7. Kapitel - Erin

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Auf dem Wohnzimmertisch lag die Karte von Lavandia, auf der mit einem roten Stift eine Route eingezeichnet war. Ich schluckte, weil mit einem Mal alles so real wurde. Das hier war wahrhaftig die Reiseroute.

„Euer Startpunkt ist der Palast. Wir haben uns dazu entschieden, dass ihr morgen Abend bereits anreisen werdet, eine Nacht im Palast übernachtet und pünktlich im Morgengrauen los reitet", sagte Yilva und sah uns kurz an.

„Die Reise zum Lager der Zentauren dauert drei Tage, sodass ihr am vierten Tag eurer Reise dort aufbrechen könnt. Wir haben uns dazu entschieden, dass ihr außerdem bei den Koboldhöhlen vorbeischauen solltet", sagte mein Onkel.

Henry nickte und sah konzentriert auf die Karte vor uns, während ich damit beschäftigt war, das Übelkeitsgefühlt zu unterdrücken und mir nicht anmerken zu lassen, wie nervös ich wurde.

„In letzter Zeit waren kaum Kobolde auf dem Markt. Merylin's Smaragdvorrat neigt sich dem Ende zu und ihr wisst ja, dass die Smaragdhöhlen den Kobolden gehören", erklärte Yilva.

Darüber hatte ich gestern Abend gelesen. Da Zwerge und Kobolde beide im Edelsteingeschäft tätig waren, gab es schon immer Spannungen. Vor ein paar hundert Jahren hatten dann die Hüter entschieden, dass die Kobolde die Smaragdhöhlen im Dunkelwald bewirtschaften durften und außerdem die Quarzt- und Lehmhöhlen auf den Koboldwiesen. Währenddessen hatten die Zwerge die Edelsteinhöhlen im Wald von Lavandia bekommen.

„Hier, wo der Wald dichter wird, müsst ihr besonders vorsichtig sein. Jetzt im Herbst ziehen sich die Löwenbären zurück und bereiten sich auf ihren Winterschlaf vor. Ihr solltet euch in diesem Teil des Waldes nicht länger als nötig aufhalten", sprach William weiter.

Er zeigte auf einen Teil der Karte, in dem sehr viele Bäume und kleinere Höhlen eingezeichnet waren. Sein Finger fuhr ein Stück weiter, Richtung Fluss.

„Die sicherste Route wäre diese hier. Immer in der Nähe des Flusses. Die Gefahr sich zu verlaufen ist geringer, ihr habt immer Wasser in der Nähe und Löwenbären jagen nicht in Gewässern, also wäre die Möglichkeit, im Falle eines Angriffes, dass ihr in den Fluss könntet", fügte er hinzu.

„Vom Wald aus geht es dann zum Gebirge. Denkt daran, dass ihr mit den Pferden maximal bis zur ersten Quelle kommt. Danach müsst ihr zu Fuß weiter. Ich bin mir sicher, Lorox wird sich um die Pferde kümmern", sprach Yilva weiter.

„Die ersten vier Quellen sind am einfachsten zu erreichen. Die fünft Quelle ist hier", sagte mein Onkel und zeigte auf den Wasserfall.

Ich wusste, dass diese Information lediglich für mich war. Henry wusste das definitiv alles und dennoch nickte er nachdenklich.

„Henry, du weißt wo die Quellen sind und wie du sie am besten erreichen kannst. Sprich mit den Bergriesen und finde raus, wieso der Fluss weniger Wasser führt. Möglicherweise liegt es auch nicht an den Quellen, sondern am Fluss selbst. Aber dies wirst du ja schnell herausfinden", sagte Yilva.

„Sobald ihr im Gebirge fertig seid, schickt ihr einen Brieffalken zu uns und macht euch auf den Rückweg. Wir können euch nur mit Proviant für den Weg zum Gebirge ausstatten. Auf dem Rückweg werdet ihr euch selbstständig um Essen kümmern müssen", fügte Yilva hinzu und lächelte entschuldigend.

„Denkt daran, dass ihr nur das Nötigste einpacken könnt", warf Lucius gelangweilt ein und sah vor allem mich an. Ich nickte lediglich und kaute nervös auf meiner Unterlippe herum. Ich hatte ungefähr eintausend Fragen, die mir auf der Zunge brannten. Doch ich traute mich nicht, auch nur Eine zu stellen.

„Ihr habt viele Zwischenstopps eingeplant. Mit dieser Menge an Stopps, sind wir länger als 14 Tage unterwegs", bemerkte Henry und sah William, Yilva und seinen Vater an.

