Komm näher zu Mir

25 5 5
                                    



Mit leeren Augen, dessen Blick verloren und nahezu durchsichtig ist, vor Angst und ohne Erwartungen, steht der junge Mann in der Baracke. Der eisige Wind zieht durch die Ritzen der Wände, welche aus schlichten Brettern bestehen- umspielt die dünne und zerbrechliche Gestalt des jungen Mannes. In den Händen hält er die Mütze, mit den Streifen und umklammert sie. Er sucht den Halt, die Kraft und womöglich den Ausweg. Still ist es zudem, dabei ist er gar nicht alleine. An einem einfachen Tisch steht eine erstarrte Seele. Kalt, wie eben der Wind, schaut sie ihn aus blauen Augen an. Nein sie blickt auf ihn herab- stolz und beängstigend. Der junge Mann bewegt sich nicht, lediglich der Dampf seines flachen Atems zeigt jegliche Bewegung um ihn.

Als kämme es aus weiter Ferne, erhebt sich die Stimme des großen Mannes an dem Tisch. Seine Arme sind hinter dem Rücken verschränkt und verleihen ihm zusätzliche Größe. Die Schirmmütze schmückt sein Haupt und das Silber jener Symbole glänzt in den kleinen Strahlen der Wintersonne- sie hat
sich mühevoll durch die schlieren der einfachen Fensterscheiben gekämpft.

" Du weißt warum du hier bist." Sagt der Kommandant.

Die Hände des jungen Mannes klammern sich noch mehr in die leichte Mütze.

Blass ist er geworden, wie seine stillen Freunde, die bereits im Schnee ihre Ruhe fanden. Zwischen dem Schnee und der Hölle.

" Es war ein Versehen." Kommt die Antwort knapp und kaum hörbar- sie ist brüchig.

" Komm näher zu mir." Der Kommandant fordert. Sein Gesicht verrät keine Gedanken. Er ist es.' Summen sie, die Gedanken.
' seit der Kindheit kennst du diese Augen.'

Einen, dann den zweiten Schritt, bewegen die dünnen Beine den jungen Mann nach vorne. Er öffnet den Mund, doch sein Blick bleibt gesenkt.

" Es war doch bloß ein Stück. Ein Stück, welches ich mir versprach...
ein Stück mehr, um zu leben." Er schluckt und macht ein glucksendes Geräusch. Dabei ist es auch sogleich ein Stück mehr, um zu sterben.

Freiheit ist ein gefährliches Gut.

" Niemand tritt ohne Erlaubnis nachts aus den Baracken und nenn es nicht Leben- du bist hier um deine Schuld zu begleichen. Deine Gedanken sollen sich verkehren und nicht gegen die Wahrheit sein!" Brüllt der
Kommandant und schaut ihn gefährlich an. Wie ein Jagdhund zeigt er seine Zähne
und freut sich ihn zu zerfleischen. Würden sie nicht andauernd Summen- die Gedanken.
Ihr habt zusammen gelacht, geweint- er kennt dich.'

" Komm näher zu Mir!" Sagt er und der junge Mann geht- einen, dann zwei Schritte. Er blickt nun auf den Tisch.

" Gegen unser Vaterland hast du gesprochen, nun soll es auch gegen dich sprechen... deine spitze Zunge hast du dir verbrannt, jetzt stehst
du komplett in Flammen. Verweigere dich nicht jemandem, der über dir steht."

" Ich habe das richtige getan. Ich bin ehrlich!" Sagt er ohne Zweifel.

" Ehrlich? Für wen- dein Hirngespinst einer Demokratie?"

" Das Gute, für uns Menschen- für alle habe ich es gesagt. Ja, sogar für Sie Herr Kommandant. Sie sind wie wir alle- doch sind sie zu hoch geklettert- ihr Stolz, ihre Ideologie, Sie fallen irgendwann tief und die Gnade
fängt Sie nicht mehr auf." Der junge Mann schaut auf die Tischkante.

" Ich verbiete mir solche Wort! Kommen näher zu Mir, sofort!"

Erst Einer, dann Zwei, dann Drei, dann steht er wieder still.

Das schnelle und schnaubende Atmen des Kommandanten kann er nun hören, er kann es fühlen, so erhitzt ist es.

" Nun geben sie mir allen Grund, das Urteil zu vollstrecken! Auch Sie wird keine Gnade treffen!"
' Im kalten Wind, da schleppt er dich. Im kalten See, da rettet er dich.' Säuselt die Stimme aus dem verrohten Herzen.

Aus ebenso blauen Augen schaut der junge Mann vom Tisch auf.

Auge in Auge, sehen sich der Häftling und der Kommandant an.

" Ich habe nichts mehr zu befürchten, denn ich werde frei sein.
Frei von einer Meinung, die mir aufgedrungen werden sollte,
frei von den Schreien der Aufseher,
frei von den Leidenden,
frei von dem Gespinst in meinem Kopf!"

Er sieht in das Gesicht des Kommandanten, welchen er einst Freund nannte. Nun war der Freund schon lange tot- ein Monster hat er zurück gelassen und nur noch in seinem tiefsten Inneren spielen die Kinder- welche sie
einst waren ,in den grünen Wiesen ihrer Jugend.

" Ich habe mich so sehr in dir geirrt. Ich befehle dir nun noch ein letztes Mal- komm näher zu Mir!" Seine Haltung ist nun die des
Jagdhundes, wenn er zittert, unter der Beherrschung eines gehorsamen
Verstandes.

Einen, zwei, drei Schritte und er steht vor dem Kommandanten.

Die Hand mit dem schwarzen Lederhandschuh holt aus und trifft seine blasse Wange. Sein Gesicht dreht sich zur Seite und eine Träne fließt dem jungen Mann
aus dem Augenwinkel.

"Dreh dich um!" Die blasse Wange so rot wie die Lippen eines Mädchens und einer Entschlossenheit nun frei zu kommen, dreht er sich um.

Der junge Mann zeigt dem Kommandanten die schmalen Schultern unter dem
Sträflingsanzug, die schmale Gestalt eines gezeichneten Mannes.

Mechanisch ertönt das rhythmische Durchladen einer Pistole.

" Auf Wiedersehen!" Sagt der alte Freund und das Herz des jungen Mannes verkrampft sich. Ein letzter Atemzug.

" Gott steh mir bei..."

Ein Schuss.

Ein Klirren.

Und die Fensterscheibe zerspringt in tausend Teile.

Die Wintersonne durchflutet die Baracke und wiegt den jungen Mann in einem göttlichen Licht, doch steht er weiterhin auf Erden.

" Daneben!" Sagt der Kommandant und geht ohne ein weiters Wort an dem jungen Mann vorbei.

" Sieh zu, dass du mir nicht noch einen Grund gibst, mich wie ein Mensch mit Gefühlen zu verhalten." sagt er und sieht beim
Verlassen zu dem alten Freund. Doch das Gefühl gab er sich selbst.

" Oh Gott, du kamst näher zu Mir." Sagt der junge Mann und kniet nieder. Vor Schreck, vor Dank, weil er schwach wurde. Sein Körper ist an die Gesetze des Lebens gebunden, aber seine Seele scheint stärker denn je .

In my mindWhere stories live. Discover now