich. Versprochen." Schon seit Jahren probte Julia ihre Texte vor mir.

„Dankeee!", quietschte sie auf und warf sich in eine Umarmung, die ich herzlich erwiderte.

„Bis später dann ihr zwei", winkte sie und drehte sich um.

Ich packte meine letzte Sachen in den Rucksack und sah zu Noah. „Gehen wir?"

„Gehen wir!"

Ich liebte den Arbeitsweg, vor allem jetzt, wo langsam der Herbst aufkam. Es war nicht mehr allzu heiß und das Wetter wurde gemütlich grau, wir hatten öfters Regenschauer, die Blätter färbten sich dunkel rot und die gesamte Stimmung lud dazu ein, sich mit einer warmen Decke und einem Tee in eine Ecke zu setzen und zu lesen.

In langsamen Schritten gingen wir zur Bibliothek.

„Wie lange kennt ihr euch schon, du und Julia?", fragte Noah mich.

„Ewig. Unsere Eltern sind seit ihren Schulzeiten eng befreundet und deshalb haben wir uns ganz automatisch jeden Tag gesehen. Dann kamen wir in den selben Kindergarten, auf die selbe Grundschule, auf die selbe weiterführende Schuld und jetzt sind wir hier. Beide." Ich stoppte kurz und schmunzelte. „Wahrscheinlich kommen wir auch in das selbe Altersheim."

„Das muss bestimmt gut tun, immer jemanden an seiner Seite zu haben... wie lange, ... also wie lange seid ihr schon zusammen?"

Ich sah ihn an. Er glaubte, dass Julia und ich zusammen sind? Ich dachte die ganze Zeit, dass- ich unterbrach meinen Gedankengang und antwortete ihm schnell: „Julia und ich sind kein Paar, also kein romantisches, wir sind nicht zusammen."

Er bewegte seinen Mund, aber kein Wort kam hinaus. Mit dieser Antwort schien er nicht gerechnet zu haben.

„Oh. Cool." Er atmete laut aus.

„Jap." Und jetzt wo wir schonmal dabei waren: „Hast du jemanden? Bist du mit jemanden zusammen?"

„Nein."

„Cool."

„Ja, sehr cool."

„Ja."

Wir standen da und sahen uns an. Ich beobachtete und spürte, wie sich unsere Lippen ganz langsam zu einem Lächeln formten. Das passierte oft. Wir sahen uns an und lächelten. Ich vertraute darauf, dass wir in diesen Momenten irgendwie anders kommunizierten als mit Worten.

Mittlerweile waren wir vor der Bibliothek angekommen und standen davor.

Die Zeit verging mit Noah wie in Lichtgeschwindigkeit, aber sie war intensiv. Manchmal machten wir die Arbeit gleichzeitig, manchmal aber auch nur einer von uns. Währenddessen saß der andere dann vor den Hausaufgaben, die wir dann gegenseitig voneinander abschrieben, ich erklärte ihm Mathe, er erzählte mir von den Büchern, die er gelesen hatte oder wir hörten durch seine AirPods Musik.

Wir waren ein eingespieltes Team und ich glaubte, dass uns die gemeinsame Zeit auf unsere ganz eigene Art und Weise half.

Gegen Nachmittag waren wir fertig und traten aus der Bibliothek aus... es regnete.

„Hast du einen Regenschirm dabei?"

Er sah mich an und sein Blick verriet alles.

„Also nein. Da es nicht so aussieht, als würde es heute noch aufhören zu regnen- rennen wir?"

Noah zögerte und sagte dann plötzlich: „Ich bin als erster da!"

„Hey!"

Wir rannten so schnell wir konnten durch den Regen. Die Tropfen fielen mir ins Auge und ich konnte nicht mehr viel wahrnehmen, nur unsere Schritte und ihn, Noah. Am Internat angekommen, waren wir von oben bis unten nass. Um nicht krank zu werden, entschieden wir uns dazu, eine warme Dusche zu nehmen. Dann gingen wir ins Zimmer, zogen uns in entspannte Jogginganzüge um, suchten ein paar Sachen zusammen, nahmen eine Decke mit und schlichen uns auf zum Dachboden. Kurz bevor wir da waren, hörten wir plötzlich die Stimmte von Frau Schiller.

„Hallo? Ist da jemand?"

Ich musste mir mein Lachen unterdrücken und hielt meine Hand vor den Mund. Noah tat es mir gleich. Wir hielten die Luft an und bewegten uns keinen Millimeter.

„Och ne, Leute! Ihr sollt nicht mit den nassen Schuhen durch das gesamte Gebäude trampeln, wie oft muss ich euch das noch sagen? Ich will hier kein Schwimmbad eröffnen!" Glück gehabt. Frau Schiller meinte nicht uns.

Erleichtert atmeten wir durch und gingen durch die Tür. Bei diesem Wetter war es hier oben etwas kälter und dunkler, aber die Atmosphäre war perfekt. Ich schmiss mich sofort auf einen riesigen Sitzkissen und kurz darauf war Noah mit der Decke auch schon neben mir. Wir musterten uns und brachen dann in Gelächter aus. Wir waren noch immer von der Dusche nass, Noahs Haare waren in einem lockeren Zopf gebunden und meine Locken mussten auf meinen Kopf bestimmt gerade eine Party feiern.

Minuten saßen wir da, warteten, bis sich unser Atem beruhigte und genossen die Stille. Ich bemerkte, wie ich im Kissen immer weiter hinunter sank und mein Kopf langsam auf der Höhe von Noahˋs Schulter war. Als ich diese spürte, konnte ich nicht anders und lehnte mich an ihn- aus Erschöpfung, aber auch, weil es mich einfach dahin zog.

In den ersten Sekunden wusste ich nicht, ob es okay war. Ich schloss die Augen und hoffte, dass die Zeit so schneller verging, dass endlich etwas passierte. Und das tat es dann auch. Er hob seinen Arm und legte ihn leicht, ganz leicht um mich.

Auch wenn in mir gerade viel passierte und alles durcheinander war, entspannte ich mich und lehnte mich mehr in seinen Arm hinein. Meine Augen ließ ich geschlossen.

Keiner von uns sagte etwas, bis die Ruhe wie Noahˋs Decke auf mir lag und ich in einen sanften Schlaf fiel...

||nolin|| gefunden in der liebeWhere stories live. Discover now