„Ja, das ist richtig. Wie weit ihr pro Tag kommt, hängt von euch ab. Wenn ihr im Morgengrauen losreitet und bis Sonnenuntergang unterwegs seid, dann schafft ihr es in sieben Tagen zum Gebirge. Wenn ihr allerdings öfter eine Pause einlegt, später losreitet oder früher euer Lager aufschlagt, dann seid ihr erst in zehn Tagen am Gebirge", erklärte mein Onkel.

„Wir haben mehrere Stopps eingeplant, weil es Erins erste Reise ist und sie es nicht gewohnt ist, so lange im Sattel zu sitzen", fügte Yilva hinzu und lächelte mich freundlich an. Henry nickte.

„Okay", sagte er und zeigte auf den Abschnitt des Weges, der in der Nähe des Zentaurenlagers war.

„Ab hier müssen wir zu Fuß gehen und generell ist der Dunkelwald ziemlich schwierig auf dem Pferd zu durchqueren. Die vielen Wurzeln und der unebene Boden machen es für die Pferde schwerer. Ich denke, dass zehn Tage realistischer ist, auch wenn das bedeutet, dass unsere Reise deutlich länger als zwei Wochen dauern wird", fügte er hinzu.

„Leider ja... Wenn es möglich wäre...", fing mein Onkel an, aber Henrys Vater unterbrach ihn sofort.

„Ob zwei oder drei Wochen, macht keinen Unterschied. Wichtig ist, dass wir Antworten finden und eine mögliche Katastrophe abwenden!"

Yilva stand auf und lächelte leicht.

„Nun denn, wir sehen uns morgen Abend. Ich sorge dafür, dass alles bereit sein wird. Henry, Erin", sagte sie und sah erst Henry und dann mich an.

„Vielen Dank für euren Dienst!"

Sie verließ das Wohnzimmer und kurz darauf hörten wir, wie die Haustür ins Schloss fiel. Auch Henrys Vater stand auf.

„Wir haben noch einiges zu erledigen. Komm Henry, wir müssen nachhause", sagte er und Henry nickte. Mein Onkel brachte unsere Gäste noch zur Tür, während ich auf dem Sofa sitzen blieb und die Karte anstarrte.

„Wie geht es dir?" Ich zuckte zusammen und sah meinen Onkel an, der wieder in der Tür aufgetaucht war. Seufzend zuckte ich mit den Schultern und lehnte mich zurück.

„Ich fühle mich so... unvorbereitet und absolut nicht bereit. Und ich denke, ich werde auch morgen Abend nicht bereit sein und am Mittwoch erst recht nicht", sagte ich leise.

„Es tut mir leid. Ich habe wirklich noch einmal versucht die anderen davon zu überzeugen, dass ich gehen sollte, aber leider haben Yilva und Lucius recht. Ich werde hier gebraucht", antwortete William und setzte sich neben mich. Ich sah ihn an.

„Wir sollten daran arbeiten, dass ich etwas mit meiner Magie anfangen kann, schätze ich..." Ich seufzte und schluckte. William nickte.

„Ja, sollten wir. Und ich weiß, dass du Angst davor hast, aber es ist wirklich notwendig. Wir werden klein anfangen und ich werde dir nur das beibringen, was euch auf der Reise helfen wird", sagte er und stand auf.

Ich tat es ihm gleich und folgte ihm aus dem Wohnzimmer raus in den Flur und zur Kellertür. Er öffnete sie und ging voran, die Kellertreppe hinunter.

Celestine hatte bei meiner Ankunft gesagt, dass hier unten lediglich der Weinvorrat war und das war nicht einmal gelogen. Ich zögerte.

„Ist es schlau mit Feuer zu spielen, wenn um uns herum Alkohol lagert?", fragte ich. William lachte leise.

„Nein, deshalb gehen wir hier rein", sagte er und öffnete eine Tür, die mir wegen der vielen Weinregale und den zwei riesen Fässern nicht aufgefallen war.

Hinter der Tür befand sich ein leerer Raum, mit Steinwänden und Steinboden. William schaltete das Licht ein und erst jetzt sah ich, dass der Boden an einigen Stellen mit Ruß bedeckt war.

„Hier kann nichts passieren. Das Feuer kann sich nicht ausbreiten, es kann nichts entzünden und niemand kann verletzt werden", sagte er und lächelte. Ich nickte.

„Okay... fangen wir an!" 

Avaglade - Reise durch Lavandia (Buch 2)Where stories live. Discover now